D: „Woche für das Leben“ startet mit Warnung vor „Dammbruch“

Die katholische und evangelische Kirche in Deutschland haben am Samstag mit einem ökumenischen Gottesdienst im Augsburger Dom die „Woche für das Leben“ eröffnet. Der katholische Bischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing sieht die Gefahr eines Dammbruchs, wenn eine Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung möglich wird.

Die Aktion läuft bis 24. April unter dem Leitwort „Leben im Sterben“. Sie widmet sich seelsorglichen, ethischen und medizinischen Aspekten der Sterbebegleitung sowie der Hospiz- und Palliativversorgung.

Die „Woche für das Leben“ findet seit 1994 als ökumenische Initiative der beiden großen christlichen Kirche in Deutschland statt. Die diesjährige 26. Auflage hat als Hintergrund die Aufhebung des 2015 vom deutschen Bundestag beschlossenen Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung durch das deutsche Bundesverfassungsgericht im Februar 2020. Es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben, hieß es in dem Grundsatzurteil.

„Gefahr eines Dammbruchs“

Der katholische Bischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing, sagte, das höchstrichterliche Urteil habe die Debatte um selbstbestimmtes Sterben neu entfacht. "Die Politik ist gefragt, ein neues Gesetz zu schaffen.

Ich sehe dies mit großer Sorge, denn für mich ist hier ganz deutlich die Gefahr eines Dammbruchs gegeben, wenn eine Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung möglich wird, denn der Druck auf alte und kranke Menschen wird mit der Zeit wachsen." Sein Leben selbst zu beenden, entspreche nicht dem christlichen Menschenbild, so der Limburger Bischof.

Bedford-Strohm: Kranken beistehen

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, sagte: „‚Leben im Sterben‘ ist ein Thema, das in die Mitte der Gesellschaft gehört.“ Die Kirchen drückten mit dem Thema eine Kernüberzeugung des christlichen Glaubens aus: „Der Mensch ist in jeder Phase seines Lebens von Gott angenommen.“

Daher sei Kranken und ihren Angehörigen in herausfordernden Situationen beizustehen. Bedford-Strohm forderte eine Stärkung der Palliativversorgung: „Die Pflegeversicherung muss so ausgestattet werden, dass genügend Personal zur Verfügung steht, und dass auch die Zeit, um Menschen zu begleiten, mit eingerechnet werden kann in das Zeitbudget.“

Diskussion über Suizid-Beihilfe in kirchlichen Einrichtungen

Der Ratsvorsitzende äußerte sich auch zu einem Plädoyer vom Jahresbeginn. Damals hatten der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Reiner Anselm, und Diakonie-Präsident Ulrich Lilie darauf gedrungen, assistierten professionellen Suizid auch in kirchlichen Einrichtungen zu ermöglichen. EKD und katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) lehnten dies ab.

Bedford-Strohm sagte: „Wir diskutieren, das ist gut protestantisch.“ Einig sei man darin, „dass alle Beratungsprozesse am Schutz des Lebens orientiert sein müssen“. Die evangelische Kirche stehe nicht für „die Ermutigung zur Selbsttötung“. Auf die Frage, wie er zur Begleitung eines Sterbewilligen etwa in die Schweiz stehe, antwortete Bedford-Strohm: „Dass wir Menschen vom ersten Atemzug bis zum letzten Atemzug begleiten, ist für mich eine Selbstverständlichkeit.“ Und weiter: „Aber Menschen zu segnen, heißt ja nicht, alles abzusegnen, was sie sagen oder tun.“

Expertenkritik an Kirchen und Gesellschaft

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, meldete sich mit Kritik an den Kirchen zu Wort. Brysch teilt mit: „In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes geht es nicht allein um Sterbende.“

Die Kirchen blendeten das aus der Diskussion aus. Der Anspruch auf organisierte Selbsttötung habe nichts mit Leidenskriterien oder Alter zu tun. „Hospizarbeit und Palliativmedizin sind daher keineswegs die einzige Antwort auf die Sterbehilfedebatte.“ In der Diskussion gehe es allein um eine organisierte Förderung zur Selbsttötung. Also müsse das Tun des Suizidhelfers in den Fokus genommen werden.

Kritik formuliert auch Frank Ulrich Montgomery. Der Chef des Weltärztebundes sagte zum programmatischen Start der Aktionswoche bei einer digitalen Podiumsdiskussion: „Das Bundesverfassungsgericht irrt, wenn es die menschliche Selbstbestimmung derart überhöht, dass sie sogar die Abschaffung ihrer selbst mit einschließt.“ Montgomery ergänzte, die Sterbehilfe-Debatte hänge mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zusammen. In Ländern mit stärkerem Familienzusammenhalt und größerer Religiosität stelle sich die Frage praktisch nicht.

Als Seelsorger hob der katholische Augsburger Weihbischof Anton Losinger hervor, wie wichtig das Sprechen über den Tod sei. Immerhin: Inzwischen sei es normal, dass Ärzte mit ihren Patienten darüber redeten – früher sei das ein Thema für die Besenkammer gewesen.

Bundestag debattiert am Mittwoch

Die Bundestagsfraktionen haben sich laut „Spiegel“ darauf verständigt, am kommenden Mittwoch über eine Neuregelung des Sterbehilferechts zu debattieren. Im Vorfeld dieser Orientierungsdebatte hat sich eine neue Parlamentariergruppe gegründet, die eine restriktive Lösung vorschlägt, wie das Magazin (Samstag) berichtet.

Laut diesem nunmehr dritten Vorschlag aus dem Parlament für eine Neuregelung soll die „geschäftsmäßige Suizidhilfe“ wieder grundsätzlich strafbar sein, unter bestimmten Voraussetzungen aber „nicht unrechtmäßig“, wie es in einem Eckpunktepapier laut „Spiegel“ heißt. Auch Wartefristen und ein Werbeverbot seien geplant.

Alternativen zum assistierten Suizid

„Wir wollen Alternativen zum assistierten Suizid stärken“, heißt es in dem begleitenden Schreiben, das die überfraktionelle Gruppe um die Unionspolitiker Stephan Pilsinger und Ansgar Heveling, den SPD-Mann Lars Castellucci und die Grünenpolitikerin Kirsten Kappert-Gonther an die Abgeordneten des Bundestags versandt hat. Wenn der assistierte Suizid leichter zu erreichen sei als eine palliative Versorgung, entstehe eine „gefährliche Schieflage“. Die Gruppe wolle „den selbstbestimmten Willen des Einzelnen vor Druck schützen“.

Zwei liberalere Gesetzentwürfe liegen bereits vor. Bis zur Bundestagswahl stehen im Parlament offiziell nur noch fünf Sitzungswochen an, Mehrheiten zeichnen sich noch nicht ab. „Theoretisch wäre eine Einigung noch möglich. Sollte die Zeit knapp werden, könnte der Bundestag in der Sommerpause auch eine Sondersitzung einberufen“, sagte die FDP-Politikerin Helling-Plahr. Sie setzt sich in einer Gruppe mit dem SPD-Politiker Karl Lauterbach für eine liberalere Lösung ein.