Vatikan-Archive

Historiker: Tausende Juden baten Pius XII. um Hilfe

Der deutsche Historiker Hubert Wolf hat in den Vatikan-Archiven rund 15.000 Bittschriften von Jüdinnen und Juden aus ganz Europa entdeckt, die sich wegen ihrer Verfolgung durch die Nationalsozialisten hilfesuchend an Papst Pius XII. wandten.

„Diese Briefe sind eindrucksvolle Egodokumente, erschütternde Zeugnisse der Verfolgung, der Not und des Schreckens während der nationalsozialistischen Herrschaft“, sagte Wolf der Zeitschrift „Herder Korrespondenz“ (Mai-Ausgabe).

Der Heilige Stuhl habe wann immer möglich, auf die Hilferufe reagiert, sagte Wolf – etwa mit „Geld, Essen oder einem Unterschlupf“. Auch bei Anfragen nach einem Visum oder Geld für eine Schiffspassage, um der Deportation in die Vernichtungslager zu entkommen, habe der Papst manchmal helfen können. Die Quellen zeigten, dass Pius XII. „nicht wenige“ Bittschreiben selbst gelesen und dann eine Entscheidung zur Hilfe getroffen habe.

Papst setzte sich für Visa ein

Ausführlich geht Wolf auf die Bitten einer Gruppe Juden ein, die aus Portugal nach Brasilien fliehen konnte. Hier habe sich der Papst selbst für Visa eingesetzt. Der vatikanische Botschafter in Portugal habe die Gruppe, darunter Kinder, zum Hafen in Lissabon begleitet, von wo aus sie nach Rio de Janeiro fliehen konnten.

Papst Pius XII., 1951
Public Domain/Michael Pitcairn
Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli, 1876 bis 1958)

Zugleich betont Wolf, es sei derzeit noch zu früh für eine Einschätzung, ob das Handeln von Pius XII. in der Zeit des Nationalsozialismus grundsätzlich neu bewertet werden müsse. Er sei aber davon überzeugt, dass das Bild von Papst Pius XII. sicher vielschichtiger gezeichnet werden müsse, „als es derzeit oft geschieht“.

Auswertung erst am Anfang

Die von einem Historikerteam unter Leitung von Wolf entdeckten Dokumente liegen in den Archivbereichen zum Pontifikat von Pius XII. (1939-1958), die der Vatikan vor einem Jahr für die Forschung öffnete. Die Auswertung und Bewertung der Briefe wie des gesamten, neu zugänglichen Archivmaterials stünden noch am Anfang, sagte Wolf.

Der Historiker kündigte an, die Bittbriefe online zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Wünschenswert sei, möglichst viele Biografien der Briefeschreiber zu erforschen. Dazu brauche es die Hilfe interessierter Bürgerinnen und Bürger im Sinne von „Citizen Scienceship“, sagte Wolf.