Köhlmeier: Eliten und die Essenz der Religion

Für neue Blickwinkel, dafür ist Michael Köhlmeier bekannt. Er ist ein vielseitiger Künstler, Autor von Romanen, Theaterstücken und Drehbüchern. Am Rande des 23. „Philosophicum Lech“ sprach er mit religion.ORF.at über Eliten und die Essenz der Religion.

„Demokratie ist eine vollkommen unsexy Art und Weise, miteinander zusammenzuleben.“ Autor Michael Köhlmeier liebt es, ein wenig zu provozieren. Das mag beim Thema „Die Werte der Wenigen - Eliten und Demokratie“ helfen.

„Über Eliten wird wieder gesprochen“, so die Beobachtung des Programmheftes des 23. „Philosophicum Lech“. Diese Eliten, so würden es einige behaupten, agierten selbstgerecht und abgehoben, sie hätten den Kontakt zu den Sorgen und Nöten der Menschen verloren, sie trügen bei zur Spaltung der Gesellschaft.

Sendungsprofil Orientierung

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Werte der Wenigen: Philosophicum Lech über Eliten und Demokratie

SO. 6.10.2019, 12.30 Uhr, ORF 2
Mo. 7.10.2019, 9.30 Uhr, ORF III
Sa. 12.10.2019, 11.30 Uhr, ARD ALPHA

Mehr dazu in der „Orientierung“

„Eliten spalten? Eliten demokratisieren?“

Aber es gäbe sie auch, die anderen Stimmen, die das Konzept der Eliten verteidigen, hört man in Lech weiter. „Eliten würden den technischen, wissenschaftlichen, ökonomischen und moralischen Fortschritt garantieren, sie stellten ein Bollwerk gegen die populistische Versuchung und die Aushöhlung der Demokratie dar“, so die andere Beobachtung.

Wer aber sind diese Eliten? Handelt es sich wirklich um eine Auslese der Besten? Wie bilden sich Eliten und wer gehört dazu? Wie leben sie? Wie denken sie? An welchen Werten orientieren sie sich?

Klaus Ther hat für religion.ORF.at im Rahmen des „Philosophicum Lech“ darüber mit Autor Michael Köhlmeier gesprochen.

religion.ORF.at: Hier in Lech, an einem recht elitären Ort diskutieren - unterstützt unter anderem von einer wohlhabenden Industrieholding – Philosophie-Fans über Eliten. Könnte da nicht der Eindruck entstehen, dass das „Philosophicum Lech“ auch eine Art „Hofnarrenfunktion“ erfüllt?

Michael Köhlmeier

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Michael Köhlmeier im Gespräch mit Klaus Ther für religion.ORF.at

Michael Köhlmeier: „Ja, gut, dann gehören aber alle Geisteswissenschaften, die Dichtung und die Literatur auch zu den Hofnarren, denn das Schöne erhält sich in der Regel nicht aus sich selbst. Gesetzt den Fall man würde sagen ´Alles, was mit Philosophie Literatur und Musik zu tun hat, ist eigentlich Hofnarrentum´, dann bliebe uns Hofnarren nichts anderes übrig als entweder dagegen zu protestieren – was einen unglücklich macht oder das alles zu akzeptieren und zu sagen: ´Dann nennt mich eben Hofnarren!´ Ich würde mich eher für die zweite Variante entscheiden!“

religion.ORF.at: Welche Wahrnehmung von Eliten in Österreich haben Sie?

Michael Köhlmeier: "Man muss vorsichtig sein und keine Ressentiments übernehmen. Das Ressentiment ist etwas, das schleichend daherkommt. Es schleicht sich in einen hinein, ohne dass man es selbst merkt. Und wenn man dann draufkommt, hat es sich schon verfestigt und in einem aufgebaut! Ich bin auch nicht frei vom Vorurteil, dass die Eliten diejenigen sind, die es nicht verdienen, solche zu sein.

