Würdigung

„Streitbarer Forscher“: Trauer um Hans Küng

Religionsvertreterinnen und -vertreter haben den am Dienstag verstorbenen Theologen und Kirchenkritiker Hans Küng gewürdigt. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sprach von einem „anerkannten und streitbaren Forscher“.

„Hans Küng hat es sich nie nehmen lassen, für seine Überzeugungen einzutreten“, sagte der Limburger Bischof nach einer Mitteilung der Bischofskonferenz. „Auch wenn es diesbezüglich Spannungen und Konflikte gab, danke ich ihm in dieser Stunde des Abschieds ausdrücklich für sein jahrelanges Engagement als katholischer Theologe in der Vermittlung des Evangeliums.“

Er denke vor allem an Küngs Einsatz für den interreligiösen und interkulturellen Dialog und an die von ihm gegründete Stiftung Weltethos, sagte Bätzing. „Hans Küng war zutiefst vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt, um dessen theologische Rezeption er sich bemüht hat.“ Er hinterlasse ein reiches theologisches Erbe. „Wir trauern um eine Persönlichkeit, die jetzt ihren Frieden in der Hand Gottes finden möge.“

Der Theologe Hans Küng
APA/AFP/Rainer Jensen
Hans Küng ist am Dienstag im Alter von 93 Jahren in seinem Haus in Tübingen gestorben.

„Große Gestalt“

Die Päpstliche Akademie für das Leben würdigte Küng als „große Gestalt in der Theologie des vergangenen Jahrhunderts“. Küngs Ideen und Analysen nötigten zur Reflexion über die katholische Kirche und die Kirchen, die Gesellschaft und die Kultur, hieß es in einem am Dienstagabend verbreiteten Tweet der vatikanischen Facheinrichtung für Ethik-Fragen.

Nach Darstellung des emeritierten deutschen Kurienkardinals Walter Kasper hatte sich Küng vor seinem Tod mit der Kirche ausgesöhnt. Der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ (Mittwoch-Ausgabe) sagte Kasper, Küng habe als Theologe mit einer für alle verständlichen Sprache „vielen geholfen, zum Glauben zu finden oder in der Kirche zu bleiben“.

Hans Küng, einer der renommiertesten Theologen weltweit, ist am Dienstag in seinem Haus im deutschen Tübingen gestorben. In den vergangenen 30 Jahren engagierte sich Küng vor allem für den Dialog der Weltreligionen, insbesondere im „Projekt Weltethos“. 1979 hatte ihm der Vatikan die Lehrerlaubnis entzogen, unter anderem wegen seiner Kritik an der Lehre der Unfehlbarkeit des Papstes. Der Wissenschaftler erhielt viele Auszeichnungen, darunter mehr als ein Dutzend Ehrendoktorwürden.

Zölibat, Frauenpriestertum, Laien

In den vergangenen Jahren hatte sich Küng wegen seines Gesundheitszustands zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er litt unter anderem an Parkinson, wie er in seiner Autobiografie öffentlich gemacht hatte.

„Die katholische Kirche ist krank, vielleicht sterbenskrank“, diagnostizierte er mit Blick auf den Priestermangel und den Mitgliederschwund. Den Päpsten und nicht zuletzt seinem früheren Weggefährten Benedikt XVI. warf er vor, den biblisch bezeugten Jesus durch ein „selbstfabriziertes Kirchenrecht“ verdrängt zu haben.

Seine Forderungen wie die Abschaffung des Zölibats, also des Heiratsverbots für Priester, die Zulassung von Frauen zum Priesteramt und die Stärkung der Laien machten ihn für viele Reformkatholiken zu einem Vordenker.

Kritischer, positiver Geist

Bei all seiner Kirchenkritik habe er aus dem reichen Schatz der Tradition geschöpft, schrieb der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner in seinem Blog. Und so kritisch er gegenüber Missständen in der katholischen Kirche gewesen sei: „Wie auch Karl Rahner lehnte er es ab, trotz vielfältiger Widerstände gegen seine freie Rede aus der Gemeinschaft der Kirche auszutreten.“ Küngs Buch „Christsein“ sei für Studierende ebenso wie Joseph Ratzingers „Einführung in das Christentum“ selbstverständliche Pflichtlektüre gewesen.

Bernd Jochen Hilberath, Küngs Nachfolger auf dessen Lehrstuhl an der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen, hinterfragte auf der theologischen Feuilleton-Website feinschwarz.net den vielfach auf den Verstorbenen gemünzten Begriff „Kirchenrebell“: „Wer den Menschen und Priester Hans Küng näher kennenlernen durfte …, hat erfahren, wie einseitig und missverständlich diese in den Medien beliebte Charakterisierung ist“, schrieb Hilberath.

