Golem-Figuren in Prag
Legenden

Golem: Gefährlicher Retter aus Lehm

Aus einem Haufen Lehm soll der Prager Rabbi Löw ihn zum Schutz der jüdischen Gemeinde erschaffen haben: den mächtigen Golem. Es gibt auch Geschichten, die Nazis hätten an die Legende geglaubt. Der Golem steht aber auch stellvertretend als Warnung für das Spiel mit der Schöpfung. Die Prager Legende fasziniert jedenfalls bis heute.

Vor hundert Jahren lief der Film „Der Golem, wie er in die Welt kam“ von Paul Wegener erstmals in den Kinos. Er bot ein Monster, einen Pakt mit dem Teufel und ein christlich-jüdisches Liebesdrama – all das im Prag des 16. Jahrhunderts: Der mit antisemitischen Botschaften gespickte Stummfilm wurde ein Kassenschlager und gilt noch heute als Klassiker des expressionistischen Films.

Prag profitiert immer noch von der Legende über den großen, starken Golem, der nachts zum Schutz der jüdischen Gemeinde durch die Altstadt gewandert sein soll. Restaurants und Kaffeehäuser werben mit ihm, am Neuen Rathaus zeugt die Statue von Rabbi Löw, der ihn erschaffen haben soll, von der Wirkmacht der Erzählung. Der Golem ist Teil der Prager Folklore, kleine Golem-Figuren werden in der Stadt als Souvenirs feilgeboten. Die Legenden vom stummen Befehlsempfänger aus der jüdischen Mystik und Literatur soll am Leben gehalten werden.

Eine Zeichnung zeigt Rabbi Löw und seinen Golem
Public Domain
Rabbi Löw ist für die Erschaffung eines Golems bekannt

Mystiker wollten Golem erschaffen

Der Ursprung der Legenden liegt im Mittelalter. Jüdische Mystiker, Kabbalisten, beschäftigten sich mit der Schöpfung, in der Hoffnung, sie allumfassend zu verstehen. Im Talmud wird die Erschaffung Adams durch Gott als die Erschaffung eines „Golem“ (hebräisch für „formlose Masse“) aus Erde beschrieben.

Die Mystiker glaubten, dass sie zwar keine Menschen, aber mithilfe von Buchstabenkombinationen künstliche Wesen erschaffen und auch wieder vernichten können. Doch es ging um eine „geistige Beschäftigung mit der Schöpfung“, darum, was ein Mystiker im Geiste erschaffen kann, nicht um die praktische Erschaffung eines Wesens, wie der Judaist Klaus Davidowicz zu religion.ORF.at sagte.

Diener zerfiel zu Staub

„Im 16. Jahrhundert ist es so, dass Zauberer und Magie unheimlich in sind. Die Faust-Legenden entstehen, überall tauchen Magier auf, die irgendwas können“, sagte Davidowicz. Nicht verwunderlich also, dass sich die Golem-Legenden um zwei Gestalten des 16. Jahrhunderts ranken: Elijahu von Chelm (1514–1583) aus Polen und Rabbi Jehuda Ben Bezalel Löw (1512/25–1609) aus Prag.

Elijahu von Chelm habe einen Golem erschaffen, der über einen langen Zeitraum harte Arbeit für ihn verrichtete, heißt es in einem Brief, in dem der Chelmer Golem zum ersten Mal erwähnt wird. Der Name „emeth“ (hebräisch für „Wahrheit“) hing um seinen Hals, als der Kabbalist den Namen entfernte, wurde das Wesen wieder zu Staub. Das Motiv der Buchstaben wird in den Legenden immer wieder aufgenommen. Entfernt man das „e“ aus „emeth“ bleibt das Wort „meth“ (hebräisch für „Tod“) übrig.

Golem-Stofffigut
ORF.at/Clara Akinyosoye
Der Golem lieferte Stoff für zahlreiche Bücher, Filme und Theaterstücke

Warnung vor künstlicher Intelligenz

Spätere Erzählungen der Chelmer Legende lesen sich bereits recht dramatisch: Elijahus Urenkel, Jakob Emden, schrieb, sein Großvater habe seine eigene Schöpfung zerstört, weil er gesehen habe, dass diese immer stärker wurde. Elijahu habe sogar befürchtet, der Golem könne die ganze Welt vernichten. Als der Golem zu Lehm zerfiel, habe er Elijahu im Gesicht verletzt.

Auch dieses Motiv des Golems, der zur Gefahr wird, sich gegen seinen Schöpfer wendet, findet sich in den zahlreichen Golem-Erzählungen in Literatur, Theaterstücken und Filmen immer wieder. Die Warnung wirkt bis heute. So werden mitunter in der Beschäftigung mit potenziellen Gefahren von künstlicher Intelligenz, etwa menschenähnlichen Robotern, Parallelen zum Golem gezogen.

