Ein Mann geht im Wald spazieren.
APA/dpa/Franziska Kraufmann
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Politik

Kritik: Noch kein Pakt gegen Einsamkeit

Die katholische Kirche hat lange einen Pakt gegen Einsamkeit gefordert. Ende August kündigte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einen solchen dann an. Auf die Umsetzung des Paktes warte man bis heute, sagen Caritas und Diakonie. Das Bundeskanzleramt sieht aber bereits erste Forderungen erfüllt.

Kurz hatte im vergangenen Sommer erklärt, besonders ältere und pflegebedürftige Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen hätten wegen der Coronavirus-Maßnahmen über lange Zeit keinen Besuch bekommen dürfen und seien „sehr stark vereinsamt“. Dem Problem der Einsamkeit würden sich in den kommenden Monaten die für den Zivildienst zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und der mittlerweile zurückgetretene Gesundheits- und Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) „massiv“ annehmen.

Es ging dann auch rasch: Ein Runder Tisch im Kanzleramt wurde einberufen, an dem Regierungsmitglieder und Vertreterinnen und Vertreter von Hilfsorganisationen teilnahmen und die Problemstellung besprachen. Die Organisationen, etwa Diakonie und Caritas, legten auf Bitten des Bundeskanzleramtes Maßnahmenpapiere mit Vorschlägen und Best-Practice-Beispielen vor. Dann geschah nicht mehr viel – wenn es nach den Aussagen der kirchlichen Hilfsorganisationen geht.

Landau: „Follow up steht noch aus“

Die Regierung habe auf Initiative der Hilfsorganisationen im Vorjahr einen „ersten Schritt“ in Richtung eines Paktes gegen Einsamkeit gesetzt, so Caritas-Präsident Michael Landau in einer Aussendung am Montag.

Doch „das Follow up zum ersten Runden Tisch steht aus“. Schon im Dezember hatte Landau auf weitere Schritte gedrängt. Seit dem Runden Tisch sei nichts mehr passiert, kritisierte er damals, und plädierte für einen eigenen Regierungsbeauftragten für das gesamtgesellschaftliche Problem der Einsamkeit. Sie treffe alte und junge Menschen gleichermaßen.

Caritas-Präsident Michael Landau
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Caritas-Präsident Michael Landau mahnt weitere Schritte zur Umsetzung des Paktes gegen Einsamkeit ein

Zeitplan und konkrete Schritte offen

Nun appellierte Landau erneut an die Regierung. Er hoffe auf „Kanzler, Vizekanzler, den Sozialminister, dass sie diese stille Not nicht vergessen oder übersehen“. Etliche Punkte aus dem Pakt gegen Einsamkeit, die bei dem Runden Tisch eingebracht worden waren, „haben auch im Strategiepapier der Pflege Task Force Eingang gefunden“.

Offen bleibe aber nach wie vor ein konkreter Zeitplan, also wann und wie konkret die nächsten Schritte geplant sind, so Landau. Es wäre nun wichtig, „den Prozess jetzt zügig fortzusetzen“ und die Sozial- und Hilfsorganisationen einzubeziehen.

Moser vermutet „PR-Aktion“

Mangelnde Umsetzung des Paktes gegen Einsamkeit bemängelt auch Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser im Gespräch mit religion.ORF.at. Seit dem Runden Tisch „haben wir nichts mehr gehört“. Es sei „nie wieder nachgefragt worden“. Rückblickend habe es den Anschein, es sei „eher eine PR-Aktion als der Beginn einer konsequenten Auseinandersetzung mit dem Thema Einsamkeit“ gewesen.

Im Fokus der Regierung waren ältere Menschen, wie Moser sagte. Alterseinsamkeit sei auch tatsächlich ein wichtiges Thema, die evangelische Hilfsorganisation schlug diesbezüglich auch verschiedene Maßnahmen im Kontext der Pflegereform vor. Der Diakonie sei aber auch wichtig gewesen, dass „Einsamkeit nicht auf Alterseinsamkeit beschränkt wird“.

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser
APA/Hans Punz
Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser vermisst eine „konsequente Auseinandersetzung“ mit dem Thema Einsamkeit

Einsamkeit bei Jungen „abgezeichnet“

Schon damals habe sich „abgezeichnet“, dass auch junge Menschen stark von Einsamkeit betroffen sind. Das hätten bereits erste Studien gezeigt. Zwei von drei Schulkindern fühlen sich einsam, ergab diesen Februar eine Befragung des Sora-Instituts.

