Als der Stephansdom in Flammen stand

In der Nacht von 11. auf 12. April 1945 fing der Stephansdom Feuer. Die Pummerin zerschellte, das Dach stürzte ein. Die Zerstörung war verheerend. Doch Schritt für Schritt wurde der Dom wiederaufgebaut. Für ihn gaben die Österreicher ihr letztes Hemd.

„Der Dom hat viel erlebt“, sagte Annemarie Fenzl, langjährige Diözesanarchivarin, im Gespräch mit der Religionsabteilung des ORF. Große Brände im Mittelalter, in denen fast alle Glocken zerstört wurden.

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Die Kanonenkugeln der Türken, von denen zum Gedenken zwei in der Südwand des Doms stecken. Ein Erdbeben im 16. Jahrhundert, bei dem der hohe Turm beschädigt wurde, und die Granaten aus den Franzosenkriege im 19. Jahrhundert, bei dem der Turm schließlich zerstört wurde. Katastrophen und Kriege - alles habe der Dom „mehr oder weniger überstanden“.

„Böse Nazis und böse Kommunisten“ nicht Schuld

Doch 1945, vom 11. bis 13. April - es war in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges -, „ist es dem Stephansdom zum ersten Mal in seiner langen Geschichte echt schlecht gegangen“. Da wurde „die Mutter der Kirchen auch nicht mehr verschont“, sagte Fenzl.

Darüber, wie es zum Brand gekommen war, gab es früher viele Spekulationen. „Es hat immer geheißen, ‚das waren die bösen Nazis‘ oder ‚das waren die bösen Kommunisten‘.“ Je nachdem, auf welcher Seite der Betroffene gestanden sei. Doch die Quellen zeichnen ein anderes Bild.

Der Stephansdom steht in Flammen, April 1945

Archiv der Dombauhütte

In den letzten Kriegstagen stand plötzlich der Stephansdom in Flammen

Laut Augenzeugenberichten wurde der Stephansdom nicht beschossen. Plünderer lösten den Brand in der Kirche aus. Sie steckten die Geschäfte in Brand, aus denen sie geplündert hatten und erzeugten so eine Kettenreaktion: Das Feuer ging auf das Haas-Haus über, und dann drehte der Wind. Ein Feuersturm erhob sich über das Domdach und erreichte schließlich den von einem Holzgerüst umgebenen Nordturm.

Orgelweihe verschoben

Das Gedenken an den Brand sollte in einen großen Festgottesdienst im Stephansdom begangen werden. Die restaurierte Riesenorgel hätte am Ostersonntag wieder erklingen sollen. Doch wegen der Coronavirus-Maßnahmen mussten die Arbeiten an der Orgel pausieren, die Weihe wurde verschoben.

Sakristeidirektor blieb im Dom

Der wichtigste Augenzeuge des Brandes war der damalige Sakristeidirektor Lothar Kodeischka (1905-1994). „Er hat den Dom nicht verlassen. Er war die ganzen Tage während dieser Katastrophe dabei. Er hat sich in den Katakomben ein Bett hingelegt und hat dort gehaust“, sagte Fenzl. Kodeischka konnte durch sein Verbleiben im Dom „immer wieder neue Brandherde“ entdecken und gemeinsam mit Helferinnen und Helfern löschen, wie er in einem ausführlichen Bericht zu der Katastrophe festhielt.

Doch das Feuer ließ sich letztlich nicht eindämmen, die enormen Schäden nicht verhindern. Am 12. April brannte das Dach ab und die 22-Tonnen-schwere Pummerin stürzte in die Tiefe und zerschellte „mit grauenhaftem Getöse“ am Boden. Als Glut auf die Riesenorgel fiel, erfasste sie die vielen Holzteilchen im Inneren, bald stand das Instrument komplett in Flammen.

„Kopf Christi ist intakt geblieben“

Am 13. April stürzte schließlich das Gewölbe ein. Zerstört wurde auch das gotische Lettner-Kreuz. Es hing vom Triumphbogen herab, nur der obere Teil des Längsbalkens und der Querbalken mit den angebrannten, herabhängenden Unterarmen des kopflosen Corpus waren noch vorhanden. Das hölzerne Haupt wurde noch am selben Tag im Schutt gefunden. Das Kreuz wurde später vom Künstler Josef Troyer rekonstruiert, die Brandspuren am Kopf sind geblieben.

Kardinal Christoph Schönborn empfindet die Geschichte des Lettner-Kreuzes als besonders berührend: „Für mich ist das so ein starkes Symbol. Vieles ist verbrannt, aber der Kopf Christi ist intakt geblieben“.

Eheringe für den Dom

Die Nachricht vom Brand der Stephanskirche erschütterte viele Österreicherinnen und Österreicher. Der Ansage von Kardinal Theodor Innitzer: „Na, wir werden ihn halt wieder aufbauen müssen“, konnten sich viele Menschen anschließen. Freilich gab es auch jene, die angesichts der prekären Situation nach dem Krieg argumentierten, dass das Geld an anderer Stelle besser aufgehoben sei.

Obwohl die Bevölkerung in der Nachkriegszeit mit Armut und Elend zu kämpfen hatte, spendeten Frauen und Männer Geld, um den Wiederaufbau voranzutreiben. Fenzl, die sich mit der Geschichte des Brandes intensiv auseinandergesetzt hat, berichtete auch von Familienschmuck und Eheringen, die dem Dom geschenkt wurden, um die Restaurierungen zu bezahlen.

Stephansdom, 1945, vom Brand zerstört

APA/Museum der Stadt Wien/[JAE]

Das Ausmaß der Katastrophe erschütterte viele Menschen

Bundesländer halfen mit

Das Geld war immer wieder knapp. Mit Spendenaktionen wie der „Dachziegelaktion“, bei der man Dachziegel um fünf Schilling kaufen konnte, halfen, Mittel für die Dombauhütte zu lukrieren. 1951 begab sich der damalige Dompfarrer Karl Dorr auf eine Fahrt durch die Bundesländer, um Gelder für St. Stephan zu erbitten. Es war eine von Erfolg gekrönte Reise. Die Bundesländer beteiligten sich mit Geld- und Sachspenden in Wert von 2,8 Millionen Schilling.

Sendungshinweis

„Brandakte Stephansdom - Rekonstruktion einer Katastrophe“, Montag, 13.4.2020, 20.15 Uhr, ORF III

Dass der Stephansdom in der Nachkriegszeit innerhalb von sieben Jahren wieder aufgebaut werden konnte, war letztlich einer gemeinsamen Kraftanstrengung der österreichischen Bevölkerung, der Länder, der Kammern und der Regierung zu verdanken.

Auch aus dem Ausland flossen Gelder in den Dom. Fenzl: „So war es dann möglich, dass im Dezember 1948 das Langhaus eingeweiht werden konnte, und am 26./27. April 1952 dann mit der feierlichen Choreröffnung der ganze Dom wiedereröffnet werden konnte - und zwar so schön, wie er war.“

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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