Wie der Papst „unfehlbar“ wurde

Der Widerstand war so groß, dass viele Bischöfe das Erste Vatikanische Konzil vor 150 Jahren vorzeitig verließen: Beschlossen wurde das Dogma der Unfehlbarkeit dennoch. Es besagt, der Papst kann nicht irren, wenn es um Lehrentscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen geht.

Am 8. Dezember 1869 versammelten sich 791 Teilnehmer in Rom zum bis dahin größten Ökumenischen Konzil der katholischen Kirche. Es hatte schon zu Beginn Gerüchte gegeben, unter Papst Pius IX. könnte - das hochumstrittene Dogma - die päpstliche Unfehlbarkeit festgelegt werden, notfalls sogar durch Akklamation, also ohne förmliche Abstimmung.

In der Debatte über die neuen Dogmen - der Papst als höchste Rechtsgewalt (Jurisdiktionsprimat) und als höchste Lehrvollmacht (Infallibilität), sofern er Entscheidungen zu Lehr- und Moralfragen „ex cathedra“ (also von seinem bischöflichen Lehrstuhl aus) als unfehlbar verkündet -, äußerte eine beachtliche Minderheit Bedenken, wie die römisch-katholische Nachrichtenagentur Kathpress zum Jahrestag berichtete. Eine solche Definition würde dem Missbrauch des kirchlichen Lehramts Tür und Tor öffnen, so der Tenor.

Kritik von Theologen

Unter den Kritikern waren vor allem renommierte Theologen aus den USA, England sowie Frankreich. Auch in Deutschland regte sich Widerstand. Ignaz von Döllinger (1799-1890) aus München war der prominenteste Vertreter.

Man beobachtete besorgt, wie sich die ultramontane, also ganz auf Rom ausgerichtete Kirchenleitung den geistigen Strömungen der Epoche verschloss. 1864 fasste Papst Pius IX. (1846-1878), der sich nach einem vergleichsweise liberalen Beginn seiner Amtszeit zunehmend von „der Welt“ abgrenzte, alle abweichenden Meinungen im sogenannten Syllabus errorum als „Irrtümer“ der modernen Zeit zusammen und verurteilte sie pauschal, berichtete Kathpress. Döllinger und viele andere sahen den Zug der Moderne für die Kirche abfahren.

Erste Vatikanisches Konzil, Pius IX, 1869, Zeichnung

Karl Benzinger

Illustration Erstes Vatikanisches Konzil von Karl Benzinger (1873)

Bischöfe reisten ab

In der Vorbereitungssitzung stimmten von 601 Anwesenden 451 mit Ja, 88 mit Nein und 62 verlangten Änderungen. Ein Kompromiss, dass päpstliche Lehrentscheidungen nur dann als gültig anzuerkennen sind, wenn sie die Zustimmung der Bischöfe fänden, konnte nicht durchgesetzt werden.

Sendungshinweis

„Roma locuta – Causa finita“ - Mehr über den Papst und die Unfehlbarkeit in „Logos“ zum Nachhören

Nachdem ein letzter Vermittlungsversuch der Kritiker bei Pius IX. gescheitert war, reisten 57 von ihnen vorzeitig ab - um nicht in Anwesenheit des Papstes gegen die Dogmatisierung stimmen zu müssen. So erhielt die Konstitution „Pastor aeternus“ bei der Verabschiedung am 18. Juli 1870, vor 150 Jahren, lediglich zwei Gegenstimmen. Das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit wurde verkündet. Seit 1870 hat der Papst nur einmal, und zwar vor 70 Jahren, feierlich „ex cathedra“ eine neue Glaubenswahrheit verkündet. Pius XII. erklärte 1950 das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel.

Geburtsstunde der Altkatholiken

Der Entscheidung zugunsten der päpstlichen Unfehlbarkeit folgte ein Exodus vieler Intellektueller, wie Kathpress berichtete. Aus dem Widerstand gegen die Entscheidung entstand im deutschsprachigen Raum nicht zuletzt die von Rom abgelöste Altkatholische Kirche - eine auch in Österreich gesetzlich anerkannte Kirche.

