Nach Kritik

D: Kardinal Marx verzichtet auf Verdienstorden

Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx (67) will das deutsche Bundesverdienstkreuz nicht in Empfang nehmen. Das sei mit Rücksicht auf diejenigen, die daran Anstoß nähmen, der richtige Schritt, schrieb Marx an den deutschen Bundespräsidenten.

In einem Brief an Frank-Walter Steinmeier bat Marx, auf die für Freitag geplante Auszeichnung zu verzichten. Missbrauchsbetroffene aus Köln und aus Trier hatten die Ehrung mit Blick auf die nicht aufgearbeitete Rolle von Marx in mehreren Missbrauchsfällen kritisiert.

„Die Kritik, die nun von Menschen geäußert wird, die von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche betroffen sind, nehme ich sehr ernst, unabhängig von der Richtigkeit der einzelnen Aussagen in Offenen Briefen und in der medialen Öffentlichkeit“, schreibt Marx nach Angaben seiner Pressestelle. Er fühle sich persönlich und auch als Amtsträger der Kirche der Aufarbeitung verpflichtet.

Kardinal Reinhard Marx
APA/AFP/Mohssen Assanimoghaddam
Der deutsche Kardinal Reinhard Marx verzichtet auf die Auszeichnung mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz

Bundespräsident Steinmeier respektiere die Entscheidung des Kardinals, teilte eine Sprecherin am Dienstagabend auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit: „In einem Telefonat mit Kardinal Marx bekräftigte der Bundespräsident dessen große Verdienste um Solidarität und Gerechtigkeit, wie sie nicht zuletzt im Werben um die Aufnahme von Geflüchteten, aber auch im beständigen Dialog von Kirche und Gesellschaft zum Ausdruck gekommen sind.“

Ehrung für Einsatz für Gesellschaft

Das Bundespräsidialamt hatte nach erster Kritik an dem Verdienstorden für den Kardinal zunächst an der Verleihung der Auszeichnung festgehalten. Marx habe sich als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz von 2014 bis 2020 besonders für Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft engagiert, hieß es am Sonntag: „Er hat sich für die Aufnahme von Geflüchteten eingesetzt, ist Populismus und Hetze entgegengetreten und hat zur Hilfe für Bedürftige in Deutschland und der Welt aufgerufen – unabhängig von Herkunft und Religion.“

Beide seien sich einig, dass die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche „von überragend wichtiger Bedeutung“ sei und fortgesetzt werden müsse. Rücksicht auf Betroffene zu nehmen, die an der Ordensverleihung Anstoß genommen hatten, verdiene Anerkennung, ergänzte Steinmeier nach Angaben seiner Sprecherin.

Missbrauchsbetroffener: „Respekt!“

Mehrere Missbrauchsbetroffene begrüßten in ersten Reaktionen den Verzicht Marx von Marx. Der Verein MissBiT aus der Diözese Trier nannte den Entschluss die „einzig richtige Möglichkeit“. Die Ankündigung, auf die Ehrung zu verzichten, zeige, dass Marx die Kritik sehr ernst nehme, sagte MissBiT-Sprecher Hermann Schell. Zugleich störe ihn aber, dass der Münchner Erzbischof und frühere Bischof von Trier inhaltlich bisher nicht weiter Position zu den von Betroffenen geäußerten Kritikpunkten beziehe.

Auch der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, begrüßte die Entscheidung des früheren Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. „Respekt!“, kommentierte Katsch auf Twitter. Er selbst war im April gemeinsam mit dem Jesuitenpater Klaus Mertes mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden.

Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Köln zeigte sich erleichtert über Marx’ Entscheidung, auf das Bundesverdienstkreuz zu verzichten. Er finde den Schritt gut, teilte Beiratsmitglied Peter Bringmann-Henselder der Deutschen Presse-Agentur mit. „Es zeigt, dass auch hohe Kirchenfürsten endlich mal den Blick auf die Betroffenen werfen.“

Neues Gutachten beauftragt

Nach dem „Schock von 2010“, als Missbrauchsvorwürfe im Canisius-Kolleg den Skandal auch nach Deutschland holten, habe auch er selbst den Wunsch gehabt, schnell wieder zur Normalität zurückzukehren, sagte Marx kürzlich der Zeitschrift „Publik-Forum“. „Wir haben die Wucht der Erschütterung gespürt, aber nicht bis in ihre letzte Konsequenz verstanden“, sagte er im Interview.

Für sein bayerisches Bistum hat Marx ein neues Missbrauchsgutachten in Auftrag gegeben, das in diesem Jahr erscheinen soll. Darin soll auch die Amtszeit von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. untersucht werden. „Komplett von 1945 bis Ende 2019. Inklusive meiner Amtszeit“, versprach Marx im „Publik-Forum“.

Missbrauchsskandal 2010 aufgedeckt

Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland war 2010 erstmals aufgedeckt worden. Wie sich herausstellte, hatten Priester seit 1945 Tausende von Kindern sexuell missbraucht. Nur ein winziger Bruchteil der Taten wurde strafrechtlich verfolgt.

Mehrere Gutachten haben inzwischen nachgewiesen, dass Bischöfe und andere Amtsträger die Taten meist zu vertuschen suchten, um einem Ansehensverlust der Kirche vorzubeugen. Sie versetzten die Priester vielfach einfach in andere Gemeinden, wo sie dann oft erneut Kinder missbrauchten. Wenn sich die Opfer oft viele Jahre später als Erwachsene meldeten, wurde ihnen häufig nicht geglaubt.

Kritik an Missbrauchsaufarbeitung

Der 67-jährige Marx war von 2014 bis 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. In dieser Zeit brachte er weitere Aufarbeitungsschritte im Missbrauchsskandal der Kirche auf den Weg. Allerdings blieb auch unter Marx die Kritik von Missbrauchsopfern bestehen, dass der Aufklärungswille der katholischen Kirche unzureichend sei.

Im Zusammenhang mit der viel kritisierten Aufarbeitung im Erzbistum Köln geriet zudem auch Marx als Bischof in die Kritik. Während der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in einem Gutachten persönlich entlastet wurde und nach der Veröffentlichung des Gutachtens wegen persönlicher Verfehlungen mehrere ranghohe Geistliche von ihren Aufgaben entband, wird Marx vorgeworfen, bisher noch nicht solch eine schonungslose Aufarbeitung betrieben zu haben.