Vatikan-Archive: Hoffnung auf Klarheit über Pius XII.

Neue Forschungserkenntnisse, reichlich Gesprächsstoff und mehr Klarheit erhoffen sich Wissenschaftler und Theologen von der für Anfang März geplanten Öffnung der Vatikanischen Archive zu Papst Pius XII.

Viele Fragen zum Wirken von Papst Pius XII. seien offen und überschatteten das jüdisch-christliche Verhältnis, sagte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, am Montagabend auf einer Diskussionsveranstaltung in Frankfurt. Beispielsweise sei unklar, welche Rolle der Papst bei der Rettung der römischen Juden gespielt habe, so Schuster. Es sei zu hoffen, dass die katholisch-jüdische Zusammenarbeit sich in der historischen Erforschung der vatikanischen Archive fortsetze.

Ab dem 2. März werden die vatikanischen Archive aus der Zeit von Papst Pius XII., dessen Pontifikat von 1939 bis 1958 dauerte, für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Pius XII. (1876-1958) wurde in der Vergangenheit das „Schweigen der Kirche“ zur Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten zum Vorwurf gemacht. Schuster sagte, durch die Öffnung der Archive erhoffe er sich mehr Klarheit. „Die katholische Kirche sollte neue Erkenntnisse zum Anlass nehmen, sich deutlich zu ihrer Verantwortung zu bekennen.“

Historiker: Brisante Fragen noch offen

Die Konzentration der Forschung auf das Verhalten des Papsts während der Shoah habe dazu geführt, dass weitere brisante Fragen nicht ausreichend bearbeitet worden seien, sagte der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster. Der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag-Ausgabe) sagte er, das Material umfasse alleine im Vatikanischen Archiv mehr als 200.000 Akteneinheiten mit bis zu 1.000 Blatt.

Papst Pius XII. 1955

APA/AFP/OFF

Durch die Öffnung der Vatikanischen Archive wird sich mehr Klarheit über Papst Pius XII. erhofft

„Die ganze Welt“ hoffe auf Antworten aus dem Material, was die katholische Kirche wann von der Ermordung der Juden im Nationalsozialismus wusste und wie sie reagiert habe. Auch auf andere Themen könne das Archiv Antworten liefern, etwa zur Furcht von Pius XII. vor dem Kommunismus, sagte Wolf.

Muslime als mögliche Partner

Der Vatikan hatte nach Aussage Wolfs schon in den späten 1930er Jahren den Islam bzw. Muslime als mögliche Partner gegen Faschismus, Kommunismus und Materialismus ausgemacht. 1938 seien weltweit Fragebögen mit 15 Fragen zum Islam verschickt worden, sagte Wolf der „Süddeutschen Zeitung“.

Im Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur Kathpress führte er aus: „Wir wissen schon, dass am Ende des Pontifikats von Pius XI. (1922-1939) grundlegende Überlegungen angestellt wurden: Brauchen wir den Islam, eine monotheistische Weltreligion, als Partner gegen Kommunismus, Nationalismus, Liberalismus? Oder ist er mit katholischem Denken nicht zu vereinbaren?“

Fragebögen werden ausgewertet

Der Kirchenhistoriker verspricht sich unter anderem zu diesem Thema neue Erkenntnisse von der bevorstehenden Öffnung der Vatikan-Archive. Die meisten der Fragebögen zum Islam seien erst im neuen Pontifikat Pius XII. zurück nach Rom gekommen und könnten nun ausgewertet werden.

Aus solchen Berichten erfahre man auch von der Gründung der Muslimbrüder in Kairo, so Wolf im SZ-Gespräch. Da heiße es etwa, „junge Männer fingen plötzlich an, sich hinter dunklen Bärten zu verstecken, weil sie glauben, das habe der Prophet Mohammed auch so gemacht“.

Bischöfe wollen Ergebnisse auswerten

Auch der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr, in der Deutschen Bischofskonferenz Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, hofft auf neue Aufschlüsse aus der Zeit des Pontifikates in den Jahren 1939 bis 1958.

In dem Archiv könne wichtiges Material enthalten sein zum Umgang des Vatikans mit dem NS-Regime, „besonders bezüglich der Verfolgung und unvorstellbaren Ermordung der Juden, aber auch zur Frage, ob und wie 1945 Vertretern des NS-Regimes zur Flucht verholfen wurde und wie der Vatikan sein Verhältnis zum Staat Israel gestaltete“, sagte er. Die Deutsche Bischofskonferenz wolle die Arbeit der Historiker und deren Ergebnisse aufmerksam auswerten.

Johannes Heil, Universitätsprofessor an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, nannte die Öffnung der vatikanischen Archive einen „großen Fortschritt“. Die Erkenntnisse würden keine Diskussion beenden, aber auf eine fundiertere Basis stellen, sagte er.

religion.ORF.at/AFP/dpa/KAP

Mehr dazu:

Link: