Wie die Bibel missinterpretiert wurde

Der kürzlich erschienene Sammelband „Bibel falsch verstanden“ klärt über hartnäckige Missinterpretationen biblischer Texte auf. Mehrere Bibelstellen wurden und werden laut Expertinnen und Experten missverstanden und falsch interpretiert.

„Macht euch die Erde untertan“ hieß es in älteren Bibelübersetzungen über die berühmte Aufforderung Gottes in der Schöpfungsgeschichte an die Menschen, die bis heute Quell von Interpretationen in Richtung einer grenzenlosen Ausbeutung der Natur ist.

Nicht nur die „Herrschaft“ des Menschen über die Erde, auch viele andere biblische Inhalte werden dabei von Fachleuten einem kritischen Blick auf ihre Rezeption unterzogen - etwa: Will Gott den Schmerz der Menschen, wie die Vertreibung aus dem Paradies nahelegt? Hat er von Abraham ein Kindesopfer verlangt? Gilt in der Bibel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“? Und: Vermittelt das Neue Testament eine „jüdische Kollektivschuld am Tod Jesu“?

Aufgeschlagene Gutenberg-Bibel

APA/dpa/Axel Heimken

Mehrere Bibelstellen wurden und werden laut Expertinnen und Experten missverstanden und falsch interpretiert

In dem 304 Seiten umfassenden, von den beiden Mainzer Bibelwissenschaftlern Thomas Hieke und Konrad Huber herausgegebenen Buch finden sich insgesamt 33 Beiträge zu verschiedenen Missinterpretationen der Bibel. Die Autoren der kompetent und dennoch auch für interessierte Laien gut lesbaren Artikel lehren und forschen im ganzen deutschen Sprachraum; Mitwirkende aus Österreich waren u.a. die Bibelwerks-Direktorin Elisabeth Birnbaum, die Grazer Alttestamentlerin Irmtraud Fischer und der Innsbrucker Neutestamentler Boris Repschinski SJ.

Buchhinweis

Thomas Hieke und Konrad Huber (Hg.) „Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt“, Katholisches Bibelwerk Stuttgart 2020, 300 Seiten, 23,60 Euro.

Wurzel der ökologischen Krise

Der deutsche Alttestamenter Julius Steinberg beleuchtet in seinem Artikel „Zur Ausbeutung freigegeben?“ das Buch Genesis (Gen 1,26-28). In der neuen Einheitsübersetzung lautet Gottes „Herrschaftsauftrag“ dort: „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über ... alle Tiere...“

Die hier angesprochene „Unterwerfung“ deutete der US-Wissenschaftshistoriker Lynn White schon in den 1960er-Jahren als Wurzel der ökologischen Krise, weil das jüdisch-christlich geprägten Denken den Menschen eben als Herrscher über die Schöpfung sehe. Der verstorbene Schlagerstar Udo Jürgens widmete dem Thema sogar ein ganzes Lied („Die Krone der Schöpfung“, 1999), in dem es heißt: „Was kümmert uns die Zukunft, wir beichten im Gebet: / Verzeih’ mir meine Habgier, denn mein ist der Planet!“

Machtausübung mit Verantwortung

Dem hält Steinberg entgegen: Der Herrschaftsauftrag in Genesis 1 bezieht sich auf die Landwirtschaft, auf Ackerbau und Viehzucht. Massentierhaltung oder Umweltprobleme seien damals kein Thema gewesen; „dass zur Machtausübung auch Verantwortung gehört, jedoch sehr wohl“. Der Bibelwissenschaftler deutet die viel diskutierte Bezeichnung des Menschen als „Ebenbild Gottes“ mit dessen Verständnis als Stellvertreter oder Statthalter Gottes auf Erden: „Es gilt, die von Gott geschaffenen Lebensräume zu schützen und zu erhalten.“

Geburtsschmerz - eine „Strafe Gottes“?

Die „Strafsprüche“ Gottes nach der Vertreibung aus dem Paradies (Gen 3,14-19) beleuchtet Ilse Müllner, Professorin für Biblische Theologie in Kassel: Dass Männer über Frauen herrschen sei ebenso wenig Gottes Wille wie der Geburtsschmerz und die Mühen des Ackerbaus, schreibt sie in der jedem Beitrag anheftenden Zusammenfassung „In aller Kürze...“ Hier würden Aspekte der Lebenswirklichkeit dargestellt, die als bedrohlich und mühselig erfahren werden, „Lebenserfahrungen, mit denen Menschen bis heute ringen und an deren Überwindung sie immer noch arbeiten“.

Weitere Artikel zeigen z.B. auf, dass es bei biblischen Texten über sexuelle Akte unter Männern „nicht um Homosexualität im heutigen Sinne“ - also um eine gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung - geht, oder rücken die für das Alte Testament als charakteristisch behauptete Formel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zurecht: Gemeint seien vielmehr Prinzipien angemessenen Ausgleichs für Körperverletzungen, die nicht auf Wiederschädigung des Schädigers, sondern auf Entschädigung des Geschädigten abzielten.

„Weder drei noch Könige“

Und auch das Neue Testament ist Gegenstand von Fehldeutungen: Der Beitrag „Weder drei noch Könige“ widmet sich dem Stern von Bethlehem und den „Magiern“ auf seinen Spuren; es wird erklärt, was es mit der Jungfrauengeburt auf sich hat oder wie Maria Magdalena zu Unrecht zur „großen Sünderin“ wurde, warum am Verhalten des „ungläubigen“ Apostels Thomas nichts Tadelnswertes ist und dass es einen Wandel „vom Saulus zum Paulus“ in den neutestamentlichen Schriften nicht gibt.

religion.ORF.at/KAP