„Dias de los Muertos“: Es lebe der Tod

Am ersten und zweiten November (Allerheiligen und Allerseelen) werden in Mexiko die „Tage der Toten“ groß gefeiert. Hinter der lauten Fassade des scheinbar respektlosen Umgangs mit dem Tod verstecken sich auch leise und traurige Aspekte.

Das Fest ist ein Zusammentreffen von Verwandten und Freunden, Arbeitskolleginnen und Kollegen und Nachbarn, auch auf den Friedhöfen. Mariachi-Gruppen spielen traditionelle Musik auf den Gräbern, und rund um die Friedhöfe formieren sich Menschen als Skelette verkleidet zu festlichen, lauten und fröhlichen Umzügen. Kinder naschen Särge aus Schokolade und Verliebte schenken einander Totenköpfe aus Zuckerguss, auf deren Stirn sie den Namen der oder des Geliebten schreiben.

Hinter dem vordergründig fröhlichen und humorvollen, ja fast koketten Umgang mit dem Tod stehen ein tiefer Respekt und die Vorstellung vieler Mexikanerinnen und Mexikaner, dass die Verstorbenen rund um das christliche Fest Allerheiligen für 24 Stunden zu ihren Angehörigen „zu Besuch kommen“.

Die Menschen essen, trinken, singen und tanzen miteinander zu Hause, in den Straßen und auf den Friedhöfen, viele verkleiden und formieren sich zu Umzügen. Das Tor in die jenseitige Welt scheint in dieser Zeit einen Spalt geöffnet zu sein, die Schranke, die Leben und Tod voneinander trennt, scheint durchlässig zu werden.

Sendungshinweise

Der Tod als Teil des Lebens - die „Dias de los Muertos“ in Mexiko, Lebenskunst, 1.11.2019, 7.05 Uhr, Ö1

„Es lebe der Tod! – Die Dias de los Muertos in Mexiko“, Tao – aus den Religionen der Welt, 2.11.2019, 19.05 Uhr, Ö1

„Treffen“ mit den Ahnen

„Man glaubt, dass die Verstorbenen an einem bestimmten Datum ein Mal im Jahr zurückkommen, da tun wir alles für Sie“, sagte eine Frau aus Misquic im Gespräch mit dem ORF. Dieses „bestimmte Datum“ sind die Tage rund um Allerheiligen.

Dias de los Muertos in Mexiko

ORF/Maria Harmer

Auch Schaufenster werden passend dekoriert

Häufig ziehen vor allem am Nachmittag kleinere und größere Gruppen von Blechbläsern durch die Gassen der Orte und locken die Menschen zu großen Bühnen samt Verkaufsständen. Hier ist der Tod süß, allgegenwärtig sind Skelette aus Schokolade, Totenköpfe aus Marzipan, traditionelle mexikanische Musik und viel Alkohol. Der Tod kurbelt das Geschäft an. Großer Andrang herrscht auch dort, wo Spielzeug verkauft wird: floureszierende Skelette und Totenköpfe in Schneekugeln, gruselige Masken und Puppen sowie Plastikautos gibt es für wenige Pesos.

Orangefarbene Blüten weisen den Weg

Die traditionellen Blumen der „Dias de los Muertos“ sind besonders wichtig. Diese Blume war bereits für die Azteken wegen ihres schlechten Geruchs ein Symbol für den Tod. Doch ihre leuchtend gelb bis orangefarbenen Blüten helfen den Verstorbenen - so glauben die Lebenden - zu Beginn der Feierlichkeiten den Weg zu ihren Häusern und am Ende den Weg zu den Gräbern zurück zu finden. In vielen Haushalten werden sogenannte Ofrendas für die verstorbenen Verwandten hergerichtet. Hier hat auch die Trauer ihren Platz.

