Parlament
Reuters/Leonhard Foeger
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Kritik an Gebetsfeier im Parlament

Die Gebetsfeier, die für die Opfer der Coronavirus-Pandemie am Dienstag im Parlament stattgefunden hat, ist kritisiert worden: Zum einen gab es Kritik am Rahmen der Veranstaltung, und zum anderen daran, wer teilnahm – und wer nicht.

Die Feier, zu der Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler (beide ÖVP) für Dienstag geladen hatten, wurde coronavirusbedingt im kleinen Kreis und via Livestream aus dem Kleinen Redoutensaal in der Wiener Hofburg abgehalten. SPÖ-,NEOS- und grüne Funktionsträgerinnen nahmen nicht teil.

Auf Anfrage von religion.ORF.at äußerte die Wiener Theologin Regina Polak ihre Meinung zum Thema Gebetsfeier: „In der schwierigen Zeit der Coronavirus-Krise in einem Gebet Hoffnung zu geben ist zweifellos ein wichtiges Zeichen.“

Expertin kritisiert Ortswahl

Solche Initiativen gebe es auch „in nordeuropäischen, staatskirchenrechtlich geprägten Ländern – allerdings nicht öffentlich zur Schau gestellt. Deshalb wäre dafür ein anderer Ort als das Parlament ein Zeichen religionspolitischer Sensibilität gewesen. Denn das Parlament repräsentiert die österreichische Bevölkerung.“

„Schmerzliche Abwesenheit der Muslime“

Mit dieser Wahl des Ortes, den offiziellen Einladungen mit Briefkopf, der „schmerzlichen Abwesenheit der Muslime“ als zweitgrößter Religionsgemeinschaft werde diese Veranstaltung von vielen als politisches Statement wahrgenommen werden, so Polak, die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien lehrt.

Im Kontext der zeitgleichen Debatten über einen „politischen Islam“ wirke das „wie eine klare Abgrenzung gegenüber der muslimischen Bevölkerung“, argumentierte die Theologin. „Es entsteht der Eindruck, als würden sich die Kirchen in den Dienst parteipolitischer Interessen nehmen lassen. Dieser schale Beigeschmack schadet dem Anliegen und auch den Kirchen.“

Zu Wort kamen im Livestream Kardinal Christoph Schönborn, der evangelische Bischof Michael Chalupka, der orthodoxe Metropolit Arsenios (Kardamakis), der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej (Cilerdzic), der koptische Bischof Anba Gabriel, der griechisch-katholische Generalvikar Yuriy Kolasa, Reinhard Kummer, Vorsitzender des Rates der Freikirchen in Österreich, und der Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer. Nicht dabei war hingegen ein Vertreter oder eine Vertreterin der Musliminnen und Muslime Österreichs.

Chalupka: Nicht alle eingeladen

Er sei bei der Einladung davon ausgegangen, dass die Gebetsfeier im Sinne aller im Parlament vertretenen Parteien gewesen sei – und habe es für „selbstverständlich“ gehalten, dass auch alle Religionsgemeinschaften eingeladen würden, sagte der evangelische Bischof Michael Chalupka auf Anfrage gegenüber religion.ORF.at. „Es war ein Gebet der Abgeordneten.“ Hier sehe man die „im österreichischen Parlament nicht sehr hohe Diversität“ gespiegelt.

Sendungshinweis

Die Ö1-Religionssendung „Religion aktuell“ um 18.55 Uhr befasst sich ebenfalls mit dem Thema.

Das Fehlen der Muslime schmerze. Das öffentliche Gedenken für die Menschen, die dem Virus zum Opfer gefallen sind, „ihre Namen und Lebensgeschichten“, sei ihm sehr wichtig, so der Bischof. „Das Totengedenken und die öffentliche Erinnerung an sie ist mir wichtig.“ Deshalb habe er ihrer auch im Gebet der Parlamentarier gedacht.

Religionsrechtler Potz: „Frappierende Umwertung“

Der Wiener Religionsrechtsexperte und emeritierte Professor an der Universität Wien Richard Potz sieht in der Veranstaltung einen Hinweis auf eine „frappierende“ Umwertung des Verhältnisses von Kirche und Staat: Die Signale, die eine solche Veranstaltung sende, deuteten darauf hin, dass aus einer historisch gewachsenen „Kooperation“ eine „politische Vereinnahmung“ werde.

„Dabei hat man gerade in den letzten Jahren die Trennung von Kirche und Staat als prägenden europäischen Wert“ einer bestimmten Religionsgemeinschaft „geradezu um die Ohren geschmissen“ – den Muslimen. Eine Gebetsveranstaltung als „interreligiös anzupreisen und dann die Muslime – und auch die Buddhisten – nicht einzuladen, ist jedenfalls missverständlich“, sagte Potz zu religion.ORF.at.

Religionsrechtler Potz über die historischen Hintergründe: „Zu den Klassikern des Religionsrechts gehören die im 19. Jahrhundert entwickelten drei Modelle des Verhältnisses von Staat und Religion: Die Trennung, die häufig, jedoch nicht notwendig religionsfeindlich konzipiert war, die Beaufsichtigung und Kontrolle durch den Staat und die Kooperation, die hie und da in ein Bündnis umkippte.“

Historische Erfahrungen

Österreich habe Erfahrungen sowohl mit der kirchenfeindlichen Trennung in der Zeit des Nationalsozialismus, „der staatlichen Kontrolle über die Kirchen in den letzten Jahrzehnten der Monarchie und einem politischen Bündnis mit der katholischen Kirche im Ständestaat gemacht, ehe nach 1945 Staat und Religionsgemeinschaften voneinander getrennt zu einer partnerschaftlichen Kooperation fanden“.

„Was sich aber derzeit in Österreich abspielt, ist verwirrend. Einerseits wird die Trennung von Staat und Religion als prägender europäischer Wert vor allem gegenüber den Muslimen (über-)betont, andererseits wird in jüngster Zeit die staatliche Kontrolle von Religion und Religionsgemeinschaften wieder verstärkt. Und drittens sendet man mit einer derartigen Veranstaltung Signale in Richtung einer über Kooperation hinausgehenden politischen Vereinnahmung insbesondere der katholischen Kirche aus.“

Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) erklärte gegenüber „Religion aktuell“ ihre Kritik an der Veranstaltung damit, dass „durch den offiziellen Livestream des Parlamentspräsidenten der bisherige private Charakter der Veranstaltung verloren ging“. Das Parlament als Vertretung der Republik sollte „nicht durch religiöse Inszenierungen vereinnahmt, noch sollte die Eigenständigkeit und Autonomie der Kirchen belastet werden“.

ÖVP-Abgeordnete: „Gebet gehört zum Leben“

Die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler sagte in „Religion aktuell“: „Gebet gehört zu unserem Leben.“ Sie verwies darauf, dass es im Parlament auch Benefizveranstaltungen, ein Fußballteam und einen Chor gebe. Jetzt gebe es auch „für jene, die wollen, eine Gebetsfeier. Wir haben das aber nicht als Parteien gemacht, wir haben es nicht als Institutionen gemacht, sondern als Abgeordnete mit einem persönlichen Glauben.“

Kugler unterstrich die „Vielfalt“ der eingespielten Beiträge. Dass keine Muslime an der Gebetsfeier teilgenommen hatten, liege daran, „dass es keine aktiven muslimisch praktizierenden Abgeordneten im parlamentarischen Komitee des Gebetsfrühstücks“ gebe, argumentierte Kugler.