Missbrauch: Pells Berufungsantrag angenommen

Der wegen Kindesmissbrauchs verurteilte australische Kardinal und frühere Vatikan-Finanzchef George Pell hat im Kampf um einen Freispruch einen juristischen Etappensieg errungen: Der Oberste Gerichtshof Australiens wird sich erneut mit dem Fall befassen.

Pell kann nun weiterhin auf einen Freispruch hoffen. Das oberste australische Gericht, der High Court in der Hauptstadt Canberra, entschied am Mittwoch (Ortszeit), sich mit dem Einspruch zu befassen und seinen Antrag nicht schon im Vorfeld abzulehnen. Damit könnte die ehemalige Nummer drei des Vatikans möglicherweise noch um eine mehrjährige Haftstrafe herumkommen.

Die Begründung der richterlichen Entscheidung soll zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden. Der Kardinal war bei der Anhörung und Entscheidung des Höchsten Gerichts am Mittwoch nicht anwesend. Er sitzt seit März in einer Einzelzelle in einem Melbourner Gefängnis. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung des Gerichts trafen Pells Anwälte zu einer Unterredung mit ihrem Mandanten zusammen, berichtete die Zeitung „Sydney Morning Herald“. Eine Stellungnahme Pells oder seiner Anwälte gab es zunächst nicht.

Geschworene befanden Pell schuldig

Pell hatte vor dem Obersten Gericht Berufung gegen den Schuldspruch eines Geschworenengerichts eingelegt. Er verbüßt derzeit eine sechsjährige Haftstrafe, weil er sich dem Urteil der Geschworenen zufolge in den 90er Jahren in der Kathedrale von Melbourne an zwei Chorknaben verging. Pell hatte die Vorwürfe gegen sich stets entschieden zurückgewiesen. In dem Berufungsantrag argumentierten seine Anwälte, der Geistliche hätte wegen der dünnen Beweislage nicht schuldig gesprochen werden dürfen.

Kardinal George Pell

Reuters/Alessandro Bianchi

Kardinal George Pell ist der ranghöchste römisch-katholische Geistliche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde

Mit der neuerlichen Befassung wird frühestens nach der Sommerpause des Gerichts im Februar gerechnet. Der 78-Jährige hofft darauf, dass seine Verurteilung aufgehoben wird. Pell ist der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Er war lange ein enger Vertrauter von Papst Franziskus.

Erster Berufungsantrag abgelehnt

Pell war im März wegen des Missbrauchs von zwei Chorknaben zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Verurteilung basierte überwiegend auf der Aussage eines der Missbrauchsopfer. Das zweite mutmaßliche Missbrauchsopfer war 2014 an einer Überdosis Drogen gestorben und hatte sich nie zu den Vorfällen geäußert.

Der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates Victoria hatte im August einen ersten Berufungsantrag von Pell mit der Begründung abgewiesen, dass der Hauptzeuge als äußerst glaubwürdig einzustufen sei. Daraufhin zogen die Anwälte des 78-Jährigen vor den Obersten Gerichtshof Australiens, der den Berufungsantrag nun zur Prüfung annahm. Falls Pell am High Court einen Freispruch erreichen sollte, wäre er wieder ein freier Mann.

Ranghöchster verurteilter Geistlicher

Der Vatikan hatte Pell untersagt, sein Priesteramt öffentlich auszuüben und Kontakt mit Minderjährigen zu haben. Er gehört nicht mehr zum Beratungsgremium des Papstes, sein Mandat als Finanzchef lief automatisch aus. Nach dem Urteil des Geschworenengerichts im März kündigte der Vatikan an, abwarten zu wollen, bevor er über weitere Konsequenzen entscheidet. Pell könnte womöglich seinen Kardinalstitel verlieren.

Er selbst weist seit jeher alle Vorwürfe zurück. Die Anwälte des Geistlichen hatten argumentiert, dass zwei der drei Richter des Berufungsgerichts, die das Urteil im August bestätigten, Fehler gemacht hätten. Aufgrund von Aussagen einiger Zeugen hatten sie zudem angezweifelt, ob Pell überhaupt die Gelegenheit dazu gehabt habe, die Buben zu missbrauchen. Die Anwälte plädierten daher für einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft bestritt hingegen, dass Fehler unterlaufen seien. Daher gebe es auch keine Grundlage für einen Einspruch.

Der Australier ist der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der jemals wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt wurde. Der Fall reicht in die Jahre 1996/97 zurück, als Pell gerade Erzbischof von Australiens zweitgrößter Stadt Melbourne geworden war. Nach einem Gottesdienst soll er sich an den zwei Chorknaben vergangen haben, die damals 13 Jahre alt waren.

religion.ORF.at/dpa/AFP

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