„Politischer Islam“

IGGÖ: „Islam-Landkarte“ führt zu Übergriffen

Nachdem in Wien selbst gebastelte „Warnschilder“ bei islamischen Einrichtungen montiert worden sind, ruft die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) die Politik „energisch“ auf, Verantwortung zu übernehmen und Musliminnen und Muslime in Österreich zu schützen.

„Muslimische Einrichtungen befinden sich aufgrund der pauschalen Verurteilung und dem Schüren von Misstrauen in akuter Gefahr. Ich rufe die politischen Verantwortungsträgerinnen energisch dazu auf, diesem unwürdigen Kapitel der Islampolitik unverzüglich ein Ende zu setzen und ihrer Verantwortung für den Schutz der österreichischen Bürgerinnen und Bürger nachzukommen", schrieb Ümit Vural, Präsident der IGGÖ in einer Aussendung am Mittwoch.

Am Dienstag machten auf Twitter diverse Fotos von selbstgebastelten „Warnschildern“ die Runde, die in der Nähe zu islamischen Einrichtungen montiert worden waren. Wer dafür verantwortlich zeichnet, war zunächst unklar.

„Warnschilder“ mit Verweis auf „Islam-Landkarte“

Die von Unbekannten angebrachten Schilder tragen die Aufschrift „Achtung! Politischer Islam in deiner Nähe.“ und verweisen dabei auf www.islam-landkarte.at, also auf jenes vom Institut für islamisch-theologische Studien der Universität Wien ausgearbeitete und von der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ vergangene Woche präsentierte Projekt, über das seither diskutiert wird. Unter anderem wurden derartige Schilder in der Leopoldstadt und in Meidling entdeckt – mehr dazu in wien.orf.at

Ümit Vural, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft IGGÖ
APA/Georg Hochmuth
IGGÖ-Präsident Ümit Vural fordert die politisch Verantwortlichen auf, zu handeln

Die Auswirkungen der von Bundesministerin Susanne Raab (ÖVP) und der Dokumentationsstelle für den Politischen Islam herausgegebenen „Islam-Landkarte“ seien zu erwarten gewesen und nun nicht mehr zu negieren, so Vural. „Nachdem bereits in den vergangenen Tagen ein Anstieg islamfeindlicher Attacken auf Privatpersonen konstatiert werden konnte, mehren sich nun auch direkte Angriffe auf islamische Gotteshäuser“, so die Aussendung.

Dokustelle distanziert sich

Die Dokustelle „Politischer Islam“ distanzierte sich am Mittwoch „dezidiert von der Vereinnahmung der Inhalte der Islam-Landkarte der Universität Wien bzw. ihrer eigenen Publikationen durch rechtsextreme Aktivisten und Akteure“, hieß es in einer Aussendung.

Das Anbringen von feindseligen Schildern und Botschaften vor Glaubenseinrichtungen sei aus Sicht der Dokumentationsstelle nicht tragbar und stehe in direktem Widerspruch zu Pluralität, Religionsfreiheit und Demokratiebewusstsein, derer sich die Stelle verschrieben habe.

Ministerin Raab ließ in einer Stellungnahme am Mittwoch wissen, es sei inakzeptabel, „dass der legitime Kampf gegen den Politischen Islam von extremistischen Gruppierungen missbraucht wird“. Man lasse sich weder durch rechtsextreme Gruppierungen, noch von islamistischer Seite vom eingeschlagenen Weg abbringen.

Vural: Karte „definitiv kein Service“

IGGÖ-Präsident Vural schrieb, Moscheen seien Stätten des Gebets und der Andacht. Die Veröffentlichung ihrer Daten im Kontext der Arbeit der Dokumentationsstelle Politischer Islam schaffe keine Transparenz und stelle „definitiv keinen Service für Musliminnen und Muslime dar – im Gegenteil: sie schürt Hass und fördert die Politik der Ausgrenzung“, so Vural. Die IGGÖ habe Kontakt mit den Sicherheitsbehörden aufgenommen und diese um Schutz für ihre Einrichtungen ersucht.

Kritik von vielen Seiten

Kritik an der „Islam-Landkarte“ kam zuletzt auch vom geschäftsführenden Vorsitzenden der Kommission Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz, Markus Ladstätter. Zuvor hatten sich schon Grüne, NEOS und SPÖ sowie der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka kritisch geäußert – mehr dazu in „Landkarte des Islam“ sorgt für Empörung. Die Uni Wien untersagte die Verwendung ihres Logos.

Der Europaratsbeauftragte für Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit empfahl, die Karte offline zu nehmen – mehr dazu in Islamkarte: Europaratsbeauftragter empfiehlt Zurückziehen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wiederum hatte sich hinter die Karte gestellt, die FPÖ sah sich in ihren Warnungen zur Migration aus muslimischen Ländern bestätigt.

Islamischer Theologe: „Konstruierte Skandalisierung“

Der österreichische, in Münster lehrende islamische Theologe Mouhanad Khorchide kann die Kritik an der von ihm mitverantworteten „Islam-Landkarte“ nicht nachvollziehen. Eine solche Karte sei bereits 2009 bis 2019, also zehn Jahre lang, online gewesen und habe niemanden gestört, sagte Khorchide am Dienstag der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

„Nun benutzen Vertreter des ‚politischen Islam‘ die aktualisierte Neuauflage für eine konstruierte Skandalisierung und stellen sich einmal mehr als Opfer einer Diffamierungskampagne dar. Das ist sehr weit hergeholt“, so Khorchide.

Arbeit der Dokustelle in Verruf

Khorchide leitet den wissenschaftlichen Beirat der Dokumentationsstelle Politischer Islam. Die Debatte über die „Islam-Landkarte“ sei von islamischen Repräsentanten ins Rollen gebracht worden, die fundamentalistischen Organisationen wie den Muslimbrüdern nahestünden, betonte der Theologe.

Dahinter stehe die eigentliche Absicht, die Arbeit der Dokumentationsstelle in Verruf zu bringen und das Engagement gegen den Einfluss des „politischen Islam“ in Österreich zu schwächen. Dieser behindere aktiv die Integration von Muslimen in die westliche Gesellschaft, sagte Khorchide, der das Seminar für islamische Theologie der Uni Münster leitet.

Eigentliche Arbeit im Hintergrund

Zeitgleich mit der Karte habe die Dokumentationsstelle drei akribisch recherchierte Dossiers über den mit der türkischen Regierung in Verbindung stehenden Islamverband ATIB sowie über Milli Görüs und die rechtsextremistischen Grauen Wölfe vorgelegt. „Die Lobbyisten des ‚politischen Islam‘ haben es mit ihrer konstruierten Empörung geschafft, dass die Medien aber nur das Thema Landkarte aufgriffen“, bemängelte Khorchide.

Integrationsministerin Raab sowie Khorchide und der Projektleiter und Professor für islamische Religionspädagogik, Ednan Aslan, wurden ebenfalls seit der Karten-Präsentation bedroht.