Zulehner kritisiert Regierung für „Kopftuchkränkung“

Der Wiener Theologe Paul M. Zulehner bezeichnet die geplante Ausweitung des Kopftuchverbots als fortgesetzte „Kopftuchkränkung“ gegenüber Muslimen. Es sei „kein Dienst am religiösen Frieden und ein Bärendienst an wirklicher kultureller Integration“.

Der Theologe und Werteforscher schrieb auf seinem Blog zulehner.wordpress.com, dass damit „rassistische Vorurteile bestärkt würden, die bei einem Teil der Bevölkerung ausgeprägt vorhanden sind“. Zulehner berief sich auf Daten aus der noch unveröffentlichten Studie „Religion im Leben der Österreicher*innen 1970-2020“. Er kritisierte weiters den „krassen Eingriff in die Elternrechte“, die „Aushöhlung der Religionsfreiheit“ und die Konzentration allein auf Muslime. „Demütigung ist kein guter Weg zur Integration“, so der Theologe.

Zuletzt hatten Bildungsminister Heinz Faßmann und Integrations- und Frauenministerin Susanne Raab ein auf Mädchen unter 14 Jahren ausgeweitetes, bisher nur für Volksschülerinnen geltendes Kopftuchverbot der türkisgrünen Regierung verteidigt. Faßmann nannte „Emanzipation und kritische Reflexion über Traditionen“ in der ZiB am Sonntag den „Kern unseres Bildungsauftrags“; Raab erläuterte am Dienstag im Ö1-„Morgenjournal“ ihr Ziel, in Schulen allen Mädchen zu vermitteln, „dass sie selbstbestimmte, selbstbewusste Frauen werden“, und stellte eine Ausweitung des Kopftuchverbots auf Lehrerinnen in den Raum.

Gegenteil von Integration bewirkt

Dazu Zulehner: „Das von der Regierung geplante Kopftuchverbot dient nicht dazu, muslimische Mädchen in ihrer weiblichen Entwicklung zu fördern und sie sicher in unsere Gesellschaft zu integrieren.“ Die Wertschätzung der Demokratie werde durch so eine „Symbolpolitik“ bei den Muslimen geschwächt, warnte er.

Und unter den Muslimen der zweiten Generation würden „die derzeitigen gewaltförmigen Integrationsbemühungen faktisch desintegrierend wirken“. Die heimischen Muslime bräuchten nicht Diktate, sondern Entwicklungsanreize, Dialog und Respekt, betonte Zulehner. Die derzeitige Politik gegen den „politischen Islam“, „gegen das Kopftuch“ usw. sei eine ausgrenzende Botschaft: „Wir wollen Euch nicht im Land!“

Paul M. Zulehner

kathbild/Franz Josef Rupprecht

Der Theologe Paul M. Zulehner übt scharfe Kritik an dem Vorgehen der Regierung

„Schlecht kaschierte Wahltaktik“

Für seinen „grimmigen Verdacht“, das Kopftuchverbot sei lediglich eine subtile und schlecht kaschierte Wahltaktik, führte der schon mit früheren Europawertestudien betraute Theologe „hier erstmals veröffentliche Daten aus der Studie ‚Religion im Leben der Österreicher*innen‘“ ins Treffen. Eine der dort gestellten Fragen bezog sich auf Symbole im öffentlichen Raum wie Kreuz, Christbaum, oder auch aus das religiösen Gründen getragene Kopftuch. Elf Prozent aller Befragten sahen letzteres eher positiv, 40 Prozent eher negativ, berichtete Zulehner. Der Mehrheit von 45 Prozent sei das egal.

Diese Antwort variiere allerdings stark nach parteipolitischer Präferenz der Befragten: Die Kopftuchgegner sympathisieren mit der FPÖ (60 Prozent negativ) und der ÖVP (51 Prozent). Mit dem Verbot bediene die ÖVP offenbar die zuletzt von der FPÖ übergewechselten Wähler, so der Theologe. Diese würden sich über den entsprechenden Gesetzesantrag im Parlament freuen, obwohl dieser „die in ihnen sitzenden Ängste nicht abnehmen wird, sondern nur bestätigt, dass sie diese haben“.

Kritik an Begriff „politischer Islam“

Zulehner wandte sich auch scharf gegen das „Unwort politischer Islam“: Keine Religion in Österreich sei parteipolitisch, aber jede Religion als Akteurin in der Zivilgesellschaft „sehr wohl politisch“, wie auch das Handeln von Caritas, Diakonie und auch Bischofskonferenz zeige. „Natürlich abzulehnen“ ist laut Zulehner „Männer-gemachte Gewalt in allen Religionen, also auch bei evangelikalen Fundamentalisten, die vor Abtreibungskliniken Frauen und Ärzte bedrohen“ oder Missbrauch der Religion für Gewalt und Terror. Dies gelte aber für alle Religionen.

Einem praktizierenden Teil der gläubigen Muslime sei das Kopftuch als religiöses Symbol heilig, werde aber nicht toleriert - „was sich übrigens bei den Kopfbedeckungen anderer großer Religionen niemand traut, schon gar nicht bei der Kippa eines gläubigen Juden“, wie Zulehner anmerkte.

Fremdenfeindliche Ressentiments geschürt

Eine „schwer wiegende Nebenwirkung“ des Kopftuchverbots in der Gesellschaft ist laut dem Wiener Religionssoziologen auch, dass vorhandene fremdenfeindliche bis rassistische Ressentiments in der Gesellschaft gefördert würden. Auch dafür gebe es Anhaltspunkte in der neuen Studie: Auf die Frage, wen die Befragten nicht gern als Nachbarn hätten, fanden sich neben Vorbestraften, Menschen anderer Hautfarbe, Links- und Rechtsextremisten, Drogenabhängigen oder Homosexuellen auch häufig genannt: Muslime.

71 Prozent jener, die keine muslimischen Nachbarn wollen, seien auch gegen das religiös motivierte Tragen eines Kopftuches, informierte Zulehner. Er erinnerte an jene muslimische Familie in Weikendorf (NÖ.), die von der Lokalpolitik auf Widerstand in ihrem Bestreben stieß, ein Grundstück zu erwerben und sich anzusiedeln.

Werte werden „beschädigt“

Zulehner warnte eindringlich vor einem politisch geschürten „Prozess nachhaltiger Entsolidarisierung“. Denn „wer mit Fremden nicht solidarisch sein kann, verlernt es auch in der Familie und im Betrieb“. Wie sehr auch der Vorrat an Solidarität durch die „Kopftuchsymbolpolitik“ mitbetroffen ist, zeigen laut dem Werteforscher ebenfalls neueste Umfrage-Daten: „Solidarische“ Menschen - die auf „Teilen von Lebenschancen“ setzen - seien merklich weniger intolerant gegen ein religiös getragenes Kopftuch (37 Prozent negativ) als unsolidarische (50 Prozent negativ).

Zulehners kritisches Fazit: „Es werden in unseren Tagen mit einer unglaublich unfundierten Selbstgewissheit Werte beschädigt, die in unserem Land lange als hohes Gut galten: Religionsfreiheit, Elternverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder, Dialog, Respekt, Toleranz. Im Namen der geduldigen Wertesicherung wird in atemloser gesetzgeberischer Hektik Werteaufweichung von oben betrieben.“ Er rechne damit, wie er schrieb, dass der von der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) eingebrachten Beschwerde in der Kopftuchfrage vom Verfassungsgerichtshof stattgegeben wird. „Alles andere wäre ein josephinisch-staatsabsolutistischer religionspolitischer Rückschritt.“

religion.ORF.at/KAP

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