Michael Köhlmeier

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Michael Köhlmeier zitiert Ludwig Wittgenstein: „Philosophie ist Sprachkritik“ - sie analysiert und zergliedert die Worte und reinigt sie dadurch auch

Wir haben beim Philosophicum einen Vortrag gehört, da wurde gesagt: ´Ich verdiene es in einem moralischem Sinn, ich verdiene es in einem pekuniärem Sinn.´ Ja, in Wirklichkeit würde ich mich gerne an einem alten traditionellen Elitebegriff orientieren, der sagt: ´Die Eliten sind diejenigen, die es auch wirklich verdienen nicht nur im moralischen Sinne, sondern auch im Sinne, dass sie auch etwas geleistet haben!

Wir sollten Begriffsreinigung betreiben – ja, ich weiß das Wort Reinigung ist furchtbar – aber bei Begriffen sollten wir vielleicht doch Begriffsreinigung oder Begriffsklärung nicht außer Acht lassen. Man sollte unter einem Wort nicht zwei verschiedene Begriffe dulden. Da wäre der Fall von Persönlichkeiten, die den Neid auf sich ziehen, weil sie sich zu Unrecht Elite nennen und derjenigen, die Bewunderung auf sich ziehen, weil sie sich zurecht Elite nennen! Zwei sich ausschließende Menschentypen, die unter demselben Begriff stehen, da sollte man Begriffsklärung betreiben und das tun wir eben hier beim Philosophicum.

Was tut der Philosoph? Ich zitiere Ludwig Wittgenstein: ´Philosophie ist Sprachkritik´- sie analysiert und zergliedert die Worte und reinigt sie dadurch auch."

Politische Verfilzung

religion.ORF.at: Aber noch einmal, welche Wahrnehmung von Eliten in Österreich haben Sie? Die Philosophin Isolde Charim hat gemeint, dass ihr in dem Zusammenhang das Wort „Verfilzung“ einfällt. Wie geht es Ihnen damit?

Michael Köhlmeier

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Michael Köhlmeier:"Demokratie ist dann gefährdet, wenn nicht mehr debattiert wird"

Michael Köhlmeier: "Sie spielen auf politische Eliten an, da muss man wieder sprachlich sehr exakt unterscheiden. Was macht einen zum Mitglied der politischen Elite? Um dazuzugehören muss ich gewählt werden, das ist unsere demokratische Basis. Benötigt es außer, dass ich ein gewisses Alter habe und nicht entmündigt bin und dass mir rechtlich das aktive Wahlrecht nicht entzogen wurde noch etwas?!

Das heißt doch, die demokratische politische Elite hat nichts vorzuweisen, außer etwas ganz Selbstverständliches, über das man nicht diskutieren muss. Die Korruptionsbereitschaft, die Verfilzungsbereitschaft von politischen Eliten zu beklagen, das würde eigentlich heißen: Ich beklage die Korruptionsbereitschaft der allgemeinen Bevölkerung. Man könnte den Gedanken zuspitzen und sagen: Ich beklage oder kritisiere die Korruptionsbereitschaft jedes einzelnen Menschen. Wer kann schon von sich sagen: ´Ich bin vollkommen frei von Korruptionsbereitschaft?!´.

Korruptionsbereitschaft

Man braucht jemanden, der kontrolliert. So funktioniert Demokratie! Demokratie ist eine vollkommen unsexy Art und Weise, miteinander zusammenzuleben. Langweilig! Diese langweilige Art ist mir allerdings die liebste. Politik, was ist das anderes als Müll hinuntertragen! Das heißt doch Haushalt führen?! Stimmen Sie die Posaunen an, wenn Sie den Müll runtertragen?! Gerade deshalb hat mir Angela Merkel gefallen, die immer dieselbe Geste gemacht hat, auch als man sie darauf aufmerksam gemacht hat. Das hat mir gut gefallen, dieses Pragmatische – dieses Ohne-Posaune-Vorgehen, das habe ich gern".

religion.ORF.at: Im Untertitel des diesjährigen „Philosophicum Lech“ ist auch von der Gefährdung der Demokratie die Rede. Die Eliten werden nicht wie früher von links, sondern von rechts kritisiert. Spüren Sie auch eine Gefährdung der Demokratie?