Kritik „am allerwenigsten toleriert“

Wie Küng hätten auch andere namhafte Theologen der (Nach-)Konzilszeit erfahren müssen, „dass Kritik an der Institution und ihrem (Macht-)Anspruch am allerwenigsten toleriert wird“. Dabei gehe es doch um nichts anderes als um „Re-form“, um eine Erneuerung des Katholischseins und der Kirche im Sinne des Evangeliums. Küngs Kirchenkritik war laut Hilberath nie Selbstzweck, „sondern diente der Verlebendigung der kirchlichen Gemeinschaft, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil erhofft wurde und die bis heute vor gewaltigen Herausforderungen steht“.

„Innovativ, unbeugsam, medienwirksam“

Mit dem beim Zweiten Vatikanischen Konzil als theologischer Berater mitwirkenden Hans Küng sei „wohl die letzte Galionsfigur der Konzilszeit von uns gegangen“, teilte die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer mit.

Er sei ein innovativer Theologe gewesen, zudem unbeugsam und medienwirksam – drei Eigenschaften, die ihm ein „Alleinstellungsmerkmal“ verliehen hätten, so die Verfasserin der ersten katholisch-theologischen Frauenhabilitation in Österreich gegenüber Kathpress.

Vordenker für Reformbewegungen

Die katholische Reformbewegung Wir sind Kirche teilte mit, Küngs lebenslange Beharrlichkeit in der Erneuerung der römisch-katholischen Kirche sowie sein Einsatz für die Ökumene und den Dialog der Weltreligionen blieben Ermutigung, Inspiration und Ansporn zugleich. Küng habe wie kein anderer in unserer Zeit die Frage nach der Wahrheit im Christentum wachgerüttelt und wachgehalten, hieß es.

Weil Küng die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes anzweifelte, ließ Papst Johannes Paul II. ihm 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entziehen. Der Tübinger Theologie-Professor prangerte aber auch danach immer wieder die mächtige Position des Papstes an und bezeichnete die Kirche deshalb als Diktatur. In seinen Büchern und Vorträgen trieb er den Dialog zwischen den Weltreligionen voran.

Rabbiner: „Streitbarer Mahner“

Der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ARK), Andreas Nachama, erklärte in Berlin: „Heute trauern wir um einen streitbaren Mahner, der Schule gemacht hat, ohne selbst von seiner Kirche rehabilitiert worden zu sein.“ Anlässlich des 92. Geburtstags von Küng habe die ARK im vergangenen Jahr an Papst Franziskus appelliert, ein „deutliches Zeichen der Versöhnung“ zu setzen.

Nachama erinnerte an die Worte von Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, die er 2018 an Küng gerichtet habe, als dieser den Preis für Zivilcourage des Heine-Kreises Düsseldorf erhielt: „Wo andere mit ihrem Gott am Ende sind, zeigen Sie uns den Ansatz für einen neuen Anfang.“

Bischof: „Er wollte eine erneuerte Kirche“

Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Felix Gmür, verwies auf Küngs Verhältnis zur Kirche: Er sei nicht zuerst „Kirchenkritiker oder Papstkritiker, sondern Kirchenliebhaber, ja sogar Papstliebhaber“ gewesen, schrieb der Bischof von Basel, Küngs Heimatdiözese, in einem Nachruf.

Küng habe die Kirche nicht überflüssig machen und nicht untergehen lassen wollen. „Er wollte eine erneuerte Kirche, eine Kirche für heutige Menschen, eine Kirche, die a jour ist“, betonte Gmür. „Er kämpfte für eine Kirche, die sich mit den Lebenswelten, so wie sie sind, und mit der Welt, so wie ist, auseinandersetzt.“

Keine Angst vor „heißen Eisen“

Die Präsidentin der römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz, Renata Asal-Steger, erklärte laut Portal kath.ch, Küng habe ein Gespür für aktuelle Themen gehabt, die er vor anderen aufgegriffen habe. Auch habe er den Mut besessen, „heiße Eisen“ anzufassen und Position zu beziehen. „So trat er schon für die Zulassung der Frauen zu kirchlichen Ämtern ein, als diese Forderung noch längst keine Selbstverständlichkeit war.“

Papst-Berater

Küng wurde am 19. März 1928 in Sursee in der Schweiz geboren. Mit 20 Jahren begann er sein Studium an der Päpstlichen Universität in Rom. Er wurde Seelsorger an der Luzerner Hofkirche, entschied sich dann aber für eine akademische Laufbahn und ging als wissenschaftlicher Assistent nach Münster.

1960 wurde er Professor in Tübingen, wo er für den Rest seines Lebens wohnte. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) ernannte Papst Johannes XXIII. ihn zusammen mit Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., zum Berater. Doch schon beim Erscheinen seiner Doktorarbeit 1957 legte die Glaubenskongregation ein Dossier über den Theologen an.

1967 kochte der Ärger dann endgültig hoch: Die Kurie verbot die Übersetzung von Küngs Buch „Die Kirche“. Er hielt sich nicht daran, der Titel wurde zum Bestseller und Küng zu einem der prominentesten Theologen.