Raumansicht der Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
Lena Deinhardstein
Lena Deinhardstein
Ausstellung

Die Schöpfung und die Garnele im Totenkopf

Die Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien widmet sich dem schwer belasteten Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Es geht um Ausbeutung, Umweltzerstörung, Ignoranz und Zärtlichkeit, und am Ende ahnt man: Fragil sind vor allem wir selbst.

Geplant war es nicht, aber die Coronavirus-Pandemie hat der neuen Ausstellung des Dom Museums Wien eine neue und dringende Brisanz verliehen. Zwar geht es nicht explizit um Viren oder Krankheit, doch die Bedrohung durch Natur(-katastrophen), Klimakrise und die Nähe zum Tod selbst durchdringt viele Exponate – allen voran eine Installation des österreichischen Künstlers Mathias Kessler.

Als eine Art modernes Memento Mori im Glastank kann man den Schädel verstehen, der, von Korallen bewachsen, auch einer lebenden Garnele als Zuhause dient – oder auch als kleines Ökosystem, denn die Korallen leben von dem Kalk im Schädel und werden ihn zum Ende der Schau in einem Jahr voraussichtlich aufgezehrt haben. Der wohl nicht zufällig an einen Horrorclown a la Stephen King gemahnende Totenkopf dominiert den letzten Bereich der Ausstellung und er wird sehr wahrscheinlich das Starobjekt werden.

Memento Mori: Wo die Garnele wohnt

Kein Horrorclown, sondern kleines Ökosystem und modernes Memento Mori: Mathias Kesslers „Nowhere to Be Found“ (2010) – mit lebender Garnele (rechts)

Mit etwas Glück zeigt sich in der blubbernden Aquariumsinstallation die Garnele, die übrigens nicht nur die Korallen putzt, sondern auch regelmäßig gefüttert und gut gepflegt wird, wie die Kuratorinnen versicherten.

Die Schöpfung schützen

Die Schöpfung wird in der Schau aber nicht nur von der schaurigen Seite betrachtet. Zärtlich, schützend hält eingangs ein Mann in weißem Hemd in Lois Weinbergers „Die Erde halten“ (2010) eine Handvoll Erde – das vergleichsweise versöhnliche Werk ziert auch die Ausstellungsplakate und -prospekte.

Lois Weinberger: „Die Erde halten“ (2010), Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
Paris Tsitsos
Sich um die Schöpfung kümmern: Lois Weinbergers „Die Erde halten“ (2010)

Auf eine der „Care-Work“ gewidmete Beziehung zur Erde verweist auch „Nursery“ von Mark Dion (2007): Der altmodische Kinderwagen ist statt mit einem Säugling mit Pflanzen bestückt. Dieses und andere „lebende“ Exponate machen, erzählt Kuratorin Johanna Schwanberg bei der Presseführung, dem Museumsteam genau das: Arbeit. Eine Videoarbeit der ecuadorianischen Künstlerin Estefania Penafiel Loaiza erinnert gleich daneben an die Artenvielfalt Lateinamerikas.

Nachhaltige Ausstellung

Man habe sich bei dieser Ausstellung, der bereits vierten seit der Neueröffnung des Dom Museums im Oktober 2017, besonders um Nachhaltigkeit bemüht, so Schwanberg: So wurde umweltfreundlich auf kurze Lieferwege geachtet. Die Exponate stammen zum Teil aus eigenen Beständen sowie aus der Sammlung Otto Mauer Contemporary, zum Teil sind es Leihgaben aus Stiften, Galerien und anderen Museen. Besonderes Augenmerk werde darauf gelegt, viele junge Künstlerinnen und Künstler vorkommen zu lassen und deren Werke „in prekären Zeiten“ (Schwanberg) auch anzukaufen.

