Patient im Spital
APA/Helmut Fohringer
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Recht

Sterbehilfe-Urteil: Worum es eigentlich geht

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat sich mit der sensiblen Frage der Sterbehilfe befasst und am Freitag die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid gekippt. Was mit Sterbehilfe genau gemeint ist, wie die aktuelle Gesetzeslage in Österreich aussieht und wie Bioethikkommission und Kirchen dazu stehen: ein Überblick.

Vier Antragsteller wollten das Verbot der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid kippen. Sie sehen mit dem Verbot diverse Grundrechtsbestimmungen verletzt – darunter das Recht auf Familienleben, die Religionsfreiheit und die Achtung der Menschenwürde. Zwei der vier Beschwerdeführer begründeten ihren Antrag mit schweren, unheilbaren Krankheiten.

Ein weiterer Antragsteller ist Arzt und argumentierte, er sehe sich häufig mit dem Wunsch von Patientinnen und Patienten nach Suizidhilfe konfrontiert, könne dem aber nicht nachkommen, ohne sich straf- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen auszusetzen. Die Bundesregierung sieht in dem Verbot der „Tötung auf Verlangen“ und der „Mitwirkung am Suizid“ einen Schutz des Staates gegenüber vulnerablen Personen.

  • Was ist mit Sterbehilfe genau gemeint?

Es kann zwischen aktiver Sterbehilfe, Beihilfe zum Suizid, indirekter Sterbehilfe und passiver Sterbehilfe unterschieden werden. Aktive Sterbehilfe bedeutet, die gezielte Tötung eines Sterbewilligen auf sein Verlangen hin – also etwa durch die direkte Verabreichung eines tödlichen Mittels. Beihilfe zum Suizid oder assistierter Suizid bedeutet, dass einem Menschen die Mittel zum Suizid bereitgestellt werden. Die Handlung, die zum Tod führt, wird vom Sterbewilligen selbst gesetzt – etwa das Einnehmen einer tödlichen Dosis eines Medikaments. Wenn von Sterbehilfe die Rede ist, wird oftmals auch die Beihilfe zum Suizid gemeint.

Wenn schwerkranken Menschen schmerzstillende Medikamente verabreicht werden, die als Nebenwirkung die Lebenszeit verringern können, und dies in Kauf genommen wird, spricht man von indirekter Sterbehilfe. Passive Sterbehilfe bezeichnet den Verzicht oder den Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen – etwa das Abschalten eines Beatmungsgeräts.

  • Wie ist die Gesetzeslage in Österreich?

Nach den Paragrafen 77 und 78 des Strafgesetzbuches sind aktive Sterbehilfe sowie Mitwirkung am Suizid verboten. Beides ist mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

Die österreichische Regelung ist vergleichsweise streng: Nicht nur die Beihilfe, also etwa die Beschaffung von tödlichen Medikamenten, steht unter Strafe, sondern jegliche Mitwirkung – etwa einem Angehörigen, der im Ausland Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, bei der Reise zu helfen. Diese Regelung hat der VfGH nun mit Wirksamkeit 1. Jänner 2022 gekippt. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten.

Erlaubt sind in Österreich die passive und indirekte Sterbehilfe. Ärztinnen und Ärzte dürfen etwa sehr wohl ein früheres Sterben der Patientinnen und Patienten in Kauf nehmen, um ihnen durch starke Schmerzmittel Leid zu ersparen. Der Tod darf in Kauf genommen werden, aber nicht beabsichtigt sein. Mit einer Patientenverfügung können künftige Patientinnen und Patienten medizinische Behandlungen ablehnen, auch lebenserhaltende Maßnahmen. Die Ärzte müssen sich in der Regel an die Verfügung halten.

  • Was sagt die Bioethikkommission?

Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt (16 von 15 Mitgliedern stimmten dafür) empfahl bereits 2015 eine Lockerung des Verbots der Suizidbeihilfe in gewissen Fällen.

Es sei angebracht, „für Angehörige und persönlich nahe stehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leidenden Person beim Suizid Hilfe leisten“, so die Empfehlung. Die Regierung folgte der Empfehlung der Kommission aber nicht.

  • Wie stehen Kirchen zu Sterbehilfe?

Die römisch-katholische Kirche lehnt aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid in jeder Form entschieden ab. Das kategorische Nein zu aktiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid bekräftigte der Vatikan im September mit dem Dokument „Samaritanus bonus“ („Der barmherzige Samariter“). Hinter dem Verlangen von Schwerkranken nach einer Beendigung ihres Lebens stehe fast immer der Ruf nach Hilfe und Liebe, so das Schreiben. Jegliche Geste der Zustimmung zu der Entscheidung müsse vermieden werden. Der Empfang von Beichte und Krankensalbung solle für Menschen, die um aktive Sterbehilfe oder Suizidbeihilfe bitten, nicht möglich sein, hieß es darin auch.

Österreichs römisch-katholische Bischöfe warnten mehrfach vor einer Lockerung des Verbots der Sterbehilfe. Gewarnt wird diesbezüglich auch vor ökonomischen Interessen und Druck auf die Betroffenen. „Das Sterben darf nicht zum Geschäft werden“, sagte etwa Kardinal Christoph Schönborn. Pflegebedürftige dürften nicht unter Druck kommen, ihr Sterben zu erbitten. Immer wieder werden die Worte von Kardinal Franz König herangezogen‚ wonach der Mensch an der Hand, nicht durch die Hand eines Menschen sterben solle. Lebensbeginn und Lebensende sind nach katholischer Überzeugung zudem in Gottes Hand.

Die evangelische Kirche in Österreich spricht sich zwar für ein Beibehalten des Verbots von aktiver Sterbehilfe, aber auch für Ausnahmeregelungen aus. So soll in Härtefällen beim assistierten Suizid Straffreiheit gewährt werden. Beihilfe zum Suizid solle nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden, etwa indem Vereine Suizidhilfe anböten, jedoch seien Gewissenskonflikte ernst zu nehmen, in denen sich sowohl Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, aber auch Sterbewillige befänden, sagte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka dazu.

„Angesichts dieser moralischen Tragik braucht es eine offene Diskussion über rechtliche Regelungen, die dem Gewissen Spielraum lassen und für dramatische Ausnahmefälle Möglichkeiten der Straffreiheit vorsehen“, sagte Chalupka kürzlich in Übereinstimmung mit einer Stellungnahme der Generalsynode aus dem Jahr 1996 sowie einer Orientierungshilfe der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa aus dem Jahr 2011. Darin wurde damals diese differenzierte Zugangsweise zu Sterbehilfe festgeschrieben.