Black Lives Matter

Religionen vor Rassismus nicht gefeit

Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat den Blick geschärft, um Rassismus in den verschiedenen Lebensbereichen aufmerksamer wahrzunehmen. Auch die Religionen sind nicht frei davon – und waren es auch in der Vergangenheit nicht.

Es gibt kaum eine Religion auf der Welt, die dem Menschen nicht grundsätzlich gleiche Würde und gleichen Wert zuspricht und doch wurden und werden Menschen nicht nur aufgrund ihres Geschlechts sondern auch wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Hautfarbe immer wieder auch von und in Religionsgemeinschaften diskriminiert.

Religionswissenschaftler Gerald Hödl erinnerte im Ö1-Religionsmagazin „Praxis“ an die christlichen Sklavenhalter in den USA, die mithilfe der biblischen Erzählung von Noah und seinen Söhnen Sem, Ham und Jafet zu rechtfertigen versuchten, warum man Schwarze Menschen versklaven dürfe. Laut der Erzählung aus der Genesis sah Ham seinen Vater Noah nackt, dieser verfluchte in der Folge Hams Sohn Kanaan. „Da die Bibel auch als Geschichtsbuch gegolten hat, ist man davon ausgegangen, dass alle Völker dieser Welt entweder von Ham, Sem oder Jafet abstammen und die Hamiten waren die mit der dunklen Hautfarbe.“

„Verkindlichung“ Schwarzer Menschen

Doch auch heute noch äußern sich neo-koloniale Denkmuster in Form von vielleicht gut gemeinter, aber letztendlich paternalistischer und rassistischer Infantilisierung von Schwarzen Menschen im Zusammenhang mit Spendenkampagnen für Entwicklungshilfeprojekte in so mancher christlichen Pfarrgemeinde.

„Wenn wir an dominante Darstellungsweisen Schwarzer Menschen in der Öffentlichkeit denken, dann sind diese Bilder afrikanischer hungernder Kinder, die Spendenobjekte sind, sehr, sehr zentral und sie sind auch im Zusammenhang der Verkindlichung Schwarzer Menschen zu sehen“, sagte dazu die Rassismusforscherin Araba Evelyn Johnston-Arthur. Sie berichtet aber auch von der Bereitschaft von Christinnen und Christen zur Auseinandersetzung mit Rassismus. Kritikfähigkeit sei diesbezüglich „sehr sehr wichtig“.

Die Sprecherin von Black Lives Matter (BLM) Denmark, Bwalya Soerensen
APA/AFP/Ritzau Scanpix/Emil Helms
Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat auch außerhalb der USA Debatten über Rassismus in der Gesellschaft angestoßen

Die Rassismusforscherin Johnston-Arthur sprach auch über die befreiende Wirkung von Religion, es gäbe zum Beispiel „auch Interpretationen christlicher Theologie, die davon ausgehen, dass christliche Theologie per se eine Befreiungstheologie sein muss“ und demnach auch jene Menschen, die unterdrückt werden, „ins Zentrum rücken muss“.

Mit Glaubenssätzen nicht vereinbar

Auch mit den Glaubenssätzen von Islam und Judentum sei Rassismus nicht vereinbar, stellen Schlomo Hofmeister, Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, und Nadim Mazarweh, Leiter der Kontaktstelle für Extremismusprävention und Deradikalisierung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, im Gespräch mit Ö1 klar.

Dennoch sehen auch sie sich herausgefordert, neben den eigenen Diskriminierungserfahrungen in Form von Antisemitismus oder anti-muslimischem Rassismus, auch die Geschichte und Gegenwart der eigenen Religion selbstkritisch zu reflektieren, etwa den Umgang mit aus Äthiopien gebürtigen Schwarzen Jüdinnen und Juden in Israel. Nach tödlichen Schüssen auf einen Juden mit äthiopischen Wurzeln im Vorjahr protestierten Tausende äthiopische Jüdinnen und Juden gegen Polizeigewalt.

Selbstkritik als „Gottesdienst“

Es brauche laut Mazarweh auch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, nämlich „der schrecklichen Geschichte des Sklavenhandels, der Entführung, der Sklavenjagd, die es in Nord- und Zentralafrika gab“, an der Muslime beteiligt waren. Für ihn sei diese Selbstkritik religiös begründet, gar „Gottesdienst“.

Religionen sind nicht vor Rassismen gefeit und haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder auch heranziehen lassen, um Rassismus zu legitimieren. Der Bogen spannt sich noch weiter bis zum indischen Kastensystem im Hinduismus oder zum Umgang von Buddhisten mit der muslimischen Minderheit der Rohingya in Myanmar. Rohingya werden dort seit Jahrzehnten systematisch diskriminiert.

„Rassismus gedeiht, wo er geleugnet wird“

Religionen entstehen und entwickeln sich in einem bestimmten historischen Kontext, werden geprägt und prägen wiederum selbst die Gesellschaften, in denen sie praktiziert werden. „Rassismus gedeiht da, wo er geleugnet wird“, hat der Philosoph, Jurist und ehemalige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Doudou Diène einmal formuliert.

Darum sei es wichtig, dass auch Religionsgemeinschaften lernen, Rassismus zu erkennen, sich selbstkritisch mit Rassismen in der eigenen Tradition auseinanderzusetzen und bei Vorfällen die Täter zu konfrontieren, anstatt bloß hinterher die Opfer zu trösten, plädiert etwa der deutsche Autor und Moderator Sami Omar, der auch Vorträge und Workshops zum Thema Anti-Rassismus leitet. Dann könnten Religionen nämlich auch ihre befreiende und anti-rassistische Wirkung entfalten.