Anschlag vor Synagoge: Entsetzen und Kritik

Nach dem rechtsextremen Terroranschlag im deutschen Halle an der Saale mit zwei Toten haben Vertreterinnen und Vertreter der Religionen mit Entsetzen reagiert. Seitens des Judentums gibt es auch Kritik und Vorwürfe gegen die Polizei.

In der Stadt im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt waren zu Mittag nahe einer Synagoge und in einem Döner-Imbiss ein Mann und eine Frau erschossen worden. Auch auf die Tür der Synagoge wurde gefeuert. Der 27-jährige Stephan B. hatte eine Synagoge attackiert, nur die stabilen Türen des Gotteshauses verhinderten wohl wesentlich Schlimmeres. Rund 80 Gläubige befanden sich zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in der Synagoge. Die Ermittlungen laufen noch.

„Ein tiefer Schock“

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös“, sagte Schuster. „Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt.“

Nur glückliche Umstände hätten ein Massaker verhindert, sagte Schuster in Würzburg. „Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.“

„Aus Worten werden Taten“

Der Täter habe versucht, in die Synagoge einzudringen, auch der benachbarte jüdische Friedhof sei angegriffen worden. Die Tat am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur „hat unsere Gemeinschaft auf das Tiefste in Sorge versetzt und verängstigt“, fügte er hinzu.

Sachsen-Anhalt, Halle: Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, vor der Synagoge nach dem Anschlag

APA/dpa-Zentralbild/Marek Majewsky

Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, vor der Synagoge

Mit „Trauer und Wut“ reagierte auch die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. „Wenn ein schwer bewaffneter Terrorist auf offener Straße mordet, und wenn ein Zentrum jüdischen Lebens in einer deutschen Stadt am höchsten jüdischen Feiertag mit Schusswaffen und Sprengsätzen angegriffen wird, dann ist das ein Angriff auf das Zusammenleben in unserem Land“, sagte Knobloch laut einer am Mittwochabend verbreiteten Mitteilung. „Die Tat macht deutlich, wie schnell aus den Worten von politischen Extremisten Taten werden können“, hieß es weiter.

Jüdischer Weltkongress: „Taten statt Worte“

Der Jüdische Weltkongress (WJC) verlangte nach dem Angriff ebenfalls einen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen. „Leider ist die Zeit gekommen, in der alle jüdischen Gebetshäuser und andere jüdische Einrichtungen eine erhöhte Sicherheit durch staatliche Sicherheitskräfte benötigen“, so der WJC-Vorsitzende Ronald Lauder am Mittwoch.

Es seien „Taten statt Worte“ nötig. Lauder rief außerdem dazu auf, „eine einheitliche Front gegen neonazistische und extremistische Gruppen“ zu bilden. Den tödlichen Angriff in Halle nannte er „entsetzlich“.

Jad Vaschem verurteilt Anschlag scharf

Auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hat den Anschlag am Donnerstag scharf verurteilt. „Dieses jüngste Ereignis ist eine weitere Erinnerung, dass Antisemitismus weltweit immer noch alarmierend offenkundig ist“, hieß es in einer Stellungnahme. Jad Vaschem sei „besonders sensibel für die giftigen Gefahren des Antisemitismus, (...), und seine zerstörerischen Auswirkungen - nicht nur für Juden, sondern für alle in einer zivilisierten Gesellschaft“.

Evangelische Kirche „fassungslos“

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, äußerte sich zu dem Anschlag: „Ich bin entsetzt und fassungslos angesichts dieser Gräueltat“, sagte der bayerische Landesbischof laut Mitteilung der EKD vom Mittwochabend.

