Hans Zollner ist Mitglied der Päpstlichen Kinderschutz-Kommission und Leiter des römischen Kinderschutzzentrums „Centre for Child Protection“
APA/AFP/Gabriel Bouys
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Interview

Experte: „Kirchliche Gefängnisse“ für Missbrauchstäter

Der kirchliche Experte für Missbrauchsprävention, Hans Zollner, hat eine Form von „kirchlichen Gefängnissen“ für Missbrauchstäter ins Gespräch gebracht. Dort könnten Täter nach verbüßter Haftstrafe aufgenommen und weiter streng kontrolliert werden, um zu verhindern, dass sie wieder missbrauchen, wie Zollner zu religion.ORF.at sagt.

Wie die römisch-katholische Kirche mit Missbrauchstätern in ihren eigenen Reihen umgegangen ist, hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte weltweit Schlagzeilen und Erschütterung verursacht. Die Kirche vertuschte Missbrauch systematisch, Täter wurden lange Zeit lediglich versetzt und konnten an anderer Stelle andere Kinder, Jugendliche und Schutzbefohlene sexuell missbrauchen.

Der Psychologe und Ordenspriester Zollner ist Leiter des römischen Kinderschutzzentrums Center for Child Protection (CCP) der Päpstlichen Universität Gregoriana und gilt als einer der führenden Experten für Missbrauchsprävention der römisch-katholischen Kirche. Wenn es nach ihm geht, sollten Täter, die sich schweren Missbrauchs schuldig gemacht haben, nach ihrer Haftstrafe in kirchlichen Einrichtungen betreut und kontrolliert werden. Es sei eine wichtige „Präventionsmaßnahme“, sagt Zollner.

Häuser in „entlegenen Gegenden“

Eines der wichtigsten Instrumente bei Missbrauchstätern in der Kirche und außerhalb sei es, sie zu kontrollieren, „dass man mit ihnen genau definiert, was sie tun dürfen, wen sie treffen dürfen, wie sie Kontakt halten, wie sie das Internet benutzen“. In so einer Einrichtung solle genau das gewährleistet werden.

Zollner verweist auf die USA, wo seit Jahrzehnten Erfahrungen mit solchen Einrichtungen gemacht worden seien, die als „etwas Ähnliches wie ein Gefängnis“ beschrieben werden. Dort würden Täter, „die dem zustimmen, dass sie in so ein Haus gehen, weil sie wissen, dass sie kontrolliert werden müssen“ leben. Und zwar in „entlegenen Gegenden“ und „an ein sehr strenges Regime“ mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen gebunden, sagt der Jesuit.

Flächendeckendes Angebot

Zollner plädiert dafür, kirchliche Häuser für Missbrauchstäter „flächendeckend“ anzubieten. Diese Art von Einrichtung sei „ein Weg, der speziell in westlichen, in hochspezialisierten Gesellschaften wie in Europa, USA oder in Kanada Anwendung finden müsste“, sagt Zollner.

„Ich glaube, dass es in anderen Weltgegenden, wo die gemeinschaftliche Verantwortung stärker im Vordergrund steht, unter Umständen auch Pfarrgemeinden oder geistliche Gemeinschaften anderer Art einen Weg aufzeigen könnten, wie man Missbrauchstäter kontrolliert und es ihnen so schwer als möglich macht, dass sie wieder missbrauchen“, erklärt der Experte für Missbrauchsprävention.

Hans Zollner ist Mitglied der Päpstlichen Kinderschutz-Kommission und Leiter des römischen Kinderschutzzentrums „Centre for Child Protection“
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Hans Zollner, Priester, Psychologe und Experte für Missbrauchsprävention

Viele Missbrauchstäter „wieder straffällig“

„Wir wissen aus Studien, dass ein hoher Anteil der Missbrauchstäter ein ziemlich hohes Risiko hat, wieder straffällig zu werden, also wieder zu missbrauchen, obwohl sie im Gefängnis waren, sie Therapie gemacht haben und andere Auflagen gemacht wurden“, sagt Zollner. Wenn diese Auflagen nach einer gewissen Zeit ausliefen, dann bestehe „keine Kontrolle mehr“ – und zwar „weder in der Kirche noch in der Gesellschaft“.

