Missbrauch: Jesuit sieht weiter Handlungsbedarf

Der deutsche Jesuitenpater Klaus Mertes sieht zehn Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der römisch-katholischen Kirche weiteren Handlungsbedarf.

„Trotz aller Fortschritte gibt es riesigen Nachholbedarf“, sagte der ehemalige Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, der im Jahr 2010 sexuelle Straftaten von Geistlichen an Schülern öffentlich gemacht hatte, NDR Info. „In den Institutionen muss sich die Kultur zum Umgang mit dem Thema ändern“, so Mertes. „Weg von der Opferrolle, hin zur Aufklärung.“

Am 28. Jänner 2010 waren Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg aus den 70er und 80er Jahren öffentlich geworden. Das Bekanntwerden dieser Missbrauchsfälle war der Beginn einer ganzen Reihe von Enthüllungen, die sich vor zehn Jahren zum Missbrauchsskandal rund um die katholische Kirche verdichteten. Diese stürzte dadurch in eine Vertrauenskrise.

Opfervertreter kritisiert mangelnde Aufklärung

Der Opfervertreter Matthias Katsch kritisierte mangelnden Aufklärungswillen. Die katholische Kirche habe bis heute keine „unabhängige Aufarbeitung“ vorgenommen, sagte der Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. Er kritisierte zugleich den Staat, der dies bisher dulde.

Das Canisius Kollege in Deutschland

APA/AFP/Johannes Eisele

Vor zehn Jahren wurden Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg aus den 70er und 80er Jahren öffentlich

„Die Institution Kirche hält ihre Akten bei sich, und der Staat hat da lange genug zugesehen.“ Das müsse sich endlich ändern. Das Problem sei aber letztlich ein gesellschaftliches. Die Gesellschaft müsse begreifen, dass Kindesmissbrauch „ein massives Problem“ sei.

Dazu gehöre es, Aufmerksamkeit und Geldmittel bereitzustellen. Bis heute sei die Finanzierung der Fachberatungsstellen für Betroffene „prekär“, kritisierte Katsch. Missbrauch sei „verbreitet wie eine Volkskrankheit“. Zugleich werde das Problem bislang aber nur „mit Heftpflastern“ behandelt.

Missbrauchsbeauftragter: „Ohrenbetäubendes Schweigen“

Auch der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sieht zehn Jahre nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg und anderen katholischen Einrichtungen weiter erheblichen Handlungsbedarf beim Kinderschutz. Rörig warnte zudem vor neuen Gefahren. „Mädchen und Jungen sind in Deutschland auch im Jahr 2020 zu wenig vor sexuellen Gewalttaten geschützt“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Dienstag.

„Es ist bitter festzustellen, aber alle bisherigen Anstrengungen von Bund, Ländern, Kommunen, Kirchen, Wohlfahrt und dem organisierten Sport haben nicht gereicht, das unerträgliche Leid vieler tausend Mädchen und Jungen einzudämmen.“ Er kritisierte, in Deutschland werde „ohrenbetäubend geschwiegen“. „Ich bin immer wieder erschrocken darüber, mit welcher Gelassenheit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von Teilen der Gesellschaft hingenommen wird.“ Er forderte für Deutschland einen „Pakt gegen Missbrauch“.

Aufklärung nicht abgeschlossen

Im Bayerischen Rundfunk bezeichnete Rörig die Aufklärung der Vorgänge in der katholischen Kirche am Dienstag als nicht abgeschlossen. „Im Missbrauchsskandal, bezogen auf die katholische Kirche, sind wir in der Situation, dass die unabhängige Aufarbeitung sich immer noch in der Anfangsphase befindet“, sagte er. Dies gelte auch für die evangelische Kirche. Gleichwohl legten die Institutionen inzwischen sicherlich „ein gesteigertes Tempo“ an den Tag.

In den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Dienstag sah Rörig außerdem großen Handlungsbedarf bei dem Thema sexueller Missbrauch. „Mädchen und Jungen sind in Deutschland auch im Jahr 2020 zu wenig vor sexuellen Gewalttaten geschützt.“ Es sei „bitter festzustellen“, dass alle bisherigen Anstrengungen von Staat, Kirchen und Verbänden nicht ausgereicht hätten. Durch Internet und soziale Medien seien vielmehr „neue Abgründe“ dazugekommen.

Neue Dimensionen im Netz

Mit der Digitalisierung des Alltagslebens erreiche die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen neue Dimensionen, warnte Rörig. So würden Vergewaltigungen von Kindern, oft von nahestehenden Familienangehörigen, immer häufiger gefilmt und als sogenannte Kinderpornografie ins Netz eingestellt. Der Missbrauchsbeauftragte rief Politiker und Parteien zu einem härteren Vorgehen gegen Täter auf. „Wer dauerhaft verantwortet, dass nichts oder zu wenig für Schutz und Hilfe getan wird, läuft Gefahr, sich dem Vorwurf der Duldung auszusetzen.“

religion.ORF.at/dpa/AFP

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