Missbrauch

D: Stimmen zu Gutachten über Bistum Köln

Nach Ansicht des vatikanischen Experten für Missbrauchsprävention, Hans Zollner, sind die bisher getroffenen Maßnahmen in der deutschen Erzdiözese Köln ein „viel zu kleiner Schritt“.

Aus Sicht der Opfer genüge die von vornherein „klar gewählte rein juristische Sichtweise“ nicht. „Die Betroffenen brauchen mehr“, sagte Zollner, Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission, am Donnerstag der Nachrichtenagentur Kathpress in Rom.

Eine reine juristische Aufklärung von Missbrauch und dem Umgang damit könne „nicht Anspruch einer umfassenden Aufarbeitung sein“, kritisierte der Psychologe, der an der Päpstlichen Universität Gregoriana das Zentrum für Kinderschutz leitet. In die Untersuchungen hätten Betroffene und Präventionsbeauftragte mit einbezogen werden müssen, so Zollner.

Vorgehen „mangelhaft“

Das vorgelegte Gutachten der Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger zeige zudem, „wie mangelhaft in kirchlicher Verwaltung vorgegangen wurde“. Für die Opfer bedeute es aber noch keine Gerechtigkeit, „wenn jetzt jemand wegen Verfahrensfehlern von seinem Amt entbunden wird“, so Zollner mit Bezug auf die Suspendierung von Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und Offizial Günter Assenmacher.

Schwaderlapp bot Papst Franziskus mittlerweile seinen Rücktritt an. Während den amtierenden Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki selbst laut der Studie keine Vorwürfe treffen, belastet sie auch den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der früher in Köln als Personalchef und Generalvikar tätig war.

Betroffenenbeirat „überrascht“

Peter Bringmann-Henselder vom Betroffenenbeirat der Erzdiözese Köln zeigte sich am Donnerstag „überrascht“ über die ersten personellen Konsequenzen. Er lobte, dass die Gercke-Kanzlei den Betroffenenbeirat bei der Erarbeitung einbezogen habe. Auch der frühere Sprecher des Betroffenenbeirats, Patrick Bauer, lobte die Reaktion von Woelki. Dass er schon heute Assenmacher und Schwaderlapp suspendiert habe, habe ihn „in dieser Deutlichkeit überrascht“, sagte Bauer im ZDF.

„Eckiger Tisch“: „Freispruch“ für Woelki

Als „Freispruch“ für Kardinal Rainer Maria Woelki bezeichnete der Sprecher der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, das Missbrauchsgutachten. „Was man bestellt hat, hat man bekommen“, sagte er. Das Gutachten kläre weder moralische noch kirchenrechtliche Fragen. Katsch kritisierte, dass die Perspektive der Betroffenen für die Erstellung des Gutachtens keine Rolle gespielt habe. Das Gutachten sei kein Ersatz für Aufarbeitung, so Katsch. Diese müsse erst noch geschehen.

Missbrauchsbeauftragter: „Mosaikstein“

Der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, nannte das in dem Gutachten gezeichnete Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzungen kirchlicher Verantwortungsträger am Donnerstag „erschreckend“. Zugleich lobte er die Untersuchung als einen „wichtigen von vielen weiteren Mosaiksteinen der unabhängigen Aufarbeitung“. Nun müsse zügig eine Aufarbeitungskommission unter Beteiligung von Betroffenen und weiteren Experten gebildet werden.

„Wenn sich das mächtige Erzbistum Köln nun an die Spitze der unabhängigen Aufarbeitung setzt und auch die Betroffenen uneingeschränkt unterstützt, würde ich das sehr begrüßen“, sagte Rörig. Zudem hoffe er sehr, „dass die unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche mit ganzer Energie und mit uneingeschränktem kirchlichem Aufklärungswillen in allen deutschen Bistümern weiter vorangetrieben wird“.

Kriterien unterzeichnet

Kardinal Woelki hatte am Montag eine Vereinbarung mit verbindlichen Kriterien für die Missbrauchsaufarbeitung unterzeichnet. Damit habe Woelki die Steuerung der Aufarbeitung in der Erzdiözese aus seinen Händen gegeben und der künftigen Aufarbeitungskommission übertragen, ohne aus der Verantwortung entlassen zu sein, so Rörig weiter. Er sprach von „unumkehrbarer Verbindlichkeit“.

Der Missbrauchsbeauftragte und die Deutsche Bischofskonferenz hatten sich im vergangenen Jahr auf eine „Gemeinsame Erklärung“ verständigt. Das Papier gibt allen Diözesen einen einheitlichen Rahmen für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt vor.

Justizministerin: Aufarbeitung am Anfang

„Auf die heutigen ersten personellen Konsequenzen haben viele Opfer viel zu lange gewartet“, sagte die deutsche Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) nach Veröffentlichung des Gercke-Guachtens.

„Diese Schritte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die so lange überfällige unabhängige Aufarbeitung in Köln und andernorts immer noch am Anfang steht.“ Weiterhin gelte, dass Täter und Strukturen genannt werden müssten. Jeder Hinweis auf noch nicht verjährte Taten müsse zur Anzeige gebracht werden.