Skandale: Katholische Kirche in Indien in der Krise

Mord, Vergewaltigung und Korruption erschüttern die römisch-katholische Kirche in Indien. Die Skandale schwächen ihre Position angesichts der Angriffe der regierenden Hindunationalisten auf Minderheiten.

Das berichtete die APA bezugnehmend auf einen Artikel der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA am Montag. Im neuesten Fall steht Bischof Kannikadass William Antony im Mittelpunkt: 37 Priester seiner Diözese Mysuru in Karnataka und das indische Laiennetzwerk „Besorgte Katholiken“ werfen dem Bischof unter anderem finanzielle Unregelmäßigkeiten, Korruption und sexuelles Fehlverhalten vor. In einem Brief haben sie Papst Franziskus um Entlassung des Bischofs gebeten. Der Fall reiht sich ein in eine Kette von Verfehlungen.

Mit der Verlesung der Anklageschrift begann etwa am Montag in Kerala der Vergewaltigungsprozess gegen Franco Mulakkal. Der Bischof von Jalandhar im Punjab soll zwischen 2014 und 2016 im Kloster Kuravilangad in Kerala eine Ordensfrau wiederholt vergewaltigt zu haben. Dem 55-Jährigen, für dessen Diözese Jalandhar der Papst im September 2018 einen Übergangsleiter ernannt hat, droht eine lebenslange Haftstrafe. Er bestreitet die Taten.

Opfer unter massivem Druck

Die Ordensfrau hatte sich zu einer Anzeige bei der Polizei entschlossen, nachdem ihre Briefe mit Vorwürfen gegen Mulakkal an die Bischofskonferenz und den Apostolischen Nuntius in Indien ohne Konsequenzen blieben. Fünf Mitschwestern sehen sich laut Medienberichten wegen öffentlicher Solidaritätsbekundungen für das mutmaßliche Opfer unter massivem Druck seitens der Kirche und ihres Ordens.

Im Fall von Kardinal George Alencherry hat der Vatikan den Hilfeschrei von 450 Priestern und Laien aus dessen Erzdiözese Ernakulam gehört: Für sie ist Alencherry der Hauptschuldige in einem Immobilienskandal, durch den die Kirche umgerechnet rund neun Millionen Euro verloren hat. Der Vatikan hat inzwischen den Beschluss der Synode der mit Rom unierten syro-malabarischen Kirche von Kerala zur Trennung von Kirchenführung und Diözesanverwaltung gebilligt.

Drei Priester unter Mordverdacht

Hinzu kommt der Mord an dem Rektor des St Peter’s Pontifical Seminary in Bengaluru in Karnataka, den drei Priester und drei katholische Laien begangen haben sollen. „Kerala und Karnataka sind nicht die einzigen Unionsstaaten mit Kirchenskandalen“, sagte Virginia Saldanah, eine der prominentesten katholischen Theologinnen des Landes, im Gespräch mit der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Für den Menschenrechtsaktivisten und ehemaligen Präsidenten der 1909 gegründeten All India Catholic Union, John Dayal, ist nicht der sexuelle Missbrauch an Kindern durch Priester - „so schwerwiegend das auch ist“ - das größte Problem der indischen Kirche. „Einvernehmliche und nicht-einvernehmliche Allianzen Erwachsener sind vielleicht bekanntere Beispiele für moralische Verfehlungen, die lange ignoriert wurden“, sagt Dayal und fügt hinzu: „Es wurden in den letzten Jahren viel zu viele Geistliche und Ordensleute von ihren Opfern öffentlich beschuldigt, um weiter so zu tun, als gebe es dieses Problem nicht.“

Stimmung gegen Christen

Die Kirchenskandale spielen den herrschenden Hindunationalisten von Premierminister Narendra Modi in die Hände, die Stimmung gegen Christen machen. Den Schwestern des Mutter-Teresa-Ordens werfen sie etwa Kinderhandel vor. Dayal befürchtet, die Kirche stehe auf verlorenem Posten, wenn sie sich weiterhin als unfähig erweise, auf solche Anschuldigungen zu reagieren - und mit den Skandalen in den eigenen Reihen offen umzugehen. „Nach meiner Meinung hat Transparenz, auch wenn sie zunächst wehtut, eine große Heilungskraft.“

Bisher wurden Skandale von der Hierarchie unter der Decke gehalten. „Durch die modernen Kommunikationstechnologien werden aber solche Dinge heute öffentlich“, so Theologin Saldanah. „Die Kirche kann sich nicht mehr wie bisher hinter ihrer Geisteshaltung verstecken: ‚Wir haben recht, weil wir eine moralische Macht sind‘.“ Durch diese Haltung zweifelten die Menschen zunehmend an der Glaubwürdigkeit und moralischen Führungsfähigkeit der Kirche. Sie selbst frage sich, ebenso wie viele andere in ihrer Heimat-Erzdiözese Mumbai, angesichts des Verhaltens vieler Priester und Bischöfe: „Glauben die noch an denselben Gott wie ich?“

religion.ORF.at/APA/KAP