Michael Köhlmeier: "Nein, das spüre ich nicht! Gerade dann, wenn so viel darüber diskutiert wird! Die Demokratie ist kein statisches Element, sondern sie ist ein Prozess! Er wäre so, wie wenn man jemandem, der jongliert, zuruft: ´Hör einmal, was du da machst, das ist instabil, hör auf mit diesen Bewegungen in der Luft! Hör auf, wir wollen die Dinge rein für sich haben!´.

Dann freilich fällt die ganze Angelegenheit in sich zusammen. Das Jonglieren ist ein Prozess - nichts Statisches; ebenso die Demokratie; die ist dann gefährdet, wenn nicht mehr debattiert wird. Wenn man ein Gesellschaftssystem haben will, das nicht die Unreinheit der Bewegung hat, so statisch schön wie eine Kristallkugel, dann muss man sich Sorgen um die Demokratie machen. Solange alles in Bewegung ist und wir damit unzufrieden sein dürfen, solange mache ich mir keine Sorgen!"

religion.ORF.at: Wenn man den Begriff der Eliten vom Wortstamm her betrachtet, das lateinische Wort „eligere“, auf Deutsch „auswählen“, dann fällt einem der Begriff der „Auserwählten“ ein, kommt dieser nicht aus dem jüdisch-christlichen Denken?

Michael Köhlmeier: "Wahrscheinlich schon! Das Erwähltsein, dass eine Gruppe von Menschen aus der Menschheit erwählt ist, das kann man schwer ohne einen göttlichen Gedanken vorstellen. Es gibt diesen schönen Roman von Thomas Mann „Der Erwählte“, der letzte, den er geschrieben hat, natürlich geht es da um einen Heiligen, den Heiligen Gregorius.

Von Gott reden trauen

Ich finde es sehr schön, dass in einer vollkommen säkularisierten Welt, in der sich die meisten nicht von Gott zu reden trauen und vom ´Lieben Gott´ schon gar nicht, dass sich solche Begriffe aus der Theologie erhalten haben. Ich mag das sehr gerne, wenn auch die Theologie in eine säkularisierte Welt hineinspielt! Alles einfach wegzuwerfen, das wäre ja aus ästhetischen Gründen schon sehr schade!"

Michael Köhlmeier

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Michael Köhlmeier: „Die Aufklärung hat die beste Essenz der Religion in sich aufgehoben“

religion.ORF.at: Religionsgemeinschaften waren ja früher die Eliten - mit hohem moralischen Anspruch. Können sie diesen immer noch nutzen?

Michael Köhlmeier: "Der moralische Anspruch der Religionen hat sich erhalten, dort, wo die Aufklärung diese Ansprüche übernommen hat! Im Schlagwort der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Das ist ohne das Christentum nicht denkbar. Und wie die französische Revolution ohne das Christentum nicht denkbar ist, ist auch das Christentum ohne das Judentum undenkbar!

Das führt sich durch: Im kommunistischen Manifest könnte man die jüdische Tradition des Karl Marx, wie auch die christliche Tradition des Friedrich Engels sehr schön nachweisen. In Notre Dame hat man zwar die Köpfe der Heiligen abgeschlagen, aber die moralische Grundlage des Zusammenlebens wurde nicht zerstört. Ansonsten würde unsere Spezies bereits ausgestorben sein. Die Aufklärung hat die beste Essenz der Religion in sich aufgehoben. Wo sie sie diese nicht mitgenommen hat, ist sie verkommen"!

religion.ORF.at: Vielen Dank für das Gespräch.

Klaus Ther für religion.ORF.at