„Laudato si“: Papst-Schreiben als „Game-Changer“

Vor genau fünf Jahren ist die Umwelt- und Sozialenzyklika „Laudato si“ („Gelobt seist du“) von Papst Franziskus veröffentlicht worden. Am 18. Juni 2015 erschien sie in acht Sprachen. Aus heutiger Sicht gilt sie vielen als sein wichtigstes Schreiben.

Der deutsche Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber bezeichnete es gar als „Game-Changer“. „Laudato si“ sorgte weit über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus für Aufsehen - und auch Kontroversen. Der Titel leitet sich vom „Sonnengesang“ des heiligen Franz von Assisi ab, nach dem sich der Papst benannt hat. In der Enzyklika mit dem Untertitel „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ zeichnet Franziskus auf rund 220 Seiten und in sechs Kapiteln das Bild einer gefährdeten Schöpfung.

Die zentrale Frage des Dokuments lautet: „Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?“ Ein effizienter Kampf gegen Umweltzerstörung und Klimawandel sei nur möglich, wenn der wohlhabende Teil der Menschheit seinen Konsum einschränkt und den Lebensstil grundlegend ändert. In „Laudato si“ wird Umweltschutz untrennbar verknüpft mit der Forderung nach weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Die Enzyklika fand weltweit viel positives Echo, Kritik kam etwa seitens des konservativen Flügels der US-Republikaner - der Papst solle sich um Dinge der Kirche kümmern, so sinngemäß die Aussagen von katholischen Politikern wie Jeb Bush und Rick Santorum.

Arme am schlimmsten betroffen

Franziskus schreibt von einer einzigen, umfassenden sozio-ökologischen Krise: Umweltschutz, Armutsbekämpfung und der Einsatz für Menschenwürde gehörten untrennbar zusammen. Ein wirklich ökologischer Lösungsansatz sei deshalb immer auch ein sozialer Ansatz, „der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde“, nicht zuletzt, weil von der Ökokrise die Armen am schlimmsten betroffen seien. Die Lösung kann deshalb für den Papst nur in einer „ganzheitlichen Ökologie“ oder „Humanökologie“ liegen.

Nonne liest Laudato si

Reuters/Max Rossi

„Laudato si“ zog weite Kreise

Enzyklika als „Game-Changer“

Die Enzyklika zog nach Einschätzung des deutschen Klimaforschers Hans-Joachim Schellnhuber weit über die Kirche hinaus Kreise: Sie habe „geradezu die Wirkung eines Game-Changers entwickelt“, sagte der Gründer des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Interview mit dem Portal vaticannews.va aus Anlass des Jahrestags. Dass dieser sich mit seinem moralischen Gewicht in die Debatte eingemischt und ihr Prägung verliehen habe, habe „die Stimmung der Klimaverhandlungen und auch allgemein der Klimaaktivitäten der sozialen Bewegungen nachhaltig verändert“, so der Experte.

Schellnhuber ist Mitautor der Enzyklika und hatte sie bei deren Erscheinen präsentiert. „Laudato si“ sei „viel weiter gefasst“ als eine reine Klima-Enzyklika und habe zu erfolgreichen Entwicklungen im Klimabereich - angefangen mit der Pariser Klimakonferenz von 2015 - ganz entscheidend beigetragen, so der Experte.

„Fridays for Future“-Bewegung inspiriert

Der Text habe die Zivilgesellschaft inspiriert, darunter auch die „Fridays for Future“-Bewegung, und unkonventionelle Bündnisse wie etwa zwischen Kirche und Wissenschaft, Teilen der Wirtschaft oder sozialen Bewegungen entstehen lassen. Da das „Ritual“ der großen Klimakonferenzen an Bedeutung verliere, sei dies wichtig: In der Klimadebatte komme „eigentlich viel mehr Kraft aus der Mitte der Gesellschaft selbst“, so der Papst-Berater. Mit dem in der Enzyklika skizzierten Konzept der integralen Ökologie sei die katholische Kirche „ein ganz bedeutender Beweger in der gesellschaftlichen Debatte“.