Doch was bedeutet diese päpstliche Unfehlbarkeit eigentlich, die damals so heftig umstritten, sogar zur Gründung einer neuen katholischen Kirche führte? Es gehe ausschließlich um die Unfehlbarkeit „in Glaubensfragen und in Fragen der Sitten, die aus diesem Glauben heraus folgen“, sagte Andreas Kowatsch, Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien in der Ö1-Sendung „Logos“. „Es ist nicht eine Unfehlbarkeit in politischer Hinsicht oder in sozialwissenschaftlicher Hinsicht.“

Nicht jede Äußerung „unfehlbar“

Die Glaubensgemeinschaft werde sich ihres eigenen Glaubens bewusst, sagte Kowatsch. Und der Papst habe die Vollmacht dies dann auch auszudrücken, „wenn er sich explizit auf diese Vollmacht beruft“. Doch: „bei Weitem nicht jede Äußerung des Papstes ist mit dem Anspruch, den Glauben in einer endgültigen Weise vorzutragen, verknüpft.“

„Dieser Nimbus der Unfehlbarkeit“ färbe aber durchaus auf alle weiteren Äußerungen des Papstes ab. Sogar Interviews des Papstes, „die nicht einmal wörtlich wiedergegeben werden“, würden in der öffentlichen, aber auch in der innerkirchlichen Wahrnehmung, mit einer Verbindlichkeit „auftreten“. Kowatsch plädiert dafür, hier „die Kirche im Dorf zu lassen“. Man müsse genau hinschauen, wo „der Papst mit der Autorität der ganzen Kirche und für die ganze Kirche“ spricht und wo es sich im Grunde sogar um eine „Privatmeinung“ handelt, sagte der Kirchenrechtsexperte zu Ö1.

Leitung der Kirche

Mit der sogenannten Infallibilität wurde im Ersten Vatikanischen Konzil vor 150 Jahren auch das Jurisdiktionsprimat des Papstes verkündet. „Das sind zwei Seiten derselben Medaille“, sagte Kowatsch. Da die Kirche „in erster Linie eine Bezeugungsgemeinschaft des Glaubens“ sei, habe die Infallibilität im Glauben eine vorgeordnete Rolle. Doch „wahrscheinlich wichtiger“, auch weil die Infallibilität „sehr selten in Anspruch genommen wird“, sei das Jurisdiktionsprimat, also die Leitungsvollmacht des Papstes über die Kirche. Die wird etwa bei jeder Bischofsernennung deutlich. Sie sind schließlich dem Papst vorbehalten.

Das Erste Vatikanische Konzil wurde durch den Ausbruch des Deutsch-Französischen Kriegs in einer Sitzungspause 1870 unterbrochen. Der Kirchenstaat wurde von Italien besetzt, das Konzil vertagt und nicht wieder aufgenommen. Der Wiener Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück schrieb in einem Essay in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) über das Konzil, es sei „ein Torso geblieben“. Mehr als 90 Jahre später ergänzte das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) die Primat-Aussagen durch die Lehre von der Kollegialität der Bischöfe. Es legte also fest, dass sie an der Leitung der Gesamtkirche mitbeteiligt sind. Doch laut Tück habe es das Zweite Vatikanische Konzil hier an Klarheit fehlen lassen.

Papst-Primat nicht unumstritten

Bischofsernennungen am Votum der Ortskirchen vorbei, Diskussionsverbote oder das Vorgehen Roms gegen kritische Theologen wie Hans Küng, der 1970 in einer Streitschrift Kritik an der Unfehlbarkeit äußerte und dem daraufhin seine kirchlichen Lehrbefugnis entzogen wurde. All das zeige auf, dass es noch unerledigte Problemstellungen gebe, so Tück.

Anzustreben wäre laut dem Wiener Theologen ein „Communio-Primat“ und damit eine Amtsausübung des Papstes, die die Ortskirchen bei der Leitung der Gesamtkirche berücksichtigt. Papst Franziskus habe aber in seinem Pontifikat, so Tück, schon Schritte in die richtige Richtung gesetzt.

akin, religion.ORF.at

Mehr dazu:

Link: