Ein aufgeschlagener Koran
APA/AFP/Ali Najafi
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Islam

Ramadan-Ende: Blicke auf den Koran

Dieser Tage endet der muslimische Fastenmonat Ramadan. Als Glaubensgrundlage dient allen Musliminnen und Muslimen der Koran. Die einen halten ihn für ein martialisches Manifest, weil er zum Kampf gegen die „Ungläubigen“ aufruft. Für die anderen kündet er von der Liebe Gottes.

Ein Text könne sich nicht dagegen wehren, instrumentalisiert zu werden, sagt der Islamwissenschaftler Zekirja Sejdini gegenüber religion.ORF.at. Die heilige Schrift des Islam bietet kontroverse Sichtweisen und schöngeistige Annäherungen. Als poetisches Meisterwerk wird der Koran in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion wohl von wenigen betrachtet.

In der Regel wird er mit zwei Themen in Zusammenhang gebracht: Gewalt gegen Andersgläubige und die Benachteiligung von Frauen. Um diese Passagen, die existieren, aber nur einen sehr kleinen Teil des Gesamttextes ausmachen, besser einordnen zu können, gilt es zunächst, einige Fakten im Zusammenhang mit dem Koran vor Augen zu haben.

Es gelte bei der Lektüre und Auslegung des Korans zu unterscheiden, welche Aussagen von bleibender Gültigkeit sind (zum Beispiel die, einen einzigen Gott zu verehren oder die Bedürftigen zu unterstützen) – und welche im konkreten historischen Kontext ihre Bedeutung hatten, so Sejdini.

Heutige Verhältnisse im Blick haben

Wenn etwa festgehalten sei, dass Frauen zwar in geringerem Ausmaß als Männer, aber doch erbberechtigt seien, dann sei das für die damalige Gesellschaft ein enormer Fortschritt gewesen. Der Koran habe, für die damaligen Verhältnisse, die Position der Frauen aufgewertet. Heute gelte es, die aktuellen Verhältnisse im Blick zu haben – und Recht und Gerechtigkeit damit in Einklang zu bringen.

Die Hände einer Frau und eines Mannes auf einem Koran
APA/AFP/Atta Kenare
Weltweit ist für Musliminnen und Muslime der arabische Koran Glaubensgrundlage

Ähnlich sieht er es, wenn es um das Schlagen von Frauen geht, das der Koran als ultima ratio in bestimmten Konflikten anführt. An anderer Stelle wird das allerdings auch infrage gestellt und ausdrücklich festgehalten, dass Gewalt nicht mit der körperlichen Intimität einer Paarbeziehung vereinbar ist.

Historische Dokumente

Sejdini weist darauf hin, dass Stellen wie diese als historische Dokumente zu verstehen seien: „Zum Beispiel gibt es ja auch Stellen, in denen ausgeführt wird, wie man mit den Frauen des Propheten umgehen soll. Aber was sollen wir heute damit anfangen? Die Frauen des Propheten leben nicht mehr. Das ist für uns eine historische Erkenntnis: Wie ist man damals damit umgegangen?“

Und wie verhält es sich mit der Legitimierung von Gewalt gegen Andersgläubige? Auch sie sei nur als ultima ratio und nur zur Selbstverteidigung zu verstehen und in einen konkreten historischen Kontext hinein gemacht worden – darauf wird immer wieder hingewiesen. Nur dann, wenn die Gläubigen aufgrund ihres Bekenntnisses zum Islam verfolgt würden und wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft seien, dürfe man sich auf diese Weise verteidigen. So sieht es die große Mehrheit der Musliminnen und Muslime.

„Gewaltige Aufgabe“ mit fundamentalistischen Stimmen

Tatsächlich gibt es fundamentalistische Stimmen, die sagen, Gewalt zur Selbstverteidigung sei auch jetzt legitim – denn der Islam werde in westlich geprägten Gesellschaften auch mit Gewalt unterdrückt. Ein Faktum, das man in der muslimischen Community mit großer Sorge betrachte, erklärt die Religionspädagogin und Buchautorin Carla Amina Baghajati.

Sendungshinweis

Ö1-Sendung „Tao“ zum Nachhören.

