CoV-Krise zunehmend Thema der Theologie

Nach anfänglicher Schockstarre über die Coronavirus-Pandemie und das Alltagsleben einschränkende Schutzmaßnahmen mehren sich nun grundsätzliche Überlegungen rund um das Virus, seine Ursachen und Folgen - und das auch vonseiten der Theologie.

Wie zuvor der Grazer Reinhold Esterbauer und die Wienerin Regina Polak stellen dieser Tage an österreichischen Fakultäten lehrende Theologinnen und Theologen Diskussionsbeiträge ins Internet, die sich um Aspekte wie „Strafe Gottes“, das Offenbar-Werden einer kapitalistischen Marktlogik oder um staatlich beanspruchte, dem Gemeinwohl unterordnende „Pastoralmacht“ ranken.

Die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer geht auf die zuletzt mehrfach diskutierte Frage ein, ob Katastrophen und Seuchen legitimerweise als Strafe Gottes gedeutet werden können. Viele biblische, insbesondere prophetische Texte, die Katastrophen literarisch widerspiegeln, seien mit einer „Trauma-Hermeneutik“ zu lesen: „Dort reden Traumatisierte von einem Gott, der all das Unheil zur Strafe für begangenes Unrecht und Fehlverhalten geschickt habe.“

Strategie der Krisenbewältigung

Das sei eine Strategie der Krisenbewältigung, um nicht noch ohnmächtiger zu werden. Die Schuld bei sich selber zu suchen statt bei einem für wirksamen Schutz „zu schwachen“ Gott kann laut Fischer ein Anfang sein, um wieder handlungsfähig zu werden: „Denn wenn ich etwas dazu getan habe, dass es so gekommen ist, kann ich in Zukunft etwas vermeiden und damit ein Stück Sicherheit bekommen, nicht wieder in eine ähnliche Situation zu geraten.“

Kirche Maria am Gestade in Wien

Reuters/Lisi Niesner

Leere Gotteshäuser, keine Messen (Maria am Gestade in Wien)

Freilich - eine Pandemie als Geißel Gottes zu bezeichnen ist nach den Worten der Theologin nur jenen erlaubt, für die das im Zuge der Verbalisierung des Erlebten einen ersten Ausweg aus der Krise darstellt. „Wer Traumatisierten einzureden versucht, dass die Notlage als Strafe Gottes zu verstehen sei, potenziert in verantwortungsloser Weise deren seelische Belastung und ist - wie schon das Buch Hiob lehrt - theologisch völlig verkehrt.“

Woher das Leid kommt, sei eine der großen Menschheitsfragen, die in Zeiten einer Pandemie „auch bei uns nach einer längeren Phase des Wohlergehens nun wieder gesamtgesellschaftlich von Bedeutung werden“, stellte Fischer fest.

Achten auf Belastbarkeit der Solidarität

Für Walter Schaupp, Professor für Moraltheologie und Mediziner an der Uni Graz, haben Gesellschaften die „Pflicht, jedes rettbare Leben zu retten“. Sie dürften dabei aber nicht andere wichtige Güter aus den Augen verlieren. Es stellen sich laut dem Theologen „Fragen der Verhältnismäßigkeit, was die eingesetzten Mittel angeht, und zwar umso mehr, je einschneidender sie sind und je länger die Maßnahmen andauern“. Schaupp meint damit nicht ein zumutbares Zurückfahren von Aktivität, warnt aber vor für viele Betriebe existenzbedrohende wirtschaftliche Folgen und erinnert an die mit der Stilllegung des Bildungssystems verbundene Verletzung des Rechtes auf Bildung.

Eine weitere Herausforderung, die mit dem Andauern der Krise wachsen könnte, sei die Belastbarkeit der Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Schaupp erinnert an die zunächst in Großbritannien vorherrschende Auffassung, wie bei anderen Epidemien müsse man Tote einfach in Kauf nehmen. „Dies kommt dem Staat billiger, bedeutet aber eine Preisgabe einer gesellschaftlichen Grundsolidarität und ein Verschieben der Lasten zu den Alten“, warnte der Theologe.

Negative Effekte kommen ans Licht

Positiv erscheint Schaupp, „dass die Krise schonungslos gewisse negative Effekte der kapitalistischen Marktlogik, ans Licht bringt“. Etwa die chinesischen Gastarbeiter in Italien, deren Existenz bis vor kurzem weitgehend unbekannt war; oder dass „entwürdigende Bilder medizinischer Versorgung“ nun zu Symbolen für kaputtgesparte Gesundheitssysteme würden.

Als positive Effekte bewertete Schaupp auch die Erfahrung, dass ein anderes, langsameres Leben möglich ist und dies auch dem Klima guttut: „Über manchen Städten des Planeten sind inzwischen die Abgaswolken und Dunstglocken verschwunden.“ Der Moraltheologe hofft - wie er schreibt - auf umfassendere soziale und ökologische Lernprozesse, die durch die Pandemie angestoßen werden.

„Niemand ist verzichtbar, alle zählen“

Die Coronavirus-Krise offenbart eine früher der Kirche obliegende „Pastoralmacht“, die nun der Staat hat und derzeit auch stark beansprucht: Für den Gebrauch dieser Macht gilt laut dem Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander, zugleich alle wie auch jede Einzelperson einer Gesellschaft im Blick zu haben und individuelles wie auch kollektives Wohl zu verfolgen.

„Es verbietet sich für diese Macht, bloß auf das Glück der größtmöglichen Zahl hin zu agieren, für das dann Opfer unter weniger Glücklichen in Kauf genommen werden“ - also jene Strategie, die ursprünglich die Regierung von Boris Johnson gewählt habe. Wenn demgegenüber die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer TV-Ansprache erkläre „Niemand ist verzichtbar, alle zählen“, dann werde „auf offener säkularer Bühne eine Pastoralmacht gerade auch des demokratischen Staates“ erlebbar, wie Sander darlegte.

Selbstdisziplinierungsgebote

Auffällig ist für den Salzburger Theologen, dass strenge Selbstdisziplinierungsgebote zunächst in kulturell stark vom Katholizismus geprägten Staaten umgesetzt wurden - so in Italien, Österreich, Spanien, Belgien und innerhalb Deutschlands Bayern und Saarland. „Ob hier mehr der katholische Hang zum Autoritären durchschlägt oder die Behörden die allseits bekannte Chuzpe des Katholischen in Rechnung stellen mussten, katholisch-kirchlichen Moral- und Ordnungsansagen zunächst einmal immer mit Schlupflöchern zu entgehen“, so Sander.

Er beobachtet in der katholischen Kirche trotz aller offiziellen Zustimmung der Diözesen zu den einschneidenden Maßnahmen den Hang, „Sonderinteressen nachzugehen“. Als Beispiel nennt Sander einen deutschen Bischof, der kürzlich ankündigte, er würde zu Ostern dem Wunsch nach Mundkommunion natürlich entsprechen. Ähnlich hätten zuletzt ein Ex-Jugendbischof agiert, der vom Coronavirus als Strafe Gottes für mangelnden Glauben schwadronierte, und ein Ex-Befreiungstheologe, der das Virus als Vergeltungsmaßnahme von Mutter Erde sah.

religion.ORF.at/KAP

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