Horoskop-Amulett Wallensteins, Süddeutsch, um 1600/10, Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer
KHM Museumsverband
KHM Museumsverband
Ausstellung

KHM-Schau: Götter, Macht und Amulette

Seuchen, Krieg, Naturgewalten: Nicht erst seit der Coronavirus-Pandemie sind Menschen unberechenbaren Kräften unterworfen. Mit dem Anrufen „höherer Mächte“ startet das Kunsthistorische Museum (KHM) Wien am Dienstag in das zweite Coronavirus-Frühjahr.

Mit der ersten Ausstellung nach langer Pause geht das KHM neue Wege: In „Höhere Mächte. Von Menschen, Göttern und Naturgewalten“ wurden rund hundert Objekte, die zum Teil noch nie zu sehen waren, aus dem aus KHM, Weltmuseum und Theatermuseum bestehenden Museumsverband zusammengeführt – das habe es in dieser Form noch nicht gegeben, sagte KHM-Kuratorin Gerlinde Gruber im Rahmen einer Presseführung zu religion.ORF.at.

„Höhere Mächte“ mixt in einem kontinente- und kulturenübergreifenden Kraftakt Gemälde, Statuetten, Waffen, Uniformen, sakrale Gewänder, Schmuck, Amulette, Hausaltäre und Objekte mit unterschiedlichstem religiösem und kulturellem Hintergrund – wie sehr sie einander trotzdem ähneln, wird in teils erschütternden, teils witzigen Kompositionen verdeutlicht.

Element Luft in Il lutto dell‘universo (Die Trauer des Weltalls), Ernst Fuchs (Kostümentwurf), Ernst Steiner (Maske), 1977, Theatermuseum, Ausstellung „Höhere Mächte“
ORF.at/Johanna Grillmayer
Element Luft in „Il lutto dell’universo“ („Die Trauer des Weltalls“), Ernst Fuchs (Kostümentwurf), Ernst Steiner (Maske), 1977

Göttliche Strafen und die Elemente

Der erste von vier Räumen ist unter dem Titel „Naturgewalten“ der Hilf- und Machtlosigkeit der Menschen angesichts von Erdbeben, Feuersbrünsten und anderen mutmaßlich göttlichen Strafen gewidmet sowie den Versuchen, die höheren Mächte gnädig zu stimmen oder sich mit ihnen zu arrangieren. Entsprechend düster geht die Schau los. Hier wurden als Subthema die vier Elemente gewählt: Eingangs erinnert ein luftiger, aber schauerlicher Kostümentwurf von Ernst Fuchs, der für das Oratorium „Die Trauer des Weltalls“ geschaffen wurde, eher an Tod und Vergängliches als an Leichtigkeit.

Ausstellungshinweis

Kunsthistorisches Museum Wien: Höhere Mächte. Von Menschen, Göttern und Naturgewalten. 18. Mai bis 15. August, Mai: dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags bis 21.00 Uhr. Ab Juni: täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags bis 21.00 Uhr

In diesem Kontext dürfen auch Archimboldos großartige Allegorien nicht fehlen, Rubens’ Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis erinnert an die Ohnmacht der Menschen angesichts der Naturgewalten, bringt aber auch mit der Geschichte der beiden alten Leute, die durch ihre Rechtschaffenheit vor der strafenden Flut gerettet und am Ende ihres Lebens in Bäume verwandelt werden, einen versöhnlichen Gedanken ein: Am Ende kann der (gute) Mensch mit der Natur wieder eins werden.

Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis von Peter Paul Rubens, 1620–1636, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
KHM-Museumsverband
Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis von Peter Paul Rubens, 1620–1636, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie

Kleiner, filigran und wunderschön zeigen der Guckkasten „Präsentation eines Erdbebens“ aus dem 18. Jahrhundert und ein „Handstein“ aus Mineralien und Silber, wie Menschen sich mit Natur und Naturkatastrophen auseinandersetzten beziehungsweise arrangierten.

Sturmdämon und Aschewolke

Das Maskenkostüm des Sturmdämons O’ma der im brasilianischen Regenwald lebenden Tikuna ist zwei Jahrhunderte jünger. O’ma zeichnet unter anderem für Seuchen verantwortlich, er bestraft Frevler, die sich an heiligen Bäumen vergreifen.

Sendungshinweis

Besucherinnen und Besucher können ihre Eindrücke per Video festhalten und via „#100sekundenkunst“ in Sozialen Netzwerken teilen. ORF III begleitet die Aktion in der „Kultur Heute“-Rubrik „#100sekundenkunst“ ab Mittwoch um 19.45 Uhr.