„Wenn man sagt, wir kümmern uns um Täter, dann kann es leicht so verstanden werden: ‚Schau, der Kirche geht es wiederum mehr um die Täter als um die Opfer.‘ Das ist natürlich nicht intendiert. Es geht darum, dass keine neuen Opfer geschaffen werden“, sagt Zollner.

Nach Entlassung „kein Zugriff“

Staatliche und kirchliche Strafen müssten nach Meinung Zollners bereits verbüßt worden sein, bevor Missbrauchstäter in so ein kirchliches Heim aufgenommen werden. Die höchste Kirchenstrafe für einen Kleriker ist übrigens die Entlassung aus dem Klerikerstand. Damit werden Geistliche wieder in den Laienstand zurückversetzt und verlieren alle mit der Weihe verbundenen Rechte. Er sei davon überzeugt, „dass Täter im Normallfall aus dem Priesteramt entlassen werden und auf jeden Fall nie mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten sollen“, sagt Zollner. Allerdings bringe die Entlassung mit sich, dass die Kirche „keinen Zugriff mehr“ auf die Täter habe.

Faktisch hört die kirchliche Verantwortung mit der Entlassung auf. „Dann hat der Bischof oder Provinzial keine Möglichkeit mehr des Zugriffs, der Kontrolle oder der Superversion.“ Und das sei ein Zwiespalt, mit dem „wir leben“, sagt Zollner. Kirchliche Einrichtungen, wie der Jesuit sie vorschlägt, könnten ein Ausweg sein.

Einsicht und Zustimmung notwendig

Doch solche kirchlichen Kontrolleinrichtungen für Missbrauchstäter können im Grunde auch nur „auf der mehr oder weniger freien Mitarbeit“ der Betroffenen beruhen. Missbrauchstäter zum Schutz potenzieller Opfer isolieren: „Das kann natürlich nur dort gelingen, wo Täter und Täterinnen, dem auch zustimmen“, sagt der Psychologe. „Und das setzt voraus, dass ein Täter auch einsieht, was an unglaublichem Schaden er angerichtet hat, welche Wunden er geschlagen hat.“

„Die große Frage“ sei für ihn, wie viel Schuldeinsicht es aufseiten von Tätern gebe, inwieweit sie bereit seien, daran zu arbeiten, „dass sie nicht weiter missbrauchen“. Zollner: „Das kann man halt nicht erzwingen.“ Leider gebe es auch jene Missbrauchstäter, die nicht einsehen, „dass sie Kindern und Jugendlichen das Leben zerstört haben, sondern sich selbst als Opfer stilisieren“.

Manche bleiben „Risiko“

Davon, ob die Einsicht bei jenen, die in so einem kirchlichen Gefängnis untergebracht sind, über die Jahre weiter wächst, von der Schwere des Missbrauchs und davon, wie hoch das Risiko von Expertinnen und Experten eingeschätzt wird, „dass die Person wieder missbraucht“, hänge es auch ab, ob der Missbrauchstäter irgendwann wieder in die Gesellschaft entlassen werden solle.

„Jeder Mensch hat auch ein Recht, sich bessern zu können, und wenn das in einer koordinierten Übergangsphase nachweisbar ist und das Risiko aus dem, was man erfassen kann, tatsächlich so gering ist, dass man diese Person sozusagen wieder frei in der Gesellschaft sich bewegen lassen kann, dann gibt es keinen Grund, das nicht zu tun“, so Zollner. „Ich muss sagen, dass das bei manchen Menschen nicht möglich sein wird, weil die auch wissen, dass sie ein Risiko darstellen und sich nicht unter Kontrolle haben.“ Diese Menschen sollten dann für immer von der Gesellschaft abgeschieden bleiben.