D: Evangelische Kirche gegen Zahlungen bei Missbrauch

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will keine pauschalen Entschädigungszahlungen für Missbrauchsopfer leisten, sondern andere Maßnahmen setzen und auch Geld in die Prävention investieren. Den Betroffenen gehen die Schritte der Kirche nicht weit genug.

„Entschädigung ist genau nicht, was wir als Institution leisten können“, sagte das Mitglied des EKD-Beauftragtenrates, Nikolaus Blum, am Dienstag zum Auftakt der Synode der EKD. Konkrete Maßnahmen für Missbrauchsopfer wurden bei dieser Versammlung allerdings sehr wohl beschlossen, unter anderem die Einrichtung eines Betroffenenbeirates.

Debatte über Beweisbarkeit vermeiden

Zur Frage der Entschädigungen meinte Blum: „Welche Institution könnte allen Ernstes entschädigen, was ein Täter jemandem an Leid angetan hat?“ Die Forderungen nach Zahlungen in unterschiedlichem Umfang führten zwangsläufig zu Auseinandersetzungen über die Beweisbarkeit von Sachverhalten und damit zu den Verfahren, die Betroffene lange Zeit stark belasten und retraumatisieren würden.

„Wir wollen der Forderung nach individueller Aufarbeitung nachkommen und sie mit einem professionellen Anerkennungs- und Unterstützungssystem für und mit den Betroffenen verbinden, das auch nach Verjährung und ohne strenge Nachweispflichten seine Wirksamkeit entfaltet“, erklärte Blum.

Anerkennungs- und Unterstützungssystem

Das von der EKD präferierte Modell setze darauf, sich gemeinsam mit den betroffenen Menschen oder ihren Anwälten darüber zu verständigen, was ihr Leid lindert und ihnen für die Zukunft neue Möglichkeiten eröffnet. „Es geht auch darum, sich als Institution auseinanderzusetzen, ins Gespräch zu gehen“, sagte Blum. „Dass dies so behutsam, unbürokratisch und schonend wie möglich geschehen muss, ist selbstverständlich.“ In diesem Sinne setze sich der Beauftragtenrat für die Weiterentwicklung des kirchlichen Anerkennungs- und Unterstützungssystems ein.

Die für die Missbrauchsaufarbeitung zuständige Hambuger Bischöfin Kirsten Fehrs kündigte bei der Synode die Einrichtung eines Betroffenenbeirates zur Missbrauchs-Aufarbeitung an. Das Konzept dazu sei vom Rat der EKD im September beschlossen worden. Der Beirat solle als kritisches Gegenüber zur EKD die Betroffenenperspektive in den Aufarbeitungsprozess einbringen und eigene Positionen formulieren. „Ab sofort ist es Betroffenen aus dem Bereich der evangelischen Kirche und der Diakonie möglich, sich für diesen Beirat zu bewerben“, erklärte Fehrs. Gesucht würden zwölf Personen für die Dauer einer Amtszeit von vier Jahren.

Gewaltsschutzrichtlinie im Herbst erlassen

Fehrs berichtete, dass der EKD-Rat im Oktober überdies eine Gewaltschutzrichtlinie erlassen habe, die weiter gehe als das Strafrecht. „Es wird klargestellt: Immer dann, wenn Kinder involviert sind, gibt es keinen Ermessensspielraum. Sexuell bestimmtes Verhalten bei Kindern ist immer und ohne Ausnahme sexualisierte Gewalt“, sagte die Bischöfin.

Sie betonte, dass eine Spielmethode wie „Original Play“ damit nicht vereinbar sei, weil die Möglichkeit, es für Grenzüberschreitungen gegenüber Kindern zu nutzen, offensichtlich sei. Bei dem Programm „Original Play“ finden in Kitas sogenannte Spieletreffs statt, bei denen fremde Menschen mit den Kindern toben und rangeln.

770 Opfer ermittelt

Ein Jahr nach dem Start der strukturierten Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) inzwischen rund 770 Opfer ermittelt. Viele der Betroffenen seien Heimkinder in diakonischen Einrichtungen gewesen, Übergriffe gab es aber auch in Kirchengemeinden, sagte Bischöfin Fehrs.

Um die Beteiligung der Opfer an der Aufarbeitung auszubauen, werde die Kirche einen Betroffenenbeirat einrichten. Die für Prävention und Aufarbeitung für 2020 bereits eingeplanten Mittel von 1,3 Millionen Euro stocke die EKD um eine Million Euro auf, kündigte Fehrs an.

Entschädigungen gefordert

Den Opfern gingen die Schritte der Kirche nicht weit genug, sagte Kerstin Claus als Sprecherin für die Betroffenen. Die evangelische Kirche habe lange gezögert, ehe sie die Missbrauchsproblematik erst 2018 offensiv angegangen habe. Nun müsse die Kirche die Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt rücken, es sei eine transparente Entschädigungsregelung nötig. Wie Claus sagte, gehe es nicht darum, dass die Kirche sich freikaufe. Nötig sei ein lebenslanges Bemühen, den Opfern gerecht zu werden.

religion.ORF.at/KAP/KNA/dpa

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