Klimaaktivistin Greta Thunberg bei der Generalaudienz mit Papst Franziskus

APA/AP/Gregorio Borgia

Klimaaktivistin Greta Thunberg bei einer Generalaudienz mit Papst Franziskus im April 2019

Doch auch für die Kirche selbst habe das Dokument eine große Bedeutung, weil es „generell die Stimmung mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit verändert hat“ und ihr damit einen großen Sympathiegewinn beschert habe, sagte der Klimaforscher. „Laudato si“ habe viele Menschen veranlasst, „sich wieder stärker an der katholischen Kirche - und an Papst Franziskus - zu orientieren“, so Schellnhuber.

Positionierung der Kirche in Sachen Umwelt

Die Kirche habe sich damit in Hinblick auf die Welt, die Zukunft, die Natur und die Schöpfung positioniert und mit diesen Bereichen auseinandergesetzt - weshalb die Enzyklika außer für Klimafragen auch für die Bedeutung des Spirituellen in der modernen Welt „einen großen Schritt nach vorn“ gebracht habe.

Als Verbindungslinie zwischen den in „Laudato si“ geschilderten Themen und der aktuellen Coronaviruskrise bezeichnete der Wissenschaftler vor allem, „dass wir die Achtung vor der Schöpfung verloren haben“. „Je tiefer man etwa in unberührte Natur eindringt, desto größer ist eben die Gefahr, dass beispielsweise Seuchen entstehen, vom Tier auf den Menschen überspringen.“

Bewusstsein deutlich gestiegen

Der seit Jahren mit Ökologiethemen befasste Linzer Moraltheologe Michael Rosenberger sagte anlässlich des Jubiläums des Papst-Schreibens gegenüber Kathpress, die österreichischen Diözesen seien auf einem guten Weg, „zum Teil auf einem sehr guten Weg unterwegs“. Das Bewusstsein sei deutlich gestiegen, dass man dem Umweltthema in Zusammenhang mit sozialen Fragen sehr viel Aufmerksamkeit widmen müsse. In vielen Diözesen seien „danach tatsächlich beachtliche Dinge in Bewegung gekommen“, so der auch als Umweltsprecher der Diözese Linz fungierende Theologe.

Auch in vielen Pfarren habe die Enzyklika eine hohe Wirkung gezeigt. "Es ist zwar eine Minderheit, also vielleicht zehn oder 15 Prozent der Pfarren, aber in diesen „wurden Prozesse in Bewegung gebracht hin zum konkreten Handeln“. Rosenberger erwähnte die Gründung eigener Fachausschüsse für Schöpfungsverantwortung, die etwa in der Diözese Linz für einen „Quantensprung“ seit „Laudato si“ gesorgt hätten.

„Quantensprung“

Manche katholische Organisationen widmeten sich jetzt ebenfalls viel stärker dem Thema. „Eindeutig ist das beispielsweise in der Caritas sichtbar“, erklärte Rosenberger. Dort würden Fragen des ethischen Konsums gestellt, wie beispielsweise: „Wo kommen unsere Gegenstände her, die wir in unserer Caritas-Arbeit brauchen? Wie gestalten wir unsere Mobilität?“

Dem Linzer Theologen fällt auf, dass auch in vielen außerkirchlichen Kontexten Papst Franziskus als „Kronzeuge“ für Nachhaltigkeit zitiert werde. Etwa bei der jetzt allerdings durch das Coronavirus eingeschränkten „Fridays for Future“-Bewegung, wo der Papst auf der Website und anderswo als einer der Unterstützer genannt wird. „Das finde ich klasse, weil Kirche so im außerkirchlichen Feld eine ganz andere Position gewinnt“, so der Theologe. Bei „Fridays for Future“ seien auch viele Muslime dabei gewesen, die hier vielleicht eine Chance sähen, dass das Thema Klimaschutz Menschen über Religionsgrenzen hinweg verbindet.

gril, religion.ORF.at/KAP

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