Missbrauch: Schönborn verteidigt Benedikt XVI.

Kardinal Christoph Schönborn hat den früheren Papst Benedikt XVI. (2005-2013) gegen den Vorwurf verteidigt, er habe Missbrauchstäter unter katholischen Geistlichen nicht entschieden genug verfolgt.

Wer behauptet, der frühere Kurienkardinal Joseph Ratzinger habe sich dem Thema nicht gestellt, „der kennt die Fakten nicht“, sagte Schönborn im Blick auf Vorwürfe, die in dem aktuellen Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens“ erhoben werden. So verdanke es die Kirche Ratzinger, dass 2001 ein eigener Gerichtshof an der Römischen Glaubenskongregation eingerichtet wurde, der Missbrauchstäter streng verurteilt. Dagegen habe es seinerzeit erhebliche Widerstände in der Kurie gegeben, wie Schönborn sagte.

Zudem seien auf Initiative Ratzingers die Ausführungsbestimmungen zu den Missbrauchsnormen verschärft worden. Das von Kardinal Ratzinger eingesetzte Gericht hat nach Angaben des Vatikan seither mehrere hundert überführte Missbrauchstäter aus dem Priesterstand entfernt.

Klare Linie im Fall Groer

Aus seiner eigenen Erfahrung erklärte Schönborn, schon bei den 1995 erhobenen Vorwürfen gegen den mittlerweile verstorbenen Wiener Kardinal Hans Hermann Groer habe Ratzinger eine klare Linie vertreten und eine Kardinalskommission gefordert, die den Fall untersuchen sollte. Ratzinger sei damals mit diesem Vorschlag aber am Widerstand anderer im Vatikan gescheitert.

Im Fall des Ordensgründers der „Legionäre Christi“ sei Ratzinger entschieden gegen den Mehrfachtäter Marcial Maciel Degollado (1920-2008) vorgegangen, sobald er nach seiner Wahl zum Papst die Macht dazu hatte, so Schönborn weiter. 2006 war Maciel ohne Gerichtsverfahren seiner Ämter enthoben worden; zwei Jahre später starb er mit 87 Jahren.

Kardinal Christoph Schönborn

APA/Erwin Scheriau

Kardinal Schönborn betont Ratzingers Initiativen gegen Missbrauch

Kino macht Missbrauch zum Thema

Die Rolle von Papst Benedikt XVI./Kardinal Ratzinger im Umgang mit Missbrauchstätern im katholischen Klerus ist aktuell ein zentrales Thema in dem Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens“, der in dieser Woche in deutschen Kinos anläuft. Der Österreich-Start des Films ist noch nicht bekannt.

Bei einer Diskussion am Montagabend im Grazer Schubertkino zum Francois-Ozon-Film „Gelobt sei Gott“ über den Missbrauchsskandal in der Erzdiözese Lyon sagte Waltraud Klasnic von der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft: „Niemand hat so viel gemacht wie die katholische Kirche“, um Missbrauchsfälle der Vergangenheit aufzuarbeiten, den Opfern gerecht zu werden und Präventivmaßnahmen zu setzen. Mit Klasnic diskutierten der Grazer Moraltheologe Walter Schaupp und der diözesane Gerichtsvikar Gerhard Hörting.

Mehr als 27 Millionen Euro bezahlt

Mehr als 2500 Fälle habe die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft gegen Missbrauch und Gewalt seit ihrer Gründung im Jahr 2010 bearbeitet, informierte Klasnic laut der Website der Diözese Graz-Seckau. „Bei allen Erstgesprächen war unser erstes Bestreben, das Leid anzuerkennen und um Entschuldigung zu bitten.“

Mehr als 27 Millionen Euro habe die durchwegs mit kirchenunabhängigen Fachleuten besetzte Kommission bisher für Therapie und Entschädigung zugesprochen. Der Umgang der katholischen Kirche in Österreich mit Missbrauch sei vorbildlich für andere Organisationen und Länder, hielt die Opferschutzanwältin fest. Dabei würden nur 1,5 Prozent aller Übergriffe die Kirche betreffen, seit 2004 gebe im kirchlichen Umfeld in Österreich praktisch keine Fälle mehr.

Waltraud Klasnic

APA/EXPA/Michael Gruber

Waltraud Klasnic leitet die Opferschutzanwaltschaft

Änderungen in Priesterausbildung

In der katholischen Kirche hat sich seit Bekanntwerden dieser Verbrechen viel getan, bestätigte Gerichtsvikar Hörting. Er verwies auf Änderungen in der Priesterausbildung mit psychologischen Tests und Begleitung.

Dazu gebe es eine von der Bischofskonferenz vorgegebene Rahmenordnung für ein Verfahren im Fall eines Verdachtsfalles sowie eine Leitlinie zum Thema Missbrauch, die von allen Diözesanangestellten unterschrieben werden muss. Dennoch müsse das Thema präsent bleiben, betonte Hörting: „Missbrauch ist kein moralisches Thema, sondern ein Verbrechen - und wir müssen über dieses Verbrechen reden.“ Denn Schweigen mache ohnmächtig.

Fehlende Reue belastet Opfer

Moraltheologe Schaupp unterstrich die Wichtigkeit der Versöhnung: „Man war schnell mit Bekenntnis und Wiedergutmachung, aber nicht mit der Reue.“ Das Fehlen von Reue seitens der Täter belaste viele Opfer bis heute. Opferanwältin Klasnic gab dazu zu bedenken, dass man vieles nicht wiedergutmachen könne: „Das Leben der Betroffenen ist oft gebrochen und sie wissen nicht, warum sie scheitern.“ Um möglichst alle Betroffenen mit Anspruch auf eine Opferschutzrente zu erreichen, führe man auch Gespräche in Heimen und auch Gefängnissen.

Neben dem sexuellen Missbrauch tritt laut der Diözese Graz-Seckau eine weitere Form des Missbrauchs zutage: der Missbrauch von Macht in Abhängigkeitsverhältnissen - nicht nur in der Kirche, sondern zum Beispiel auch in der Medizin. Diesem Thema widmet sich ein Symposium, das die Diözese am 29. und 30. November zusammen mit der Medizinischen Universität Graz und Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Graz veranstaltet.

religion.ORF.at/KAP

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