Dias de los Muertos in Mexiko

ORF/Maria Harmer

Die Vorbereitungen für die Dias de los Muertos beginnen schon früh

Auf diese Tische, bzw. Altäre kommt alles, was die Verwandten im Leben gern hatten: ihre Lieblingsspeisen und Getränke, Schminksachen für die Frauen und eventuell ein bisschen Alkohol und Tabak für die Männer, erklärte Marta Ramirez gegenüber dem ORF. Weitere Elemente, die auf keiner Ofrenda fehlen dürfen sind Kerzen, Weihrauch oder Copal (ein Baumharz), christliche Symbole wie Kreuze, Christusdarstellungen und ein Bild der „Jungfrau von Guadalupe“, der hoch verehrten Patronin Mexikos.

Der Tod als Teil des Lebens

Der mexikanische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Octavio Paz schrieb in seinem 1950 erstmals erschienenen Essay „Labyrinth der Einsamkeit“: „Der Kult des Todes ist, wenn er tiefgründig und vollkommen ist, auch ein Kult des Lebens. Beide sind untrennbar. Eine Kultur, die den Tod verleugnet, verleugnet auch das Leben“.

Der Tod ist in Mexiko Teil des Lebens. In die „Dias de los Muertos“ mischen sich prähispanische Traditionen aus den Kulturen der Maya und Azteken mit christlichen Vorstellungen, die Hernan Cortez und die spanischen Eroberer vor genau 500 Jahren über den Atlantik gebracht haben. Zusätzlich kommen vermehrt Elemente des keltischen Halloween dazu.

Dias de los Muertos in Mexiko

ORF/Maria Harmer

Totenköpfe in vielen Facetten prägen die Tage um Allerheiligen

Immaterielles Kulturerbe

Die meisten Mexikanerinnen und Mexikaner versuchen, während der „Dias de los Muertos“ bei ihren Familien zu sein. „Es ist essentiell, alles richtig zu machen, damit wir gemeinsam feiern können und die Seelen dann aber auch wieder den Weg zum Grab finden“, so der Festteilnehmer Pedro Garcia.

Die „Dias de los Muertos“ sind so einzigartig, dass das Fest, mit dessen Vorbereitung bereits Monate vorher begonnen wird, im Jahr 2003 von der UNESCO zum „Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ erklärt wurde und seither Teil des Weltkulturerbes ist.

Raum für gesellschaftspolitische Kritik

Weit über die Grenzen Mexikos hinaus bekannt sind auch die künstlerischen Darstellungen von Skeletten, allen voran „La Catrina“, eine Figur, die symbolisch für die „Tage der Toten“ in Mexiko geworden ist. Geschaffen wurde sie von dem Kupferstecher Jose Guadalupe Posada zu Beginn des 20. Jahrhunderts – als Kritik an der vorrevolutionären mexikanischen Oberschicht.

Dias de los Muertos in Mexiko

ORF/Maria Harmer

Die „Dias de los Muertos“ sind auch eine Zeit für Gesellschaftkritik

Bis heute sind diese Tage nicht nur Anlass für familiäre Feiern, sondern auch der Rahmen für gesellschaftspolitische Kritik an einzelnen Politikern ebenso wie an der Korruption. Die „Dias de los Muertos“ in Mexiko haben viele Facetten: Politisches Engagement, religiöse Traditionen und eine landesweite Fiesta.

Verachtung und Ironie gegenüber dem Tod

„Viva la Muerte!“, „Es lebe der Tod!“ oder wie Octavio Paz es ausdrückte: „Für einen Pariser, New Yorker oder Londoner ist der Tod ein Wort, dass man vermeidet, weil es die Lippen verbrennt. Der Mexikaner dagegen sucht, streichelt, foppt, feiert ihn, schläft mit ihm; er ist sein Lieblingsspielzeug und seine treueste Geliebte. Vielleicht quält ihn ebenso die Angst vor ihm wie die anderen, aber er versteckt sich nicht vor ihm noch verheimlicht er ihn, sondern sieht ihm mit Geduld, Verachtung oder Ironie frei ins Gesicht.“

Maria Harmer, Nina Goldmann, religion.ORF.at