Die Pandemie und die damit einhergehende Isolation belastet die Psyche junger Menschen: Einsamkeit und Depression sind die Folge. Einsamkeit von Kindern und Jugendlichen müssten auch in Verbindung mit Kinderarmut gesehen werden, sagte Moser. So forderte die Diakonie in ihrem Positionspapier etwa eine Stärkung der Teilhabe von Kindern „aus sozioökonomisch schwächeren Haushalten“.

Bundeskanzleramt: Forderungen „rasch umgesetzt“

Das Bundeskanzleramt verwies am Montag auf Ergebnisse des Runden Tisches. Aus dem Bundeskanzleramt hieß es am Montag auf Anfrage von religion.ORF.at, im vergangenen Herbst seien Organisationen mit der Forderung an die Politik herangetreten, Maßnahmen zu setzen, um jenen, die in Betreuungseinrichtungen wohnen, wieder Besuche zu ermöglichen.

„Die zentrale kurzfristige Forderung des ersten Termins, nämlich, dass es Lockerungen bei Besuchsregelungen in Pflegeheimen geben soll, wurde rasch nach dem Höhepunkt der zweiten Welle umgesetzt“, so ein Sprecher des Kanzlers. Auch in den nächsten Öffnungsschritten seien weitere Lockerungen der Besuchsregelungen inkludiert.

Runder Tisch im Bundeskanzleramt zur Thema Alterseinsamkeit am Montag, 07. September 2020 in Wien
APA/Hans Punz
Die Regierung lud im September 2020 zu einem Runden Tisch zum Thema Alterseinsamkeit. Erste Forderungen seien rasch umgesetzt worden.

Die Bundesregierung sei sich der Zunahme der Einsamkeit bewusst und habe es sich zum Ziel gesetzt, Maßnahmen zu setzen, um das Problem vor allem der Alterseinsamkeit anzugehen. Davon umfasst seien „kurzfristige Maßnahmen, die insbesondere in der Corona-Krise helfen sollen, wie auch langfristige Maßnahmen, die darüber hinaus wirken sollen“.

Sozialministerium: Gespräch mit Ländern

Auch an der Pflegereform werde gearbeitet, hieß es aus dem Sozialministerium gegenüber religion.ORF.at: „Auf Grundlage des Ergebnisberichtes der Taskforce Pflege, in der das Thema Minderung von Einsamkeit eingebettet ist, werden nun weitere Schritte gesetzt“.

Größere Reformvorhaben könnten „nur mit allen Beteiligten gemeinsam angegangen werden“. Darum gebe es „derzeit bereits erste Gespräche zu einer Zielsteuerung Pflege, unter Beteiligung von Bund, Ländern, Städten und Gemeinden“, so das Sozialministerium.

Politik in der Pflicht

Caritas-Präsident Landau wünscht sich, dass die Einsamkeits-Agenden bei einer konkreten Person verortet werden. Er erneuerte in der Aussendung seine Forderung nach einem oder einer Regierungsbeauftragten, „der oder die sich des Themas annimmt“.

Einsamkeit sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die bei jedem Einzelnen beginnt, aber auch die Politik in die Pflicht nimmt, so Landau. Es brauche „ein breites Bündnis von Bund, Ländern, Gemeinden, Wirtschaft, Kirchen und Zivilgesellschaft“.

Pakt schon vor Pandemie gefordert

Im Wissen, dass Einsamkeit krankt macht, brauche es vor allem auch Enttabuisierung und Evidenz: Internationale Studien, Beispiele und Erfahrungen seien vorhanden. „In Österreich ist das Datenmaterial jedoch überschaubar. Wir benötigen die Stärkung vorhandener und neuer mutiger, innovativer Initiativen. Den Ausbau zivilgesellschaftlicher Strukturen und die Förderung des Ehrenamts."

Das kirchliche Drängen auf einen Pakt gegen Einsamkeit begann schon vor der Coronavirus-Pandemie. Bereits im Herbst 2019 forderten die römisch-katholische Bischofskonferenz und Caritas gemeinsam entsprechende Maßnahmen von der Regierung gegen die Zivilisationskrankheit Einsamkeit.