Aufgeschlagener Koran
APA/dpa/Boris Roessler
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Begriffsklärung

„Politischer Islam“ und andere Begriffe

In Zusammenhang mit dem Islam gibt es eine Reihe von Begriffen, die bei vielen nur eine vage Vorstellung davon hervorrufen, was sie bedeuten. Laut Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker sind manche „unbrauchbar“, andere „funktionieren“. Der Versuch einer Erklärung.

Man liest und hört über Islamisten, Dschihadisten, Salafisten, Extremisten und den „politischen Islam“, zu dessen Bekämpfung kürzlich von der österreichischen Bundesregierung eine eigene „Dokumentationsstelle“ eingerichtet wurde und der als Straftatbestand etabliert werden soll.

Was der „politische Islam“ genau ist, wurde bisher nicht exakt definiert – das soll die erste Aufgabe der Dokustelle sein. Nicht nur Musliminnen und Muslime warnen vor einer pauschalen Verurteilung aller muslimischer Gläubigen.

Zur Person

Rüdiger Lohlker ist Professor für Orientalistik an der Universität Wien, befasst sich seit Jahren mit Begrifflichkeiten und Phänomenen rund um den Islam und hat mehrere Bücher dazu verfasst.

Keine wissenschaftliche Definition

Aus wissenschaftlicher Sicht müsse man zuerst wissen, worum es geht, dann bilde man Begriffe dazu, sagte der Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker kürzlich in der ZIB-Nacht. In der aktuellen Debatte um den „politischen Islam“ laufe das genau umgekehrt. Ihm sei es nicht gelungen, diesen Begriff wissenschaftlich zu definieren. Gegenüber religion.ORF.at fragte er, wie beispielsweise ein Richter mit dem Straftatbestand „politischer Islam“ umgehen solle.

Er verwies darauf, dass beispielsweise auch der Einsatz für Minderheiten, wie etwa Flüchtlinge, im karitativen Bereich, „politisch“ sei. Eher würde für ihn statt „politischer Islam“ „extremistischer Islam“ funktionieren, so Lohlker in der ZIB-Nacht.

„Politischer Islam“ separates Phänomen

Laut Mouhanad Khorchide, Islamwissenschaftler und Leiter des wissenschaftlichen Beirats der neuen Dokumentationsstelle, ist der „politische Islam“ ein weiteres, separates Phänomen, neben Dschihadismus, Salafismus und Extremismus, wie er gegenüber dem „Standard“ sagte. Der Begriff beschreibe „eine menschenfeindliche Ideologie, die die Herrschaft im Namen des Islam anstrebt“. Dabei diene die Religion als Mittel, um Gläubige zu manipulieren, so Khorchide.

Die Leiterin der Dokustelle, Lisa Fellhofer, sprach in der „Zeit“ von Akteuren, „deren Werte von ihnen selbst als islamisch bezeichnet werden und im Widerspruch stehen zu demokratischen Grundfesten, zur Verfassung und zu den Menschenrechten“.

Franz Winter, Professor für Religionswissenschaft an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz hegte in einem Artikel für die „Furche“ die Befürchtung, dass „die genaue Definition des Zuständigkeitsbereichs vermutlich ausbleiben wird“.

Rückbesinnung auf 1.400 Jahre früher

Doch auch andere häufig verwendete Begriffe wie Islamismus, Dschihadismus, Salafismus und Extremismus sind erklärungswürdig. Im Gespräch mit religion.ORF.at bezeichnete Rüdiger Lohlker drei davon als „brauchbar“, weil sie definiert und dadurch abgegrenzt werden können: Salafismus, Dschihadismus und Extremismus. Wobei letzteres freilich nicht auf den Islam beschränkt ist und in verschiedenen Gesinnungen auftreten kann.