Von ganz modernen Formen der Bewältigung von Frustration über das Wirken der „höheren Mächte“ – hier in Form eines isländischen Vulkans, dessen Aschewolken 2010 den europäischen Flugverkehr für Tage lahmlegten – zeugt ein T-Shirt mit der gottergebenen Aufschrift: „Ejyafjallajökull cancelled my flight“.

Im zweiten Saal dreht sich alles um die irdischen Mächte, und hier geht es martialischer zu: Prachtvolle Kopfbedeckungen, einschüchternde Harnische und andere Insignien von Macht und Herrschaft aus verschiedenen Erdteilen sind hier einander gegenübergestellt.

In unerwarteter Nachbarschaft zeigen etwa die Kopfbedeckung eines kenianischen Fürsten und eine neuzeitliche Papst-Mitra, wie aufwendige Techniken und kostbare Materialien eingesetzt wurden und werden, um Rang und Hierarchie zu verdeutlichen. Zwischendrin erinnert ein schlichter Tropenhelm an die zerstörerischen Kräfte des Kolonialismus.

Horoskop-Amulett Wallensteins, Süddeutsch, um 1600/10, Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer
KHM Museumsverband
Das dem Feldherrn Wallenstein zugeschriebene Horoskop-Amulett

Schutz gegen das Böse

Um die Verbindung zwischen den Menschen und dem Übernatürlichen geht es in Raum drei. Angerufen werden die höheren Mächte stets um dasselbe: Schutz, Stärke, das Böse möge abgewendet, das Gute soll angezogen werden. Dazu dienen auch heute noch Glücksbringer – das KHM hat Besucherinnen und Besucher im Vorfeld gebeten, ihm persönliche Glücksbringer zu überlassen.

Diese sind Teil der Ausstellung, gemeinsam mit diversen Amuletten. Darunter sticht das runde, gläserne Horoskop-Amulett hervor, das der Legende nach dem Feldherrn Wallenstein Glück gebracht haben soll und das die Plakate der Schau ziert.

Ausstellung „Höhere Mächte“ im KHM Wien
KHM Museumsverband/Daniel Auer
Amulette und Gebetsperlen dienen dem Versuch, mit dem Göttlichen in Verbindung zu treten

Die Amulette des Infanten

Kein Glück gebracht haben solcherlei Talismane dem von Velazquez verewigten kleinen Habsburgerprinzen Philipp Prosper: Über und über mit Amuletten behängt ist das Kind, was angesichts des strengen Katholizismus der Habsburger doch überrascht. Die Verzweiflung, mit der versucht wurde, den lange ersehnten, bresthaften Infanten vor dem Tod zu retten, ist in dem Porträt förmlich mit Händen zu greifen. Er starb kaum vierjährig an Tuberkulose.

Nebeneinander aufgereiht beweisen nebenan Gebetsschnüre und -kränze, wie ähnlich sich die Religionen im Ausdruck ihrer Frömmigkeit sind. Zu sehen sind auch Hausaltäre aus der Mongolei, Peru und Österreich. Der aus dem Weltmuseum stammende Schamanenaltar für unterwegs (mit Koffer) verbindet christliche Szenen mit lokalen peruanischen Bräuchen.

Schamanenaltar mit Koffer, Eduardo Calderon, Peru, vor 1999, Weltmuseum Wien
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Schamanenaltar von Eduardo Calderon, Peru, vor 1999

Tanz der Gewänder

Wie zu einem Tanz sind liturgische Gewänder unterschiedlichster Herkunft in einem Glaskasten arrangiert: Das Gewand einer Schamanin aus Brasilien steht der golddurchwirkten, barocken Papst-Kasel an Wirkung in nichts nach. In einer hübschen, holzgeschnitzten Stabpuppenszene, inspiriert vom indonesischen Theater, beweist Buddha mit der Rettung einer Prinzessin vor einem Drachen, dass allein die Erleuchtung vor dem Bösen schützt.

Stabpuppen: Prinzessin, Drache, Buddha in Der Drachentöter, Richard Teschner 1928, Theatermuseum, Wien
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Stabpuppen: Prinzessin, Drache, Buddha in „Der Drachentöter“, Richard Teschner 1928

Der vierte und letzte Saal der Schau ist dem Publikum gewidmet. Auf Aufforderung des KHM langten viele Textbeiträge ein. Besucherinnen und Besucher konnten und können auch weiterhin darüber schreiben, welche Objekte ihnen Kraft, Glück und Inspiration schenken.

Wer möchte, kann sich hier auch während der laufenden Ausstellung mit persönlichen Zugängen zum Thema höhere Mächte beteiligen – die Schau ist durch diese Mitmachaktion also „Work in progress“ und im besten Sinn noch nicht abgeschlossen.