Beirut: Patriarch fordert internationale Untersuchung

Der maronitische Patriarch Kardinal Bechara Boutros al-Rai hat einen internationalen Ausschuss zur Untersuchung der Explosion im Hafen von Beirut am Dienstag gefordert.

In seiner Sonntagspredigt an seinem Sommersitz in Dimane forderte er zudem die gesamte libanesische Regierung zum Rücktritt auf, wie Medien berichteten. „Es reicht nicht, wenn ein Abgeordneter hier oder ein Minister dort zurücktritt“, so Rai im Einklang mit der breiten Protestbewegung in seiner Heimat.

Die Explosion vom 4. August könne „als Verbrechen gegen die Menschheit“ beschrieben werden, so Rai laut der Zeitung „Naharnet“ (Sonntag-Ausgabe). Der Rücktritt der Regierung sei nötig „aus Sensibilität vor den Gefühlen der Libanesen und der immensen Verantwortung, die erforderlich sei“, sagte Rai. Die Regierung sei nicht in der Lage, das Land vorwärts zu bringen.

Der maronitische Patriarch Kardinal Bechara Boutros al-Rai

Reuters/Faisal Al Nasser

Patriarch Rai: Regierung nicht in der Lage, das Land vorwärts zu bringen

Aufruf zu Einheit

Der 80 Jahre alte Patriarch, dessen Amt auch von hoher politischer Bedeutung ist, hatte seine Stellung zuletzt deutlich profiliert und die politischen Kräfte wiederholt und mit Nachdruck zur Einheit und zur Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Krise aufgefordert.

Der libanesische Präsident Michel Aoun hatte Rufe nach einer internationalen Untersuchung der Katastrophe laut Berichten am Freitag als Zeitverschwendung zurückgewiesen.

Bisher eine Ministerin zurückgetreten

Mindestens sieben Abgeordnete kündigten seit der Explosion ihren Rücktritt an, darunter am Sonntag Informationsministerin Manal Abdel Samad. Sie begründete den Schritt mit dem Respekt vor den Opfern. Die Explosion von rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat in einer ungesicherten Lagerhalle im Hafen von Beirut forderte mindestens 160 Todesopfer. Mehr als 6.000 Menschen wurden verletzt, Dutzende gelten weiterhin als vermisst.

Bereits am 3. August hatte Libanons Außenminister Nassif Hitti seinen Rücktritt eingereicht und diesen mit „dem Fehlen eines aktiven Willens, Reformen zu erreichen“ begründet. Ministerpräsident Hassan Diab kündigte laut Medienberichten von Samstagabend an, sein Kabinett zur Vorbereitung vorgezogener Neuwahlen aufzurufen.

Ministerien besetzt

Libanons Parlamentssprecher Nabih Berri berief das libanesische Parlament am Sonntag für Donnerstag zu einer unbefristeten Sitzung in den UNESCO-Palast ein. Es solle „mit der Regierung über das umfangreiche Verbrechen beraten, das der Hauptstadt und den Menschen zugefügt wurde“, sagte er laut örtlichen Medien.

Bei Protesten gegen die Regierung hatten Demonstranten am Samstagabend mehrere Ministerien kurzfristig besetzt. Eine Gruppe von Demonstranten versuchte, die Absperrungen zum Parlamentsbezirk zu durchbrechen. Einsatzkräfte setzten Tränengas und Gummigeschosse ein. Nach Angaben des Libanesischen Roten Kreuzes vom Sonntag wurden 250 Personen verletzt, 65 mussten in umliegenden Krankenhäusern behandelt werden. Ein Polizist starb laut Berichten im Einsatz. Für Sonntag waren weitere Demonstrationen angekündigt.

religion.ORF.at/KAP/KNA

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