„Selbstzerstörung“: Kritik an Vatikan-Papier zu Pfarren

Nachdem der Vatikan eine Instruktion zur Zukunft der Pfarrgemeinden herausgegeben hat, hagelt es Kritik. Theologen sprechen von einem „Beitrag zur Selbstzerstörung“, Arroganz, „Missachtung“ und einem „Rückschritt hinter das Zweite Vatikanische Konzil“.

In dem Schreiben der vatikanischen Kleruskongregation werden eine offizielle kollegiale Leitung sowie die Leitung durch Laien abgelehnt. Das Dokument zur Frage der Leitung von Pfarren stellt „eine klerikalistische Verengung dar“ und nimmt weder die Kompetenz der Laien, noch jene der Priester und Bischöfe oder der Ortskirchen ernst. Das hat der Wiener Pastoraltheologe Johann Pock in einem kritischen Kommentar für das theologische Feuilleton-Portal feinschwarz.net am Dienstag betont.

Auch wenn es „vieles an den strukturellen Überlegungen der Diözesen zu kritisieren gibt“, seien die meisten Reformbewegungen aus einem „ehrlichen und intensiven Überlegen“ entstanden, so der Theologe. Dringend erforderlich sei vonseiten Roms mehr Wertschätzung für diözesane Initiativen und eine Anpassung von kirchenrechtlichen Normen an veränderte Lebenssituationen, forderte Pock.

Dokument zeugt von „Missachtung“

Die am Montag veröffentlichte Instruktion mit dem Titel „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ zementiere ein „hierarchisches Kirchenbild“. Es zeuge gar von einer „tiefen Missachtung der realen Situation von Seelsorge und Pfarrgemeinden gerade in den deutschsprachigen Ländern“, so der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät in Wien.

Sendungshinweis:

  • „Religion aktuell“, 21.7.2020, 18.55 Uhr, Ö1

Die Instruktion habe zwar den Wunsch, den Klerikalismus zu überwinden, verfestige aber ein hierarchisches Konzept und „den Laien wird wiederum eingeschärft, was sie alles nicht sind und nicht tun dürfen“. Pock beobachtete hier einen ekklesiologischer Rückschritt hinter das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65), wo u.a. betont worden sei, „dass es die Kirche ohne die Welt nicht geben kann“. Deutliche Grenzen erhielten auch die Bischöfe, die laut dem Wiener Theologen mit einem Misstrauen vonseiten der römischen Kurialen gegen ihre Kompetenzen konfrontiert seien.

Pock ortet „viele Verlierer“

Für den Theologen gebe es „angesichts dieser Instruktion viele Verlierer“; einerseits die Diözesanleitungen, „denen der Reformeifer eingebremst wird“, aber auch die haupt- wie ehrenamtlichen Mitarbeiter in den Pfarren und die Pfarrer selbst, „denen unmögliche Rahmenbedingungen aufgedrückt werden“.

In Kauf genommen werde damit die Überforderung vieler Priester, die für Seelsorge, Leitung, Mission, Evangelisierung etc. zuständig seien. Man werde sehen, ob sich die Bischöfe diese Instruktion so gefallen lassen oder darauf reagieren, sagte Pock im Gespräch mit der Ö1-Sendung „Religion aktuell“.

Portrait von Johann Pock, Pastoraltheologe Uni Wien

ORF/Marcus Marschalek

Johann Pock ist Pastoraltheologe und Dekan der katholisch-theologischen Fakultät in Wien

Vorgehen „arrogant“

Scharfe Kritik an dem neuen vatikanischen Schreiben übten auch mehrere deutsche Theologen. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) nannte es der Tübinger Theologe Albert Biesinger am Dienstag „arrogant, ohne vorherige breite Konsultationen mit den Bischofskonferenzen weltweit über Perspektiven der Gemeindeentwicklung Vorgaben machen zu wollen“.

Biesinger sieht in dem Papier wörtlich einen „Beitrag zur Selbstzerstörung“. Die Instruktion zeige die Handschrift von zwei deutschen Priestern im Vatikan, so der emeritierte Religionspädagoge. Er empfahl ihnen, „zuerst fünf Jahre eine deutsche Großraumpfarre zu leiten und fünf Jahre am Amazonas zu arbeiten, bevor sie sich zu Seelsorgefragen äußern“.

Abbau der Kirche „vorprogrammiert“

Aus Sicht des Theologen ist das Papier insofern klug aufgebaut, als es im ersten Teil häufig Papst Franziskus zitiere, dessen innovatives Denken aber im zweiten Teil mit den praktischen Konsequenzen keine Rolle spiele.

Darin gehe es vorwiegend „um die Durchsetzung des Kirchenrechts vor 30 Jahren, das bei der Lösung der aktuellen Herausforderungen und Umbrüche nicht mehr angemessen und hilfreich“ sei. Auch die Beschlüsse der Amazonien-Synode kämen in der Instruktion nicht vor. Biesinger wörtlich: „Mit diesen Vorgaben ist der Abbau der Kirche in der Fläche vorprogrammiert.“

Überforderung für Priester

Priester würden noch mehr überfordert, und immer weniger würden diesen Beruf ausüben wollen. Der Theologe rief die deutschsprachigen Bischöfe auf, im Sinne „der von Papst Franziskus betonten Synodalität diesem Treiben Einhalt zu gebieten“. Eine rasche Überarbeitung dieser Instruktion sei unausweichlich.

Auch der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller kritisierte das neue Schreiben scharf. „Das Papier beantwortet Fragen von heute mit Antworten von gestern“, sagte er der KNA. Es handele sich um ein „durch und durch klerikales Papier“. Es werde rein vom Priester her gedacht und gehe an der tatsächlichen Lage der Diözesen und des kirchlichen Lebens in Deutschland vorbei.

