Moscheegründerin Seyran Ates in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin
APA/AFP/John MacDougall
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„Sex, Revolution and Islam“: Film über Imamin Ates

Die deutsche Imamin, Juristin und Buchautorin Seyran Ates ist als Gründerin einer liberalen Moschee in Berlin bekannt. Das Filmporträt „Seyran Ates: Sex, Revolution and Islam“ der türkisch-norwegischen Regisseurin Nefise Özkal Lorentzen hat am 22. April Weltpremiere.

Seyran Ates ist eine Frau, die sich nicht fürchtet, neue Wege zu beschreiten – auch gegen massiven Gegenwind. Die von ihr gegründete Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin schreibt weder eine Geschlechtertrennung noch einen Kopftuchzwang vor. Das Gotteshaus ist offen für Muslime und Musliminnen aller Glaubensrichtungen und sexueller Identitäten. Wegen Morddrohungen lebt die 62-Jährige seit Jahren unter Polizeischutz.

Moscheegründerin Seyran Ates im Gespräch mit einem Angehörigen der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin
Reuters/Annegret Hilse
Seyran Ates 2021 in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin

In Istanbul geboren und seit dem sechsten Lebensjahr in Deutschland aufgewachsen, erlebte die Tochter einer türkischen Mutter und eines kurdischen Vaters „soziale Kontrolle in einem hohen Ausmaß“, so der Pressetext zum Film. Ates erfuhr in der Familie auch Gewalt. Mit 17 Jahren lief sie von zu Hause weg, und „beschloss, Jus zu studieren, um Frauen, die mit Zwangsheirat und Unterdrückung konfrontiert sind, zu helfen. Ihr Kampf gegen Kinderehen war überall in den Medien.“

Fatwas, Drohungen, Attentat

Mit 21 Jahren wurde Ates 1984 in einem Frauenzentrum in einem Beratungsgespräch von einem Mann, der eine Klientin erschoss, lebensgefährlich verletzt. Zwei Fatwas wurden gegen die Imamin ausgesprochen, und die türkische Regierung unter Recep Tayyip Erdogan beschuldigte sie, eine Terroristin zu sein.

Die Morddrohungen gegen sie kämen seitens „extremer Islamisten, türkisch-kurdischer Nationalisten und deutscher Rechtsextremisten“, so ein Artikel im britischen „Guardian“ (Onlineausgabe am Sonntag), der sich dem neuen Film widmet.

Kampf für progressiven Islam

Ates setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit und LGBT+-Rechte ein, aber auch für einen neu gelebten Islam. „Wir leben im 21. Jahrhundert“, zitiert der „Guardian“ Ates aus der Dokumentation, „aber wir lehren den Islam so wie im 7. Jahrhundert. Ich kämpfe für einen progressiven Islam.“

Nicht völlig unumstritten ist Ates, die sich ungern als Imamin bezeichnen lässt, sondern sich eher als „Predigerin“ fühlt, aber auch in linksorientierten Kreisen: So wurde ihr etwa ein Vortrag mit dem Titel „Der politische Islam und seine Gefahren für Europa“, den sie 2018 vor der Freiheitlichen Akademie der FPÖ hielt, vorgeworfen.

Viele Auszeichnungen

Zu den vielen Auszeichnungen, die sie erhielt, zählen der mit 10.000 Euro dotierte Menschrechtspreis der Universität Oslo im Jahr 2019 und der Marion-Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung 2018.

Filmhinweis

„Seyran Ates: Sex, Revolution and Islam“ von Nefise Özkal Lorentzen, Weltpremiere am 22. April, gestreamt werden kann der Film auf Doxonline.dk, Tickets nötig.

Ates ist Botschafterin für den Verein „intaktiv e.V.“, der sich gegen die Genitalverstümmelung und Beschneidung von Kindern einsetzt. Für Aufregung sorgten immer wieder ihre Bücher, die heikle Themen wie Sexualität, Feminismus und Glauben behandeln, zuletzt erschien 2017 „Selam, Frau Imamin“ – mehr dazu in Die Frau, die eine Moschee gründete.

„Tochter, Schwester, gute Freundin“

Die Doku wird in den nächsten Monaten bei Filmfestivals in Europa und weltweit digital im Wettbewerb vorgestellt. Ihr Film sei das „Porträt einer weiblichen Imamin und ihrer Kämpfe in Sachen sexuelle Revolution innerhalb des Islams“, so Regisseurin Özkal Lorentzen. Sie habe beschlossen, Ates „Tochter, Schwester, Mutter, Tante und auch als gute Freundin“ darzustellen.

„Islam ist vielfältiger“

„Der Islam ist viel vielfältiger, als viele Menschen denken", so Ates selbst. Die meisten Dinge, gegen die wir kämpfen, richten sich nicht gegen die Religion, sondern gegen die Tradition.“ Mehr und mehr muslimische Frauen würden aufstehen für das Recht, das Gebet anzuführen, und für Gleichberechtigung. „Es gibt unter Muslimen eine wachsende Bewegung für einen zeitgenössischeren Islam, und für mehr Freiheit. Aber viele Männer haben Angst, ihre Macht, zu kontrollieren, zu verlieren.“

Sie sei sicher, so Ates, „dass wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren mehr Veränderungen sehen werden. So geht das – eine oder zwei Leute haben eine Idee, sie beginnen eine Bewegung für Veränderung, und sie wächst. Ich war lange Zeit allein, aber jetzt bin ich nicht allein.“