Dokustelle: Muslime orten „islamfeindlichen Diskurs“

Im Zusammenhang mit der neu gegründeten Dokumentationsstelle „politischer Islam“ kritisieren österreichische Muslime einen „zunehmend fremden- und islamfeindlichen öffentlichen Diskurs in Österreich“.

In den vergangenen Jahren habe sich in Österreich ein „besorgniserregender Diskurs bezüglich der in Österreich lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere der muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern entwickelt“, schrieb die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) in einer Aussendung am Mittwoch.

Anlass der Wortmeldung ist die vergangene Woche von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) vorgestellte „Dokumentationsstelle Politischer Islam“. Die Muslimevertretung sei entgegen anderer Behauptungen im Vorfeld nicht eingebunden gewesen, heißt es in der Aussendung. Im Gegenteil, die Angebote der IGGÖ, beim Thema Extremismus zu kooperieren, seien abgelehnt worden.

Unterschiedliche Angaben

Dazu hieß es auf Anfrage von religion.ORF.at am Mittwoch aus dem Büro der Ministerin, die IGGÖ sei in der Planungsphase sehr wohl eingebunden gewesen, das letzte Gespräch habe es sogar zu Beginn der vergangenen Woche gegeben. Das Telefonat am Dienstag bestätigte die IGGÖ gegenüber religion.ORF.at, allerdings sei das nur die Information über die Mittwoch stattfindende Pressekonferenz gewesen. Man sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

Eine Einbindung in der Planungsphase habe nicht stattgefunden. Das Ministerium habe zwar diesbezügliche Zusagen gemacht, diese aber nicht eingelöst. Es sei der IGGÖ ein „großes Anliegen“ gewesen, an der ursprünglich geplanten "Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert“ mitzuarbeiten. Seit 2017 betreibt die IGGÖ eine eigene Deradikalisierungsstelle.

„Rein politische Zielsetzung“

Dass trotz mehrfacher Kritik an dem laut IGGÖ „unbrauchbaren“ Begriff des „politischen Islams“ nun bei der Betitelung der geplanten Dokumentationsstelle dennoch auf genau diesen zurückgegriffen wird, zeuge „von einer rein politischen Zielsetzung“, so IGGÖ-Präsident Ümit Vural. Auch die Auswahl der beratenden Personen bekräftige diese Annahme. Hier vermisst man Ausgewogenheit.

IGGÖ-Präsident Ümit Vural

APA/Georg Hochmuth

IGGÖ-Präsident Ümit Vural

Bei der Präsentation vor einer Woche waren neben Raab der Extremismusforscher Lorenzo Vidino und der Religionswissenschaftler Mouhanad Khorchide anwesend. „Die Zusammenarbeit mit der IGGÖ feindlich gegenüberstehenden Personen ist auch aufgrund ihrer jüngsten Aussagen ausgeschlossen“, heißt es in der Aussendung.

„IGGÖ-feindliche Experten“

Bei der Präsentation hatten sich die beiden folgendermaßen geäußert: Vidino, Extremismusforscher an der US-amerikanischen George Washington University, verwies darauf, dass sich Salafisten und Muslimbrüder nicht als solche outen würden. Daher sei die „Pionierarbeit“ der Meldestelle so wertvoll.

Khorchide, Religionswissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, sagte, dass der politische Islam seine Zentren vielfach bereits eher in Europa als in den islamischen Ländern habe. Dazu gebe es aber noch kaum Forschungsarbeiten. Der Soziologe, Islamwissenschschaftler und Religionspädagoge sieht die Dokustelle „politischer Islam“ positiv. Musliminnen und Muslime würden sich dadurch aus der „politischen Geiselhaft so mancher Gruppe befreien können“, heißt es in der Ö1-Sendung "Praxis - Religion und Gesellschaft am Mittwoch.

IGGÖ: Radikale Gegenbewegungen werden befeuert

„Dass gerade jene Teile des Regierungsprogramms, die sich mit der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung beschäftigen, nun in der Umsetzung der ursprünglich als ‚Dokumentationsstelle für Antisemitismus, den religiös motivierten politischen Extremismus und Rassismus im 21. Jahrhundert‘ geplanten Stelle ausgespart bleiben, torpediert die Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben und befeuert gerade jene radikalen Gegenbewegungen, die es zu bekämpfen gilt“, reagierte Vural in der Aussendung.

Der Antidiskriminierungsausschuss des Europarats (ECRI) zeigte sich in seinem Anfang Juni veröffentlichten Bericht besorgt über den zunehmend fremden- und islamfeindlichen öffentlichen Diskurs in Österreich und äußerte Kritik an der österreichischen Bundesregierung.

Kritik: Definition „politischer Islam“ fehlt

Die IGGÖ verweist bezüglich der Begrifflichkeit auf eine von der IGGÖ im vergangenen Jahr initiierte Fachtagung zum Thema „Politischer Islam – Versuch einer Definition“. Dort seien internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Schluss gekommen, dass es keine anerkannte wissenschaftliche Definition des Begriffs gibt. Von einer Verwendung desselbigen hätten sie daher nachdrücklich abgeraten.

Aus dem Büro der Bundesministerin hieß es gegenüber religion.ORF.at dazu, dass es gerade deshalb die Dokustelle brauche. Sie solle sich wissenschaftlich mit dem Begriff „politischer Islam“ auseinanderzusetzen. Dazu gehöre auch die Definition des Begriffs. Das sei eines der ersten Ziele, die die Ministerin der Stelle mitgebe.

Sendungshinweis

„Praxis - Religion und Gesellschaft“, Mittwoch, 22.7.2020, 16.05 Uhr, Ö1.

Einordnung „politischer Islam“

Eine Einordnung, was unter „politischem Islam“ zu verstehen ist, gab die Politikwissenschaftlerin und Autorin Nina Scholz in der Ö1-„Praxis“: Dies sei ein Spektrum von salafistischen, gewaltbereiten, dschihadistischen Gruppen, bis zu legalistisch und infiltrierend arbeitenden politischen Strömungen.

Zu den legalistischen (also sich starr an die Vorschriften haltenden) zählt Scholz die Muslimbruderschaft, die türkische Milli-Görüs-Bewegung und der Verband Atib.

Überwachungsapparat für Muslime befürchtet

Bei der Pressekonferenz vergangene Woche hatte Bundesministerin Raab erklärt, die Dokumentationsstelle richte sich gegen Netzwerke, Ideologien und ausländische Einflüsse, die oft „unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit die gelungene Integrationsarbeit gefährden“. Auch sollen muslimische Vereine und Strukturen durchleuchtet werden.

IGGÖ-Präsident Vural schrieb dazu, dass der österreichische Rechtstaat mit ausreichenden Werkzeugen ausgestattet sei, um diese Herausforderungen zu stemmen. „Der Verdacht liegt nahe, dass hier eine Art Überwachungsapparat für die muslimische Bevölkerung installiert wird. Wichtig ist es darauf zu achten, dass die Dokumentationsstelle nicht Bemühungen anderer Institutionen konterkariert.“

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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