Juden und Muslime nach Wahlen in Thüringen besorgt

Nach der Landtagswahl im deutschen Thüringen haben sich Vertreter von Juden und Muslimen besorgt geäußert. Zwar wurde die Linke stärkste Kraft, die AfD landete allerdings auf Platz zwei.

Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sprach am Sonntagabend von einer „Erosion der demokratischen Kultur“ in Deutschland. Das Ergebnis der AfD zeige, „dass in unserem politischen System etwas grundlegend aus den Fugen geraten ist“, sagte Knobloch. „Wo eine solche Partei Erfolge feiert, da gibt es ein Problem.“

Thüringen steht nach der Landtagswahl vom Sonntag vor einer äußerst schwierigen Regierungsbildung. Nach dem vorläufigen amtlichen Wahlergebnis erreichte die Linke 31 Prozent. Die AfD landete mit 23,4 Prozent auf Platz zwei vor der CDU mit 21,8 Prozent. Die SPD kam auf 8,2 Prozent, während Grüne und FDP mit 5,2 beziehungsweise fünf Prozent knapp den Einzug in den Landtag schafften.

Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland

APA/dpa/Matthias Balk

Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland

Schuster: Keine Protestwahl

Der aktuelle Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, stellete am Montag fest: „Fast ein Viertel der Wähler in Thüringen hat sich für eine rechtsradikale Partei entschieden“. Da es gerade in Thüringen keinen Zweifel an der rechtsnationalen Ausrichtung der AfD gebe, könne er die „Ausrede der Protestwahl“ nicht gelten lassen. Viele AfD-Wähler hätten sich „mit billiger rassistischer Stimmungsmache und Abwertung der regierenden Parteien einfangen lassen“. Schuster fügte hinzu: „Wer AfD wählt, wählt den Weg in ein antidemokratisches Deutschland.“

Mazyek: „Alarmzeichen“

„Wer heute die AfD gewählt hat, wusste genau, was er tat“, so die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. „Mit ihrer Stimme haben viele Wahlberechtigte eine Partei unterstützt, die seit Jahren mit ihrer Verharmlosung der NS-Zeit, ihrem offenen Nationalismus und dem von ihr geschürten Hass gegen Minderheiten, darunter auch die jüdische Gemeinschaft, den Nährboden für Ausgrenzung und rechtsextreme Gewalt bereitet.“

Für das Internationalen Auschwitz Komitee erklärte dessen Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner: „Für Überlebende der deutschen Konzentrationslager ist diese massive Zunahme der Stimmen für die AfD in Thüringen ein erneutes Signal des Schreckens, das eine weitere Verfestigung rechtsextremer Grundeinstellungen und Tendenzen in Deutschland befürchten lässt.“

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, twitterte: Dass rund ein Viertel der Wähler für eine „rechtsradikale beziehungsweise in Thüringen auch rechtsextreme Partei“ votiert hätten, sei „viel mehr als ein ‚Alarmzeichen‘“.

Katholischer Bischof mahnt zu Verantwortung

Der römisch-katholische Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr hat die Politik nach der Landtagswahl in Thüringen dazu aufgerufen, Verantwortung für das Bundesland zu übernehmen. „Jetzt ist nicht die Stunde für persönliche oder parteiliche Machtspiele“, erklärte Neymeyr am Montag mit Blick auf das Ergebnis, das eine Regierungsbildung schwierig macht. Bei den anstehenden Gesprächen müssten nun „die Interessen Thüringens“ im Mittelpunkt stehen.

Das Wahlergebnis zeige eine „deutliche Polarisierung“ der Gesellschaft und sei eine „große Herausforderung“ für Politiker wie Wähler gleichermaßen, ergänzte Neymeyr. Alle seien nun als „aufrechte Demokraten“ gefragt, wenn Populisten die komplizierte Lage etwa im Familienkreis oder am Arbeitsplatz dazu nutzen sollten, gegen die Demokratie zu polemisieren.

Evangelischer Bischof: Kompromiss schätzen

Bereits am Sonntagabend rief der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, die Menschen angesichts der absehbar schwierigen Regierungsbildung dazu auf, den Kompromiss als Kernelement der Demokratie zu schätzen. Dieser dürfe nicht als „Niederlage“ verstanden werden.

Kramer warnte davor, das Abschneiden der AfD als Protestwahl zu werten. „Es handelt sich hier um manifeste politische Grundüberzeugungen - wohin solche Überzeugungen in einem Klima von gewaltsamer Sprache und Hass führen können, haben uns die Ereignisse in Halle gezeigt“, erklärte der Bischof mit Blick auf den jüngst von einem Rechtsextremisten verübten Anschlag auf die dortige Synagoge.

Koalitionen können nur unter Einbeziehung entweder der Linkspartei oder der AfD auf Mehrheiten kommen. Ein Bündnis mit der AfD schlossen alle anderen aus. Eine Koalition aus Linken und CDU wäre absolutes Neuland. Rechnerisch wäre außerdem auch eine Viererkoalition von Rot-Rot-Grün mit der FDP möglich. Die Liberalen lehnen dies bisher allerdings ab.

religion.ORF.at/KAP/KNA/AFP

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