Eine „ungeheuer schöne Lüge“ macht die Runde

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreite sich die Prager Golemlegende rasant und verhalf dem Golem insgesamt zum Durchbruch – wenn auch mithilfe einer „ungeheuer schönen Lüge“, wie Davidowicz erzählte. Der chassidische Rabbiner Jehuda Judel Rosenberg (1859-1935) aus Polen veröffentlichte auf Hebräisch und Jiddisch das Volksbuch „Wundertaten des Rabbi Löw“. Davidowicz: „Er hatte viele Töchter und wenig Geld“, also habe Rosenberg, ein Fan von Sherlock-Holmes-Geschichten, „Bücher mit erfundenen Geschichten über Rabbi Löw geschrieben“.

Buchhinweis

Film als Midrasch: Der Golem, Dybbuks und andere kabbalistische Elemente im populären Kino. V&R unipress, 42,00 Euro, 155 Seiten.

Darin wird das Prager Ghetto von dem Priester Taddäus bedroht, der mit erfundenen Ritualmord-Vorwürfen die jüdische Gemeinde vertreiben will. Rabbi Löw gelingt 1580 mit Buchstabenkombinationen aus dem Sefer Jetzira, dem jüdischen Buch der Schöpfung, aus Lehm einen Golem zu erschaffen. Dieser wird als Spion eingesetzt und kann Übel von der jüdischen Gemeinde abwenden. Der Golem tritt als Retter des jüdischen Volkes auf, nicht als Gefahr. Als die Gemeinde den Schutz des Golems nicht mehr benötigt, wird er auf dem Dachboden der Altneu-Synagoge zerstört, wo seine Überreste verbleiben.

Spannende Geschichten „voller Fehler“

Rosenberg verschleierte seine Autorenschaft und berief sich auf einen gewissen Isaak Ben Samson Katz, den Schwiegersohn von Rabbi Löw. Dieser habe laut Rosenberg die Texte verfasst, die Handschrift sei lange in der Königlichen Bibliothek von Metz unentdeckt geblieben – eine Bibliothek, die allerdings nie existiert hat, wie Davidowicz in seinem Buch „Film als Midrasch“ schreibt.

Auch sonst seien Rosenbergs Geschichten „voller Fehler“. So wurden etwa Kardinäle erwähnt, die nie in Prag waren, Kaiser, die zu dieser Zeit nicht regierten, zudem seien Namen und Plätze falsch geschrieben, was Kenner nicht unbedingt an Tatsachenberichte eines Zeitzeugen glauben ließ. Da Rosenberg aber ein wichtiger und angesehener Rabbiner wurde, sei in orthodoxen Kreisen behauptet worden, „diese Golem-Geschichte in Prag stimmt“, sagte Davidowicz.

Dass man ausgerechnet Rabbi Löw später mit fremden Federn schmückte, indem man ihn zum Golem-Erschaffer machte, hat wohl mit Kaiser Rudolf II. zu tun, der sich für Astronomie und Alchemie interessierte und mit dem Löw einmal ein Treffen hatte – Grund genug für Spekulation und Legendenbildung. Hinweise, dass Löw sich mit der Erschaffung eines Golems auch nur befasste, gibt es aber nicht.

Golem gegen Antisemitismus

Die spannenden Geschichten erfreuten sich jedenfalls großer Beliebtheit. Chajim Bloch (1881–1973) aus Österreich-Ungarn übersetzte die Sagen schließlich ins Deutsche, korrigierte die Fehler und veröffentlichte das Buch „Der Prager Golem“.

Bloch erwähnte Rosenberg aber nicht, sondern ließ seine Leserinnen und Leser glauben, der Verfasser sei vermutlich ein Zeitgenosse von Rabbi Löw gewesen. Die Beschäftigung mit absurden Ritualmordvorwürfen, denen sich Rabbi Löw und der Golem in den Geschichten entgegenstellten, sei ein „wichtiger Beitrag“ im Kampf gegen Antisemitismus gewesen, schreibt Davidowicz in seinem Buch.

Ist der "Bärenjude ein Golem?

Es heißt mitunter, die Nazis hätten sich vor dem Golem gefürchtet, der den jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee bewacht haben soll. Und auch in Prag hört man – etwa von Reiseführern – die Legende, die Nazis hätten an den Golem in der Synagoge geglaubt. Mit der angeblichen Angst vor dem Golem spielte auch Quentin Tarantino 2009 in seinem Spielfim „Inglourious Basterds“.

Der jüdische US-Soldat, Donny Donowitz, der „Bärenjude“, ist Teil einer Gruppe, die Soldaten der Nazis im besetzen Frankreich im wahrsten Sinne des Wortes niederprügelt. In einer Szene beklagt sich ein tobender, aber verängstigter Adolf Hitler über die ihm unerklärlichen Rückschläge in Frankreich. Aufgeregt berichtet er von einem Gerücht, das sich unter Soldaten breitmache: der Bärenjude sei ein Golem.