Sitzung des Verfassungsgerichtshofs
APA/Georg Hochmuth
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Recht

VfGH-Urteil zu Sterbehilfe: Warnung und Kritik

An der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, der das Verbot der Suizidhilfe gekippt hat, üben katholische Verbände Kritik. Die evangelische Kirche warnt vor Missbrauch und „gewerblicher Suizidhilfe“.

In einer ersten Reaktion unmittelbar nach der mündlichen Bekanntgabe des Urteils des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) am Freitag haben evangelische Kirche und Diakonie begrüßt, „dass der VfGH die Legalisierung der Tötung auf Verlangen zurückgewiesen hat“. Das Urteil, das Verbot der Beihilfe zum Suizid aufzuheben, respektiere man, so eine Aussendung vom Freitag.

Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka erinnert daran, dass die evangelische Kirche immer eingetreten sei für eine „offene Diskussion über rechtlichen Regelungen, die dem Gewissen Spielraum lassen und für dramatische Ausnahmefälle Möglichkeiten der Straffreiheit vorsehen“. Darüber sei der VfGH in seinem Urteil hinaus gegangen.

„Keine Pflicht für Ärztinnen“

„Damit die neue gesetzliche Regelung, die der Gesetzgeber bis 31. Dezember 2021 auf den Weg zu bringen hat, nicht unbarmherzig wird, muss sichergestellt werden, dass das Gesetz so ausgestaltet wird, dass zum einen Missbrauch unmöglich gemacht wird und es zu keiner gewerblichen Suizid-Hilfe kommt. Zum anderen muss sichergestellt werden, dass aus dem Recht auf Selbstbestimmung keine Pflicht für Ärztinnen, eine solche Hilfeleistung erbringen zu müssen, werde.“

Darüber hinaus hofft der Bischof, dass eine gesetzliche Regelung gefunden wird, die Beihilfe zum Suizid auf die terminale Lebensphase begrenzt.

Diakonie-Chefin: Viele Lücken

Positiv halten evangelische Kirche und Diakonie fest, dass der VfGH betonte, dass der Zugang zu Palliativversorgung für alle gewährleistet werden muss. Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser erinnert daran, dass es immer noch „viele Lücken“ gebe, obwohl die Parlamentarische Enquete „Würde am Ende des Lebens“ 2015 einen verbindlichen Stufenplan für den flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung bis zum Jahr 2020 empfohlen habe.

„Nun ist die Bundesregierung in der Pflicht, den flächendeckenden Ausbau verbunden mit einem Rechtsanspruch auf Palliativversorgung sicher zu stellen“, so Moser. Diese sei nämlich eine der besten Maßnahmen, um dem Sterbewünschen zu begegnen.

­­AKV: Jedes Leben wert, geschützt zu werden

„Das Verbot der Sterbehilfe hat präventive Schutzfunktion. Es signalisiert jedem Lebensmüden ohne Ausnahme: Egal wie nachvollziehbar sich seine Situation darstellt, egal wie leidend er sich fühlt – jedes Leben ist es wert, geschützt zu werden“, so der neue Präsident der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV), Matthias Tschirf, in einer Aussendung am Montag.

Eine Legalisierung der Sterbehilfe öffne auch der Kommerzialisierung des Sterbens Tür und Tor. Niemand solle aber durch Liberalisierung der Rechtslage zur Sterbehilfe gedrängt oder motiviert werden, so der AKV-Präsident.

„Bedauerlich“

Wer den Wunsch äußere „Ich möchte nicht mehr leben“ meine in den seltensten Fällen „Ich möchte getötet werden“. Vielmehr stehe dahinter der Wunsch, „so“ nicht mehr leben zu wollen. Er zitierte den Ausspruch von Kardinal Franz König, Menschen sollten an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen.

