500 Jahre

Petrus Canisius: Die Geheimwaffe Roms

Prediger und Jesuit, Theologe, Kirchenlehrer, Buchautor und Heiliger: Der vor 500 Jahren geborene Petrus Canisius war eine der wichtigsten Waffen der katholischen Kirche im Kampf gegen die Reformation. Die Kirche feiert Canisius dieser Tage – über seine Schattenseiten ist weniger bekannt.

Schon der Tag seiner Geburt fiel mit einem anderen epochalen Ereignis zusammen: Am 8. Mai 1521 wurde nicht nur der kleine Peter Kanis als Sohn des Bürgermeisters von Nimwegen (im Herzogtum Geldern in den Niederlanden) geboren, an diesem Tag wurde auch die Reichsacht über den großen Gegenspieler Roms verhängt: Martin Luther.

Als Vorzeichen taugt der Termin, denn das Werk, dem Canisius sein Leben widmete, war die Gegenreformation – die Wiederherstellung der Macht der katholischen Kirche. „Der Jesuitenorden wurde gegründet, um die katholische Kirche zu retten“, so Thomas Winkelbauer, Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien, im Gespräch mit religion.ORF.at. Hauptaufgaben des von Ignatius von Loyola (1491–1556) gegründeten Ordens waren Seelsorge, Predigt und Mission.

Einfluss auf politische Eliten

Ein Teil davon waren die Gründung und der Betrieb von Schulen. „Die Jesuiten haben sich ganz bewusst den Gymnasien und Hochschulen gewidmet, um Einfluss auf die künftigen politischen Eliten ausüben zu können“, sagt Winkelbauer. Die erste von Jesuiten gegründete Schule entstand 1548 in Messina auf Sizilien: Canisius war daran maßgeblich beteiligt. Canisius, der 1549 als erst achter Jesuit seine Gelübde ablegte, nachdem er in Köln Theologie und Philosophie studiert hatte, setzte sein Hauptaugenmerk bald auf den deutschsprachigen Raum.

Petrus Canisius auf einem Kupferstich von Dominikus Custos um 1599
Public Domain/Wikipedia
Petrus Canisius auf einem Kupferstich von Dominikus Custos um 1599

Nach einem gescheiterten Versuch, in Bayern ein eigenständiges Kolleg aufzubauen, reiste Canisius 1552 nach Wien. Schon im September 1553 konnte ein eigenes Jesuitengymnasium in Betrieb genommen werden – „das erste Jesuitenkolleg im römisch-deutschen Reich“, schreibt der Innsbrucker Theologe und Historiker Mathias Moosbrugger in seinem neuen Buch „Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten“.

Ersatz für „entsprungene Mönche“

Hier sollten die Schüler, ausschließlich Buben, ursprünglich auf ein Theologiestudium vorbereitet werden, so Winkelbauer. Im Zuge der schnell Fuß fassenden Reformation litt die katholische Kirche unter einem gravierenden Priestermangel. „Viele schlossen sich der von Luther ausgelösten Reformation an“, erklärt Winkelbauer, „es gab auch viele ‚entsprungene Mönche‘.“

Doch ziemlich rasch sei es in den Jesuitenkollegien nicht mehr nur um den Ordensnachwuchs gegangen. Diese Schulen waren laut dem Historiker meistens sechsklassig, Unterrichtssprache war, „so schnell es ging“, Latein. Am Wiener Jesuitengymnasium habe eine Klasse bis zu 150 Schüler umfasst – kein Wunder, dass viele Jesuitenpriester nicht lange blieben. Die meisten zogen die Mission in Fernost oder Lateinamerika dem Schuldienst vor.

Neben Adeligen und Bürgerkindern seien in die Jesuitenkollegien auch begabte Bauernsöhne aufgenommen worden, sagt Winkelbauer – besonders gern Söhne aus einflussreichen Familien. Das zeigen auch die jährlichen Berichte („Litterae annuae“) an die Ordenszentrale in Rom: „Hier wurde penibel festgehalten, wie viele der Schüler adelig waren.“

Der Wiener Historiker und Universitätsprofessor Thomas Winkelbauer
Privat
Professor für Österreichische Geschichte Thomas Winkelbauer

Den Adel zurückgewinnen

Es ging um die Rekatholisierung der Bevölkerung und um den Kampf gegen die sehr erfolgreiche Reformation: In Wien seien um 1570 wahrscheinlich um die 80 Prozent der Bevölkerung evangelisch gewesen. Ziel Roms sei es gewesen, protestantische Adelige (und somit auch deren Untertanen) zum Übertritt zu bewegen. In den Jesuitenschulen konnte man diesbezüglich auf die künftigen „Opinion Leader“ der Gesellschaft hinarbeiten – indem man die Sprösslinge der Reichen und Mächtigen „katholisch indoktrinierte“, so der Historiker.

Noch verlockender machte das Bildungsangebot der Jesuiten übrigens, dass diese kein Schulgeld verlangten. Dazu gab es eigene Konvikte für Buben, die nicht aus Wien bzw. der jeweiligen Stadt stammten, sowie Armenkonvikte, die mit Stipendien ausgestattet waren und begabte Söhne mittelloser Eltern aufnahmen.