„Wir haben hier eine gewaltige Aufgabe mit denen, die aus der Religion heraus den Koran nehmen wie einen Steinbruch, wo sie sich das rausbrechen – kontetxtbefreit – im wortwörtlichen Verständnis. Und in sehr einschüchternder Weise: ‚Du wirst doch nicht wagen, gegen das Wort Gottes zu verstoßen.‘“

Herausforderung für Community

Baghajati und viele andere plädieren dafür, eine kontextsensible Lesart des Korans zu pflegen: In welche konkrete Situation hinein wurde welche Botschaft gegeben – und wie kann deren Bedeutung für die heutige Wirklichkeit verstanden werden. „Freilich“, so ergänzt Sejdini, „ein Text kann sich nicht dagegen wehren, dass er instrumentalisiert wird.“

Das gelte im Übrigen für alle heiligen Schriften. Und in der Tat finden sich ja auch in der Bibel durchaus martialische Passagen. So ist es also in erster Linie eine Herausforderung für die muslimische Community selber, eine zeitgemäße Lesart des Korans zu etablieren.

Schöngeistig und spirituell

Bei aller Kontroverse um das Verständnis umstrittener Passagen soll freilich nicht außer Acht gelassen werden, dass der Koran eben auch viele andere Dimensionen hat: die künstlerische Auseinandersetzung damit, in Form von Rezitation oder der Kalligrafie.

Niemand Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe verfasste Variationen über koranische Texte und beschäftigte sich mit dem Arabischen und mit Kalligrafie. Und nicht zuletzt gibt es die spirituelle Dimension, den spirituellen Gehalt des Korans. Etwa was es bedeutet, zu wissen, dass rund um den Globus die Gläubigen dieselben arabischen Koranpassagen in ihren Gebeten sprechen: So entstehe das Gefühl eines weltweiten Eingebettetseins, das Bewusstsein einer tief empfundenen Verbundenheit, so Sejdini.

Männerhände mit großen Ringen auf einem aufgeschlagenen Koran
APA/AFP/Ali Najafi
Die „Schönheit“ des arabischen Urtextes lässt sich in Übersetzungen nur teilweise abbilden

Denn obwohl der Koran für das inhaltliche Verständnis in andere Sprachen übertragen wird, bleibt für die Glaubenspraxis die arabische Ausgangssprache erhalten. Neben dieser rituellen Komponente sind es aber auch ganz konkrete, die Seele stärkende Botschaften: etwa wenn verheißen wird, dass Gott in schwierigen Lebenssituationen gleichzeitig auch das Leichte schickt. Eine Aussage, die Carla Amina Baghajati sehr wichtig ist: „Nicht nach dem Schweren kommt das Leichte“, unterstreicht sie, „sondern schon mitten in der schwierigen Situation wird es uns gegeben.“

Kein Eigentum der Muslime

Aspekte wie dieser können auch für Nicht-Musliminnen und -Muslime eine Bereicherung darstellen. Wo es nicht um konkrete Glaubenspraxis oder um spezifisch islamische Zugänge geht, können auch sie Anknüpfungspunkte für sich finden. Das hebt auch der Koran-Übersetzer Milad Karimi hervor. „Der Koran ist kein Eigentum der Muslime“, sagt er, „wir können nicht den Koran für uns in Anspruch nehmen. Der Koran ist vielmehr ein Buch der Offenheit. Ein Buch, das auch uns öffnet für ein Größeres.“

Der Zugang des Islamwissenschaftlers, Religionsphilosophen und Dichters Karimi bei der Übersetzung sei ein ästhetisch-poetischer gewesen, so Karimi, der begeistert ist von der Schönheit des arabischen Urtextes und der deutschsprachigen Leserinnen und Lesern zumindest eine Ahnung davon vermitteln wollte – in aller Demut, wie er sagt, und in dem Wissen, dass man an diesem Anspruch eigentlich nur scheitern kann; dass es Erfolge – wenn überhaupt – dabei nur in Teilbereichen geben kann.

Offenbarung im Kontext

Der Koran ist laut islamischer Überlieferung dem Propheten Mohammed im Zeitraum von 610 bis 632 geoffenbart worden, durch den Erzengel Dschibril – Gabriel, wie es heißt. Es geht hier also um einen Prozess, um eine Offenbarung, die in einen konkreten gesellschaftlichen und historischen Kontext hinein geschehen ist: in die 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, in die Regionen von Mekka und Medina.

Die erste Koranausgabe geht auf den dritten Kalifen Uthman (644–656) zurück. Das Buch enthält einerseits Überlieferungen von der Schöpfung der Welt und von bisher aufgetretenen Propheten (hier finden sich Inhalte, die aus der Bibel bekannt sind).

Andererseits gibt er auch Anweisungen für das Verhalten im Alltag sowie für den Glauben und das rituelle Leben. Ganz konkrete Vorgaben gibt es etwa für das Fasten im Ramadan zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang – oder für das Gebet, das fünfmal am Tag zu verrichten ist.