Sein Mitgefühl sei bei den Familien der Opfer. „Und ich denke an unsere jüdischen Brüder und Schwestern, die heute ihr höchstes Fest, das Versöhnungsfest, feiern. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie in unserem Land ihren Glauben in Angst und Unsicherheit leben müssen. Als Christen wie als Deutsche sind wir aufgerufen, uns dem entgegenzustellen. Denn Antisemitismus ist Gotteslästerung.“

Kardinal Marx „entsetzt über feigen Anschlag“

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, äußerte sein Entsetzen über „den feigen Anschlag“, erklärte er am Mittwoch in Bonn. „Wir stehen solidarisch an der Seite der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Antisemitismus oder gar blinde Gewalt dürfen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“, sagte der Kardinal. „Wir sind den Juden in unserem Land, unseren Schwestern und Brüdern, gerade in diesen Stunden eng im Gebet verbunden."´

Der Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm predigt auf der Kanzel

APA/AFP/Ferdinand Ostrop

Der evangelischer Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm sagte: "Antisemitismus ist Gotteslästerung“

Weltkirchenrat verurteilt „widerwärtige“ Gewalt

Der Generalsekretär des Weltkirchenrats (ÖRK), Pfarrer Olav Fykse Tveit, sagte, es scheine sich bei dem Angriff um eine „schamlose Zurschaustellung von rassistischem Antisemitismus zu handeln, der leider in Europa und anderswo im Zunehmen ist“. Rassistische Gewalttätigkeit und Hass seien für den Weltkirchenrat widerwärtig, so Fykse Tveit: „Zugleich wird unsere Entschlossenheit bestärkt, überall mit Juden und Christen zu arbeiten, um dem Hass Widerstand zu leisten und Respekt für alle Menschen zu verbreiten.“

Das Gebet gelte auch den Opfern und das Mitgefühl den Angehörigen, die bei dem schrecklichen Gewaltakt geliebte Menschen verloren haben, sagte der ÖRK-Generalsekretär. Als „globale Gemeinschaft von Kirchen“ sei der Weltkirchenrat solidarisch mit den jüdischen Menschen in Halle, die „in so bösartiger Weise“ angegriffen wurden, während sie den für sie heiligsten Tag des Jahres feierten.

Sant’Egidio betont Solidarität

Auch die Gemeinschaft Sant’Egidio bekundete ihre Anteilnahme mit den Familien der Opfer und den Verletzten. Sie bringt zudem ihre Solidarität und Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde von Halle zum Ausdruck, die an ihrem besonderen Feiertag Jom Kippur Ziel des antisemitischen Angriffs gewesen ist. Seit vielen Jahren ist Sant’Egidio in vielen deutschen Städten in einer engen Freundschaft mit den jüdischen Gemeinden verbunden und pflegt eine gute Zusammenarbeit. Jede Form von Antisemitismus und Gewalt sei entschieden zu verurteilen, betonte die Gemeinschaft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Gesa Ederberg (l), Rabbinerin der Neuen Synagoge Berlin, und Avitall Gerstetter, jüdische Kantorin, an der Neuen Synagoge Berlin, Angriff in Halle

APA/dpa/Christoph Soeder

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Gesa Ederberg (li.), Rabbinerin der Neuen Synagoge Berlin, und Avitall Gerstetter (re.), jüdische Kantorin, an der Neuen Synagoge Berlin bei einer Solidaritätsbekundung

Innenminister bestätigt antisemitisches Motiv

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte am Mittwochabend von einem antisemitischen Motiv des Täters gesprochen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übermittelte den Angehörigen der Opfer ihr tiefes Beileid. Die Solidarität gelte allen Jüdinnen und Juden am Feiertag Jom Kippur, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter. Am Abend nahm Merkel an einer Solidaritätsveranstaltung an der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin teil.

Auch in anderen deutschen Städten versammelten sich Menschen in der Nähe von Synagogen und gedachten der Toten. In Halle legten Menschen am Marktplatz Blumen und Kerzen nieder.

Papst betete für Opfer

Papst Franziskus gedachte am Mittwoch der Opfer des Attentats auf die Synagoge von Halle. Zum Ende des dritten Arbeitstags der Bischofssynode im Vatikan am Mittwochnachmittag bete das Kirchenoberhaupt für die Opfer, wie das vatikanische Presseamt am Abend mitteilte. Demnach hatte der Papst auch in der Früh für die jüdischen Gemeinden gebetet.

religion.ORF.at/APA/dpa/AFP/KAP

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