Geschichte

Experte: Heiliger Franziskus traf Sultan wohl nicht

Die legendäre Begegnung zwischen dem heiligen Franz von Assisi (1181/82-1226) und dem ägyptischen Sultan al-Kamil hält der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze für unwahrscheinlich.

Eher könnte der Heilige während des Kreuzzugs 1219 nahe der Nil-Mündung den religiösen Berater des Sultans getroffen haben, sagte Schulze dem Portal Kath.ch (Donnerstag). „Letzteres halte ich für eher wahrscheinlich, da dann wohl ein Gespräch auf Augenhöhe stattgefunden haben mag.“

Fiktion sei sicherlich auch die Darstellung der Motivation des Heiligen. Christlichen Überlieferungen zufolge wollte der Ordensgründer den muslimischen Herrscher zum Christentum bekehren und den Kampf verhindern. „Allerdings dürfte das Treffen auf ägyptischer Seite wenig spektakulär gewesen sein. Daher wurde es in den sonst sehr akribisch berichtenden Chroniken nicht erwähnt“, so Schulze.

In ägyptischen Quellen unerwähnt

In seiner am Wochenende veröffentlichten Enzyklika „Fratelli tutti“ geht Papst Franziskus auch auf das Treffen seines Namenspatrons mit dem Sultan ein. Er schreibt: „Es berührt mich, wie Franziskus vor 800 Jahren alle dazu einlud, jede Form von Aggression und Streit zu vermeiden und auch eine demütige und geschwisterliche ‚Unterwerfung‘ zu üben, sogar denen gegenüber, die ihren Glauben nicht teilten.“

Der heilige Franz von Assisi versucht Sultan al-Kamil zu bekehren. Darstellung aus dem 15. Jahrhundert von Benozzo Gozzoli
Public Domain/Wikipedia
Der heilige Franz von Assisi versucht Sultan al-Kamil zu bekehren. Darstellung aus dem 15. Jahrhundert von Benozzo Gozzoli

Schulze attestiert dem Papst „eine sehr zeitgenössische Deutung“ des damaligen Geschehens. „Die Wortwahl spiegelt sehr gut die Sehnsüchte von heute wider. Doch ob sich Francesco hier richtig verstanden fühlen würde, wage ich zu bezweifeln.“

„Bild eines religiösen Eiferers“

Die frühen Berichte, die schon seit 1220 zirkulierten, zeichneten eher das „Bild eines religiösen Eiferers“, so der Islamwissenschaftler. Dem Heiligen sei es wohl mehr um die Macht des Wortes gegangen als um eine Unterwerfung gegenüber Andersgläubigen.

Die Stellung des Papstes genieße unter den Muslimen, die Jesus von Nazareth als wichtigen Propheten verehren, „eine recht hohe Anerkennung“, so Schulze. Das Oberhaupt der katholischen Kirche gelte allerdings nicht als Stellvertreter Jesu, sondern als eine oberste religiöse Autorität.

Schulze lehrte bis zu seiner Emeritierung als Universitätsprofessor 2018 mehrere Jahrzehnte lang Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie an der Schweizer Universität Bern.