Coronavirus

Ethiker sehen Impfpflicht „problematisch“

Eine Impfpflicht zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie sehen zwei an der Grazer Katholisch-Theologischen Fakultät lehrende Wissenschaftler „überaus problematisch“, auch wenn bei ethisch relevanten Entscheidungen stets an den Nächsten gedacht werden sollte.

Zu dieser Einschätzung in einer derzeit viel diskutierten gesundheitspolitischen Frage kommen die Medizinethikerin Martina Schmidhuber und der Ethiker Thomas Gremsl. Auf der Website der Uni Graz nehmen beide zu der Frage Stellung, ob Impfen angesichts der akuten Krise ein „Pflichtprogramm“ sei, und versuchen Antworten darauf zu geben – „ohne Emotion, mit Vernunft“.

Schmidhuber, Professorin für Health Care Ethics am Institut für Moraltheologie, sieht die Selbstbestimmung in der Gesellschaft „als hohes Gut verankert“. „Ich trete stark für die Eigenverantwortung ein.“ Warum es damit angesichts hoher Infektionszahlen nicht so recht klappt, begründete die Ethikerin mit dem „Grundproblem“, dass vieles reglementiert und „eigenverantwortliches Denken und Handeln deshalb gar nicht mehr erlernt“ werde.

Frage nach Alternativen

Im Gesundheitsbereich steht die Expertin einer Impfung weniger kritisch gegenüber, da es dort besonders vulnerable Personen zu schützen gelte. Generell sei zu fragen, ob es Alternativen gebe, um andere nicht zu gefährden – etwa mithilfe von regelmäßigen Tests, digitaler Kommunikation oder Hygienevorschriften. Überlegungen, eine Impfung zum Beispiel in Betrieben als Arbeitsbedingung zu verlangen, erteilte Schmidhuber eine Absage.

Die Skepsis von Impfgegnern sei verständlich, wenn man sich vor Augen halte, dass die Entwicklung eines Serums „sehr schnell passiert“ sei. Erteilte Genehmigungen seien deshalb sehr transparent darzulegen. Wenn nachvollziehbar dargelegt werden könne, dass die Entwicklung des Impfstoffs ordnungsgemäß stattgefunden hat, wirke dies der Skepsis sicher entgegen, ist die Medizinethikerin zuversichtlich.

Zwischen Eigen- und Gemeinwohlverantwortung

Ähnlich sieht dies auch ihr Kollege am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre, Thomas Gremsl: „Als Menschen sind wir zugleich Individual- und Sozialwesen und agieren als solche immer in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen individueller Selbstbestimmung und institutioneller Regulierung. Es ist wichtig, dass wir als Menschen die Freiheit haben, eigenverantwortlich zu handeln.“ Darin sei eine „Gemeinwohlverantwortung“ inkludiert, so Gremsl.

Eine Gesellschaft müsse die Ängste ihrer Mitglieder ernst nehmen. Pauschalisierende Schwarzweiß-Debatten, wie sie aktuell vor allem in sozialen Medien geführt werden, bringen laut dem Theologen keine Lösungen, sondern „führen nur zur weiteren Verhärtung der Fronten“. Die Debatte sei auf der Sachebene zu führen, damit Menschen die Möglichkeit hätten, „aufgrund faktenbasierter Argumente für sich selbst eine Entscheidung zu treffen“.

Die Grund- und Menschenrechte dürften auch in so außergewöhnlichen Zeiten „nicht einfach zur Disposition stehen“, betonte Gremsl. Auch einseitiger „Druck von oben“ oder Gruppenegoismen könnten zur Gefährdung des Gemeinwohls beitragen.