Der Salafismus ist eine islamische Strömung, die einen monopolistischen Anspruch auf den Islam erhebe und durch die Rückbesinnung auf die maximal ersten drei Generationen von Muslimen gekennzeichnet sei, sagte Lohlker. Durch die Orientierung an die Anfänge des Islams werde ein „unverfälschter Islam“ propagiert. Diese Strömung stehe in enger Verbindung zum saudi-arabischen Wahabismus.

Dschihadismus als bewaffneter Kampf

Das zentrale Identitätsmerkmal von Dschihadismus ist die Orientierung am bewaffneten Kampf. Lohlker sprach gegenüber religion.ORF.at von einer „Subkultur“. Die Mehrheit der Muslime versteht „Dschihad“ nicht als bewaffneten Kampf, sondern als nichtmilitärische Anstrengung auf dem Weg Gottes.

Was den bewaffneten Kampf betrifft, so gebe es national und transnational bzw. global agierende Gruppen, die unterschieden werden müssten. Die Terrororganisation Al Kaida beispielsweise hege die Idee, ein globales Kalifat (das Reich eines Nachfolgers des Propheten Mohammed) zu errichten, auch das Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS) agiert global. Islamisch-nationalistische, militante Gruppen wie die Taliban in Afghanistan, die Hisbollah im Libanon und die palästinensische Terrororganisation Hamas kämpften hingegen regional bzw. lokal.

Autoritärer Extremismus

Beim Extremismus handelt es sich um eine Weltsicht, die „in hohem Maß von der allgemeinen Weltsicht abweicht“, so Lohlker. Extremismus wolle autoritäre Vorstellungen durchsetzen. Diese richten sich häufig gegen das westliche demokratische, pluralistische Verständnis. Extremistische Haltungen können in allen politischen und religiösen Lagern auftreten.

Im „Furche“-Artikel schrieb Religionswissenschaftler Winter: „Allen diesen Strömungen ist ein sehr reduktiver, um nicht zu sagen inhaltsleerer Zugang zur islamischen Tradition gemein. Sie sprechen sich gegen die Vielfalt des Islam in seinen lokalen Ausprägungen aus und propagieren einen sehr stark auf Rechtsvorschriften fokussierten Zugang zur Tradition.“

Das stehe „im großen Widerspruch zur Geschichte der islamischen Welt“, die niemals nur eine einzige Gesellschaftsform hervorgebracht habe, „sondern vielmehr eine äußerst ausgeprägte Vielfalt kennt“, so der Religionswissenschaftler. Es seien beispielsweise die Verhältnisse zwischen religiösen und weltlichen Entscheidungsträgern „in unterschiedlicher Art und Weise austariert“ worden. Winter erinnert auch daran, dass diese Strömungen auch als Reaktion auf den Kolonialismus Europas und die „Moderne“ entstanden seien.

Wissenschaftlich nicht definierte Begriffe

Begriffe, die laut Islamwissenschaftler Lohlker nicht „funktionieren“, weil sie nicht abgrenzbar seien, sind neben dem „politischen Islam“ auch die Begriffe Islamismus, Fundamentalismus und Radikalismus.

Islamismus wird oft synonym für „politischen Islam“ verwendet, auch ihn findet Lohlker „untauglich“. Der Begriff sei für einen „ideologisiserten Islam“ entstanden, das meine den „bösen Islam“. Das Problem sei aber: „Wo ist die Abgrenzung zum Islam?“ Diese Abgrenzung müssten Theologen klären.

Der auch im Zusammenhang mit dem Islam verwendete Begriff Fundamentalismus versteht die Texte und Schriften auf die sich eine Gemeinschaft bezieht, wortwörtlich. Da sich allerdings alle Gläubigen auf die Grundlagen ihrer Religion beziehen, sei eine Abgrenzung, wann der Fundamentalismus zu fundamentalistisch wird, „quasi nicht möglich“, sagte Lohlker.

Radikalismus geht zur Wurzel der Religion. Der Begriff habe eine negative Konnotation, werde aber missverständlich verwendet, denn eigentlich werde damit Extremismus gemeint, sagte der Islamwissenschaftler zu religion.ORF.at.