Pfarrzusammenlegungen „erschwert“

Aus Sicht Schüllers nimmt das Dokument ausdrücklich kritisch Bezug auf geplante und laufende Veränderungsprozesse im deutschsprachigen Raum. „Die Anweisungen schränken den Handlungsspielraum eines Ortsbischofs ein“, so der Kirchenrechtler.

Eine Zusammenlegung von Pfarreien werde deutlich erschwert - wenn auch nicht unmöglich. Schüller rechnet damit, dass Diözesen Reformvorhaben und Modellprojekte nun noch weniger konkret in Worte fassen, um den römischen Vorgaben nicht entgegenzustehen.

Vatikan, dunkel, Petersdom spiegelt sich im Wasser

APA/AFP/Tiziana Fabi

Die vatikanische Kleruskongregation hat mit ihrer Instruktion breite Kritik ausgelöst

Kirchenrecht im „Übereifer vergessen“

Dass eine Pfarre vom Kirchenrecht her „nur von einem Priester letztverantwortlich geleitet werden“ kann, betonte allerdings der Wiener Kirchenrechtler Andreas Kowatsch in einer ersten Stellungnahme. Das neue Dokument bringe insofern in der Frage der Leitung von Pfarren „nichts fundamental Neues“, sondern rufe lediglich rechtliche Voraussetzungen in Erinnerung, die „im Übereifer manchmal vergessen werden“. Rom ziehe damit eine Grenze, die manche bisherigen Reformschritte kritisch infrage stellen könnte, so das Fazit von Kowatsch.

Somit würden Strukturreformen, die lediglich nach „einem Ersatz für nicht mehr in ausreichender Zahl vorhandene Pfarrer unter beauftragten Laien suchen“, die große Vision, dass alle Getauften „aktive Protagonisten der Evangelisierung sind“ verfehlen. Eine pastoral verantwortete Reform suche also nicht in erster Linie „Laien für die Mitarbeit am Dienst des Priesters“, sondern ermögliche das „Leben aus der Taufe im Dienst für die Gemeinschaft“, stellte der Theologe fest.

Klerikales Konzept „Mottenkiste“

In die „Mottenkiste der Geschichte“ gehört laut Kowatsch jedoch „ein rein klerikales Konzept der Kirche, das vom Pfarrer (oder vom Bischof bzw. Papst) her denkt“. Das erste Ziel der Reform von Pfarrstrukturen müsse eine immer breitere Beteiligung aller Getauften mit ihren unterschiedlichen Begabungen am kirchlichen Leben sein. Dieses Ziel wäre aber verfehlt, „wenn dabei das besondere Dienstamt des Priesters letztlich als ersetzbar erscheint“.

Schon jetzt sehe das geltende Recht der Kirche unterschiedliche Möglichkeiten der Leitung von Pfarren vor, stellte Kowatsch klar. In jedem Modell bleibe die Letztverantwortung aber bei einem „Gläubigen, der aufgrund des Sakraments der Priesterweihe nicht nur an der kirchlichen Sendung teilhat, sondern dies mit der Vollmacht Jesu Christi zu tun vermag“.

Zulehner sieht Licht und Schatten

Ein wenig Licht und viel Schatten sieht der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner. Einige Aussagen verdienten durchaus weiteres Nachdenken, über andere „sollte man den Mantel des befremdliches Schweigens hüllen: zum Beispiel wie wenig ein Römisches Dokument die biblischen Quellen zitiert.“

In wichtigen Punkten hinke das Dokument weit hinter der Entwicklung in vielen Ortskirchen nach, attestierte Zulehner: „So gesehen hat es einerseits zukunftsfähige Aspekte, ist aber andererseits eine Art pastoraltheologisches Museum.“

Dokument bleibt „klerikal“

Wie auch in der dogmatischen Konzilskonstitution über die Kirche (Lumen gentium) stünden widersprüchliche Aussagen unbekümmert nebeneinander: „Hier eine Priesterkirche, dort die Kirche als Gottesvolk. Die Instructio bietet das Schauspiel eines ekklesiologischen Eiertanzes.“ So werde zwar die Verantwortung des ganzen Gottesvolkes rhetorisch beschworen, trotzdem werde der Klerikalismus in gewohnter Franziskusmanier „verdonnert“, aber „wenn es um die Entscheidungsmacht geht, bleibt das Dokument munter ‚klerikal‘“, stellte Zulehner fest.

Pastoraltheologisch schmerze zudem der Satz, dass der Pfarrer der „grundlegende Bezugspunkt für die Pfarrgemeinde“ sei. Zulehner: „So frei vom auferstandenen Christus die Pfarrgemeinde zu definieren ist ziemlich kühn.“

Auch Stärken

Als Stärke des Dokuments bezeichnete der Wiener Theologe, dass es die geschichtlich gewachsenen Pfarrgemeinden in Schutz nehme. „Pfarrgemeinden dürfen nicht Opfer flächendeckender diözesaner Strukturpläne werden“, forderte Zulehner.

So hätten Strukturreformen nicht der Bewältigung des Mangels an Klerikern oder finanzieller Ressourcen zu dienen, sondern dürften einzig der Frage geschuldet sein, welche pastoralen Vorgänge strukturell sichergestellt werden müssen, damit das Kerngeschäft der Kirche, die Evangelisierung, gut geschehen kann. „Diesen Perspektivenwechsel könnte man in der Tat als eine Art ‚pastorale Umkehr‘ begreifen und herbeiwünschen.“

religion.ORF.at/KAP

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