„Papstesel“ vs. „brünstige Sau“

All das habe den Orden bei den Evangelischen bald „verhasst“ gemacht, denn er stellte eine ernsthafte Konkurrenz dar: Das Bildungssystem der Zeit war marod. Die Anhänger Luthers wetterten denn auch wüst gegen Canisius, wie bei Moosbrugger zu lesen ist – er war für sie ein „gräußlicher Gotteslästerer und grober Tölpel“, „Götzendiener“ und „Papstesel“. Canisius zahlte die Beleidigungen mit gleicher Münze zurück und schimpfte Martin Luther „die Pest Europas“ und eine „brünstige Sau“.

Beichtväter der Fürsten

Neben dem Einfluss über die Schulen konnten die Jesuiten, die bald gefragte Beichtväter wurden, auch direkt auf die Elite einwirken. Von der Mitte des 16. bis ins 18. Jahrhundert seien die Hofbeichtväter der Habsburger und der bayrischen Wittelsbacher alle Jesuiten gewesen, sagt Winkelbauer, ein Experte für die Geschichte der Habsburgermonarchie. Dieses „Monopol“ habe sie auch bei den anderen Orden unbeliebt gemacht.

Buchcover Mathias Moosbrugger: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten.
Tyrolia Verlag

Mathias Moosbrugger: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten. Tyrolia, 288 Seiten, 27,95 Euro.

Canisius selbst wurde 1553 Hofprediger von Ferdinand I. in Wien, 1554 habe er auf dessen Druck hin sogar ein Jahr lang die Diözese Wien geleitet, „nachdem er es mit der Hilfe von Ignatius von Loyola wenigstens hatte abwehren können, dort Bischof zu werden“, so Autor Moosbrugger. Außerdem organisierte Canisius eine Reform der Universität Wien und im Zuge dessen auch gleich deren Rekatholisierung.

Auch in Tirol, in Innsbruck und Hall eröffnete Canisius Jesuitenkollegs, und 1556 entstand unter schwierigen Umständen eine Schule in Prag – dringend notwendig für die katholische Kirche ebenso wie für den Kaiser, denn Böhmen war, formuliert Moosbrugger, „seit dem Aufkommen der Hussiten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und damit seit über einem Jahrhundert nur noch rudimentär katholisch“.

Reisen, Konzil und Geldnöte

Neben all diesen aufreibenden Tätigkeiten – Canisius musste viel reisen und stand häufig vor Finanzierungsproblemen – und der aktiven Teilnahme am Konzil von Trient (1545–-1563) fand der Jesuit auch noch Zeit, Bücher zu schreiben. Auch hier leistete er – notgedrungen – Pionierarbeit: Bis dahin gab es schlicht keine für den Religionsunterricht verwendbaren katholischen Bücher – selbst in katholischen Schulen seien evangelische Schriften verwendet worden, so Moosbrugger.

Der passende Katechismus für alle

Der „Summa doctrinae christianae“ von 1555 wurde als Großer Katechismus bekannt und diente dem Unterricht von Theologie- und Philosophiestudenten, sagt Winkelbauer. Der „Mittlere“ fand Einsatz in Gymnasien, und der „Kleine Katechismus“ war eine einfache Fassung mit „kurzen Gebetlen für die Einfältigen“. Diese Gebet- und Erklärbücher waren Canisius’ medialer Geniestreich: Damit eroberte er das Bildungswesen mit einem Handstreich von den bisher dominierenden protestantischen Lehrern zurück. Bis ins 20. Jahrhundert war der „Kanisi“ aus dem österreichischen Religionsunterricht nicht wegzudenken.

Stefan Hamer; Holzschnitt: Erhard Schön, Flugblatt zum Teufel von Schiltach, 1533
Public Domain/Wikipedia
Flugblatt aus dem Jahr 1533

„Pseudotheologie“ förderte Hexenwahn

Bei aller Intellektualität war auch Canisius dem aus moderner Sicht grotesk und irrational anmutenden, in brutale Exzesse ausufernden Hexenglauben seiner Zeit gegenüber keineswegs immun. Er habe diesen durch „Pseudotheologie“ und seinen immensen Einfluss befördert, schreibt Moosbrugger. Er spricht gar von einer „galoppierenden Dämonen- und Hexengläubigkeit“ des Jesuitenpriesters.

Dass Hexen und übersinnliche Wesen existierten, war zur Zeit von Canisius „Common Sense“: Ihm daraus einen speziellen Vorwurf zu machen, wäre aus historischer Sicht sehr streng. Doch gab es sehr wohl auch Gegner des Hexenwahns, auch innerhalb der katholischen Kirche, etwa den deutschen Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld (1591–1635).

Mit Predigten Ängste befeuert

Vor allem aber sei Canisius das „Sprachrohr der katholischen Erneuerung im deutschsprachigen Raum“ gewesen und habe vor allem in seiner Zeit als ungemein erfolgreicher Augsburger Domprediger (1559–-1566) Massen von Menschen erreicht, beeinflusst – und ihre große Angst vor Hexen, Dämonen und Zauberern befeuert, so Moosbrugger: „Er wurde vor allem in seinen Predigten zum Verstärker einer kollektiven Hexenhysterie, die er nicht durchschaut hat, weil er selbst zutiefst von dieser Hysterie erfasst war.“

Canisius starb 1597 in der Schweiz, 1925 wurde er heilig gesprochen. Im Heiligsprechungsdekret bezeichnete Papst Pius XI. den Reformer als „Zertrümmerer der Ketzer“ („haereticorum malleus“) – gemeint waren damit Protestanten. Am Ende seines Lebens habe Canisius, so Moosbrugger, vor allem eines bereut, „in seinem Leben als Christ zu wenig fromm und in seinem Leben als Jesuit zu wenig konsequent gewesen zu sein“.