Kardinal Marx

Nicht angenommener Rücktritt: Kritik an Papst

Der deutsche Theologe Martin Kirschner kritisiert Papst Franziskus als nicht eindeutig in Bezug auf die Ablehnung des Rücktrittsgesuchs von Kardinal Reinhard Marx. Der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff zeigte sich „fassungslos“.

„Das Zeichen von Kardinal Marx war in der Beziehung eindeutig. Das des Papstes noch nicht“, sagte Kirschner – Professor für Theologie in Transformationsprozessen an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt – der Deutschen Presse-Agentur. Der Theologe wünscht sich nach dem abgelehnten Rücktrittsgesuch mehr Klarheit von Papst Franziskus.

„Was zählt sind die Taten, nicht die Worte. Und da bin ich unsicher, ob sich der Papst selbst wirklich genug der Reichweite der Krise und der Perspektive des Betroffenen ausgesetzt hat, gerade, wenn es um Deutschland geht“, sagte Kirschner. „Der Aufruf zur inneren Umkehr darf kein Ersatz sein für personelle Konsequenzen, dort, wo sie nötig sind.“

Rasche Antwort

Papst Franziskus hatte den Rücktritt von Kardinal Marx am Donnerstag, abgelehnt – überraschend und sehr schnell, weniger als einer Woche nach der Bekanntgabe des Rücktrittsgesuchs. „Genau das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising“, schrieb das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche.

Kardinal Reinhard Marx
APA/AP/Michael Probst
Die Reaktionen auf die

Marx hatte am 4. Juni ein Schreiben veröffentlicht, in dem er von einem „toten Punkt“ in der katholischen Kirche sprach und anbot, wegen des Missbrauchsskandals in der Kirche auf sein Amt zu verzichten.

„Vogel-Strauß-Politik hilft nicht weiter“

„Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist“, hieß es in Franziskus’ Schreiben weiter. „Die gesamte Kirche ist in der Krise wegen des Missbrauchs; ja mehr noch, die Kirche kann jetzt keinen Schritt nach vorn tun, ohne diese Krise anzunehmen. Die Vogel-Strauß-Politik hilft nicht weiter.“

„Der Papst spricht von Fehlern der Vergangenheit und früherer Zeiten, aber es geht ja auch um eigene Fehler, die auch die jüngere Vergangenheit und die Aufarbeitung in der Gegenwart betreffen“, sagte Theologe Kirschner.

Zustimmung und Kritik

„Wenn nicht deutlich wird, dass auch die amtliche Kirche mehr gibt als schöne Worte, fürchte ich, dass das Momentum und die Freiheit verloren gehen, die Kardinal Marx mit einem Rücktrittsangebot ermöglicht hat“, betonte er. "Der Papst schreibt „jede Reform beginnt bei sich selbst" – aber wenn sie dort auch schon endet, ist es kleine wirkliche Reform, zumal wenn man ein öffentliches Amt bekleidet.“

Nach dem Papstbrief gab es viele positive Stimmen – mehr dazu in Papst lehnt Rücktritt von Kardinal Marx ab. Auch der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, reagierte erleichtert. „Wir brauchen die Stimme von Kardinal Marx – für die Ökumene, für die Reformprozesse der Kirche und auch als Stimme öffentlicher Theologie“, schrieb der EKD-Chef, der auch Landesbischof in Bayern ist, am Donnerstag.

Die Opferinitiative „Eckiger Tisch“ aber übte deutliche Kritik: „Marx zielte mit seiner Erklärung auf die Verantwortung aller Bischöfe, auch die des Bischofs von Rom, für das System aus Missbrauch und Vertuschung, das die Katholische Kirche weltweit prägt“, teilte der Verein mit. Franziskus moderiere diese erschütternde Einsicht jetzt einfach weg und entlaste damit auch sein eigenes Amt.

Theologe Hoff „fassungslos“

Entsetzt und „fassungslos“ zeigte sich der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff angesichts der Entscheidung von Papst Franziskus, den Rücktritt von Kardinal Reinhard Marx nicht anzunehmen. Rom und der Papst hätten damit einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie offenbar „über keine klare Handlungsperspektive für die Institution und die verantwortlichen Akteure“ angesichts der Missbrauchskrise und ihren Folgen verfügten, sagte Hoff am Donnerstag in einer ersten Reaktion gegenüber Kathpress.

Kardinal Marx habe persönliche Schuld und Systemversagen eingeräumt und sei bereit gewesen, Konsequenzen zu ziehen. Wenn Franziskus nun „den Status quo erhält“, so büße er gerade in der heiklen Frage der Missbrauchsaufarbeitung „Autorität ein“, betonte Hoff.

„Systemversagen auf der kirchlichen Leitungsebene“

Kritik übte Hoff auch an der Vorgehensweise selbst, die sich aus seiner Sicht im Rückblick wie eine „schlechte Inszenierung“ darstellte: „Wer der Veröffentlichung des kardinalen Abschiedsgesuchs zustimmt, sich für die Entscheidung Zeit vorbehält, um den Rücktritt dann nach weniger als einer Woche auszuschlagen, agiert im günstigsten Fall planlos. Wenn sich aber hinter der Korrespondenz aus Rom eine Strategie verbirgt, ist sie genauso katastrophal wie die bisherige Aufklärungspolitik im katholischen Missbrauchskomplex.“

Aus der Entscheidung des Papstes, Marx als Bischof von München und Freising im Amt zu belassen, spreche ein „Systemversagen auf der kirchlichen Leitungsebene“ – mit weitreichenden Folgen auch für weitere Personalfragen, so Hoff: „Marx im Amt halten und Woelki demissionieren? Das wird nun kaum mehr möglich sein. Und genau das macht totales Systemversagen sichtbar.“

Messlatte gelegt

Ein solches Versagen zeige sich letztlich auch darin, dass Franziskus in der Begründung seiner Entscheidung das von Marx selbst eingeräumte systemische Moment „auf die personal-spirituelle Ebene verschoben“ habe. Offenbar habe man die Tiefe der Krise in Rom nicht erkannt, „und man scheint sich auch keine Gedanken darüber zu machen, was diese Entscheidung aus Sicht der Opfer bedeutet“.

Auch wenn der Papst also den Rücktritt nicht annehme, so gelte doch: „Die Messlatte für apostolische Autorität ist von Marx gelegt.“ Sie bestimme ab sofort „das Niveau des Umgangs mit dem Missbrauch in der katholischen Kirche. Für jeden in der Kirche.“

Marx überrascht

Marx selbst hatte sich am Vortag sehr überrascht gezeigt über die Antwort aus dem Vatikan. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass er so schnell reagieren würde und auch seine Entscheidung, dass ich meinen Dienst als Erzbischof von München und Freising weiter fortführen soll, habe ich so nicht erwartet“, hieß es in einer Stellungnahme.

Diese Entscheidung bedeute für ihn, „zu überlegen, welche neuen Wege wir gehen können – auch angesichts einer Geschichte des vielfältigen Versagens –, um das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen“, sagte Marx. Der Papst greife in seinem Brief „vieles auf, was ich in meinem Brief an ihn benannt habe, und gibt uns wichtige Impulse“. Einfach zur Tagesordnung übergehen könne er nicht, betonte Marx.

Am Donnerstagabend – einige Stunden nach Veröffentlichung des Papstbriefes – feierte Marx in München im Ausbildungszentrum für Pastoralreferenten einen Gottesdienst. Anschließend sagte er zu dem Papstbrief, „alles was jetzt im Augenblick notwendig ist“, stehe in seiner Erklärung. „Und alles andere muss ich erstmal verarbeiten.“