Tschirf wies in diesem Zusammenhang auch auf die langjährigen Forderungen der AKV nach einem Ausbau von Hospiz- und Palliativversorgung sowie einer weiteren Stärkung der Patientenautonomie hin: „Kardinal König hat es dereinst treffend auf den Punkt gebracht: Wer Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung sorgen.“

Zulehner: Debatte zeigt Polarisierung

In der Debatte über den assistierten Suizid zeigt sich für den Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner eine „in der Tiefe der Kultur“ vorhandene gesellschaftliche Polarisierung. Zulehner spricht in einem aktuellen Beitrag in seinem Blog von „Sterblichen“ und „Unsterblichen“.

Nach der letzten Religionsstudie in Österreich (2020) lebe ein Drittel der Menschen in einer endlichen Welt von 90 Jahren. Sind diese vorbei, sei für sie „definitiv alles aus“. Ganz anders die übrigen Menschen: Für sie sei der Tod nicht das definitive Ende, sondern ein Übergang in eine neue Existenzweise. Dieser Unterschied in der „Wirklichkeits“-Auffassung habe auch enorme Auswirkungen auf die Frage der aktiven Lebensbeendigung bzw. des assistierten Suizids.

„Unsterbliche“ vs. „Sterbliche“

42 Prozent der „Unsterblichen“ seien grundsätzlich dagegen, das Leben von Menschen in der letzten Lebensphase aktiv zu beenden, unter den „Sterblichen“ seien es hingegen lediglich neun Prozent.

Zulehner dazu: „Ich kann diesen Zusammenhängen etwas abgewinnen. Wenn jemand davon überzeugt ist, dass mit dem Tod ‚definitiv alles aus‘ ist, kann es in seiner ‚Wirklichkeit‘ durchaus Sinn machen, eine unerträglich leidvolle Wegstrecke hin zu diesem Ende gleichsam abzukürzen und das Sterbeleid outzusourcen. Ob jemand dazu eine Assistenz beansprucht oder auch nicht, erscheint unterm Strich ziemlich nachrangig.“

Elbs: „Schlag ins Gesicht der Menschlichkeit“

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes sei „wie ein Schlag ins Gesicht der Menschlichkeit, der mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet“, so der Feldkircher Bischof Benno Elbs in einer Stellungnahme am Sonntag. „Schützen wir das Recht auf Leben und damit auch die Schwachen und Kranken unter uns. Oder setzen wir uns unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung Scheuklappen auf, die Tod und Krankheit zu einem gesellschaftlichen Tabu werden lassen?“, so Elbs.

Wenn der VfGH vom freien Recht auf Selbstbestimmung spricht, dann sei das eine Entscheidung, „die die Antwort auf viele anderen Fragen schuldig bleibt“, betonte Elbs: „Welche Instanz entscheidet künftig über würdiges und unwürdiges Leben? Denn nichts anderes ist die Konsequenz dieses Entscheids, wenn der Gesetzgeber nun zu definieren hat, in welchen Fällen Beihilfe zum Suizid erlaubt sein wird.“

Der Bischof führte einige der denkbaren „Roten Linien“ an, die nun überschritten werden könnten: „Ist es das Erreichen eines gewissen Lebensalters, ist es ein bestimmtes Krankheitsbild, eine Depression, eine Behinderung, eine prognostizierte Lebenserwartung?“

Bestimmung aufgehoben

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte auf Antrag mehrerer Betroffener, darunter zweier Schwerkranker, jene Bestimmung aufgehoben, die die Hilfeleistung zum Selbstmord unter Strafe stellt. Die bisher geltende Regelung verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil dieser Tatbestand jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, befand der VfGH.

Er leitete seine Entscheidung aus dem Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung ab. Das Verbot der Selbsttötung mit Hilfe eines Dritten könne einen besonders intensiven Eingriff in das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung darstellen. Beruhe die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so sei dies vom Gesetzgeber zu respektieren, befand der VfGH.

Da die Entscheidung zur Selbsttötung immer von ökonomischen oder sozialen Hintergründen geprägt sei, müsse der Gesetzgeber gewährleisten, dass es zu keinem Missbrauch des Rechts auf Beihilfe zur Selbsttötung komme. Weiterhin strafbar bleicht, jemanden zur Selbsttötung anzustiften, ebenso wurde dem Antrag, Tötung auf Verlangen gesetzlich zu ermöglichen, nicht stattgegeben.