Der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Natur ist der zweite Raum gewidmet. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den feinen Pflanzenzeichnungen von Marzellin Stoppel aus dem 19. Jahrhundert (eine Leihgabe der Stiftsbibliothek Klosterneuburg) hängt hier Regula Dettwilers „Narzisse Made in China Vösendorf 2007“. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die schöne, in ihre Einzelteile zerlegte Blume auf dem Aquarell aus Plastik ist.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Mark Dion: „Nursery“ (2007), Georg Kargl Fine Arts, Wien, Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
Lena Deinhardstein
Mark Dion: „Nursery“ (2007)
Nilbar Güres: „"Headstanding Totem“ (2014), Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
Nilbar Güres
Nilbar Güres: „Headstanding Totem“ (2014)
Kuratorin Johanna Schwanberg zeigt auf die „Schollen“-Installationen von Betty Beier (2005-2014), Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
ORF.at/Johanna Grillmayer
Kuratorin Johanna Schwanberg zeigt auf die „Schollen“-Installationen von Betty Beier (2005–2014)
Regula Dettwiler: „Narzisse magenta made in China Vösendorf 2007“ und Marzellin Stoppel (1861-1933) , Blumenstudie Nr. 85, Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
Stiftsbibliothek Klosterneuburg/ Regula Dettwiler/Montage ORF.at
Regula Dettwiler: „Narzisse magenta made in China Vösendorf 2007“ und Marzellin Stoppel (1861–1933) , „Blumenstudie Nr. 85“
Installation von Mathias Kessler: „Nowhere to Be Found“
ORF.at/Johanna Grillmayer
Mathias Kessler: „Nowhere to Be Found“
Albert Bierstadt, Ausbruch des Vesuv, 1899, Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
OÖ Landes-Kultur GmbH, Foto: OÖ Landes-Kultur GmbH
Albert Bierstadt, „Ausbruch des Vesuv“ (1899)
Catrin Bolt: Donaulandschaft aus der Serie der “Plastiklandschaften“ (2016), Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
Lena Deinhardstein
Catrin Bolt: Donaulandschaft aus der Serie “Plastiklandschaften“ (2016)
Raumansicht der Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien
Lena Deinhardstein
Raumansicht der Ausstellung „Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien

Werke von Joseph Beuys, Arnulf Rainer und Günter Brus arbeiten sich am Spannungsfeld Kunst – Wissenschaft – Natur ab, doch optisch dominiert hier eine prachtvoll bestickte Kasel, ein liturgisches Gewand, den Raum: Wie ein tragbares Stillleben ist es üppig mit Blumen verziert – Natur zum Anziehen für den Gottesdienst.

Zerstörung sichtbar machen

Ganz dem Themenkreis Ausbeutung und Marginalisierung von Natur und Mensch ist der dritte Teil der Schau gewidmet. Videos, Fotos und Objekte wie auch traditionelle Gemälde, etwa der „Ausbruch des Vesuv“ von Albert Bierstadt (1899), zeigen eine historische Verortung der Bedrohung durch Naturgewalten, aber auch deren große Faszination.

Ausstellungshinweis

„Fragile Schöpfung“ im Dom Museum Wien, Stephansplatz 6, 1010 Wien, 1. Oktober 2020 bis 29. August 2021, Kernöffnunsgzeiten 10.00 bis 18.00 Uhr.

Mit dem Drama auf der großen Leinwand korrespondieren zwölf kleine Arbeiten der Australierin Shonah Trescott. „Black Summer“ (2020) – so heißt in Australien die Buschfeuersaision – ist farblich und stilistisch an das Gemälde Bierstadts angelehnt, aber es erzählt eine sehr aktuelle Geschichte immenser Zerstörung.

Die „Erdschollen“ (ab 1996) der deutschen Künstlerin Betty Beier, drei große Quadrate, wie aus dem Boden geschnittene Stücke Erde, sollen an zerstörte Weltgegenden erinnern. Generell geht es hier darum, durch die Kunst Verdrängtes und Externalisiertes wie Ausbeutung und Umweltzerstörung sichtbar zu machen.

„Plastiklandschaften“ aus der Donau

Die Umkehrung ist bei der in Wien lebenden türkischen Künstlerin Nilbar Güres in „Headstanding Totem“ (2014) bereits physisch vollzogen. Wie ein Teil des Waldes fügt sich die junge, vermutlich indigene Frau in Umkehrhaltung in die Landschaft ein. Demgegenüber stehen etwa die „Plastiklandschaften“ (2016) der Wienerin Catrin Bolt: Aus am Donau-Ufer gefundenen Plastiksackerln schuf sie scheinbar natürliche Landschaften, die sich aber als denaturierte Müllalpträume entpuppen.

Im letzten Teil von „Fragile Schöpfung“ zieht zwar das Aquarium mit dem Schädel viel Aufmerksamkeit auf sich, es setzt aber mit der Installation „Game Bird Group (Tar and Feathers)“ (2006) von Mark Dion einen eindrucksvollen Schlusspunkt: In Teer getauchte, ausgestopfte Vögel hängen kopfunter von einem dürren, toten Baum. Es ist die Antithese zum grün bepflanzten Kinderwagen zu Beginn der Schau: Um die Schöpfung gesund zu erhalten, muss man sich um sie kümmern.