Aufarbeitung

Missbrauch: Weiter Rumoren in Köln

Ungewohnt heftige Kritik ist dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in einer Sitzung seines wichtigsten Beratungsgremiums entgegengeschlagen. Das Gremium entzog Woelki das Vertrauen. Die Krise im Erzbistum Köln hat sich damit weiter verschärft.

Zahlreiche Mitglieder des Diözesanpastoralrats aus verschiedenen Gremien des größten deutschen Bistums hätten am Samstag deutlich gemacht, dass sie kein Vertrauen mehr in den Erzbischof hätten, berichteten Teilnehmer übereinstimmend der Deutschen Presse-Agentur. Woelki selbst habe darauf hingewiesen, dass er nicht gewählt, sondern berufen sei. Nur der Papst könne ihn von seinem Posten abberufen.

Schließlich habe man sich darauf verständigt, einen externen Moderator zu bestellen. Wer dies sein soll, ist noch offen. In der nächsten Sitzung des Diözesanpastoralrats im September solle es dann eine grundsätzliche und tabulose Analyse der Krise geben. Dabei werde es auch um die Frage gehen, ob im Bistum überhaupt noch ausreichendes Vertrauen für eine weitere Zusammenarbeit mit Woelki vorhanden sei. Bevor diese grundsätzliche Vertrauensfrage nicht geklärt sei, würden andere Themen im Diözesanpastoralrat nicht mehr besprochen.

Hilfe von außen nötig

Die Teilnehmer betonten, es habe große Einigkeit darin geherrscht, dass man sich an einem toten Punkt befinde, den man ohne Hilfe von außen nicht überwinden könne. Es sei von einer Überforderung Woelkis und einer aussichtslosen Vertrauenskrise die Rede gewesen.

Der Kölner Dom
APA/AFP/John MacDougall
Ein wichtiges Beratungsgremium hat kardinal Rainer Maria Woelki das Vertrauen entzogen

Am Samstagvormittag sei es zum Eklat gekommen, nachdem Woelki und sein Verwaltungschef, Generalvikar Markus Hofmann, auf die Aussprache des Vorabends nicht zurückgekommen seien. Stattdessen hätten sie versucht, die Diskussion in eine andere Richtung umzulenken. Das hätten die Mitglieder aber nicht akzeptiert. Woelki fehle nach wie vor die Fähigkeit, das Ausmaß der Krise zu akzeptieren. Stattdessen versuche er, irgendwie weiterzumachen.

Woelki: Personalentscheidung „großer Fehler“

Zu Beginn der Sitzung hatte Woelki am Freitagabend eine umstrittene Personalentscheidung als „großen Fehler“ bezeichnet. Dabei bezog er sich auf einen Pfarrer, den er 2017 zum stellvertretenden Stadtdechanten von Düsseldorf befördert hatte, obwohl dieser zugegeben hatte, mit einem 16 Jahre alten Prostituierten masturbiert zu haben.

Bisher hatte die Bistumsspitze die Beförderung mit dem Argument gerechtfertigt, der Pfarrer habe sich strafrechtlich nichts zuschulden kommen lassen und den viele Jahre zurückliegenden Kontakt bereut. Diese Haltung hatte auch deswegen Empörung ausgelöst, weil Woelki Segnungen für homosexuelle Paare ablehnt, selbst wenn sie seit Jahrzehnten zusammenleben. Über Woelkis Bedauern hatte zunächst die „Kölnische Rundschau“ berichtet.

Visitation abgeschlossen

Zur Überwindung der seit Monaten schwelenden Krise forderte Woelki einen „Neubeginn der kleinen Schritte“. Man müsse aufeinander zugehen, sagte der 64-Jährige nach Mitteilung des Erzbistums. Er selbst wolle seinen Teil dazu beitragen.

In der vergangenen Woche hatten die beiden Apostolischen Visitatoren Anders Arborelius und Hans van den Hende ihren einwöchigen Besuch in Köln abgeschlossen. Die Bevollmächtigten des Papstes sollten klären, wie das Erzbistum mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs durch Priester umgegangen ist und ob Woelki Fehler gemacht hat. Sie erstellen nun einen vertraulichen Bericht für Papst Franziskus.

Missbrauch: Hunderte neue Hinweise

Seit Veröffentlichung der MHG-Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche wurden zahlreiche Hinweise auf weitere Fälle bekannt. „Beim Eckigen Tisch dürften sich in drei Jahren etwa 250 Menschen deutschlandweit gemeldet haben“, sagte Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative – und das sei wohl nach wie vor nur die Spitze des Eisberges: „Ich gehe davon aus, dass auf jede betroffene Person, die sich bislang gemeldet hat, mindestens drei kommen, die abwarten.“

Auch die Bistümer bekommen immer mehr Hinweise: Allein bei den sieben Bistümern in Bayern waren es mindestens 205, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab, darunter allerdings auch zahlreiche Hinweise auf „Grenzüberschreitungen“, die strafrechtlich nicht als sexueller Missbrauch gewertet werden. Bundesweite Zahlen gibt es nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) nicht.

„Mindestens 5089 Opfer“

Im Herbst 2018 hatte die katholische Kirche die sogenannte MHG-Studie und damit Zahlen zu sexuellem Missbrauch öffentlich gemacht. Demnach sind bundesweit in den Personalakten von 1946 bis 2014 insgesamt 1670 Kleriker wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt worden. Es gab 3677 Opfer. 2020 machten die Ordensgemeinschaften öffentlich, dass sich bei ihnen weitere 1412 Betroffene gemeldet haben.

„Wir reden also von mindestens 5089 Opfern, die der Kirche bekannt sind“, sagte Katsch. „Wenn die verschiedenen Schätzungen auf Basis von Befragungen oder Vergleichszahlen aus dem Ausland, etwa den Niederlanden, stimmen, dann dürfte die Zahl der Betroffenen der katholischen Kirche bei etwa 80 000 liegen.“

Woelki weist Vorwürfe zurück

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki verteidigt seinen Umgang mit der Missbrauchsaufarbeitung in seiner Erzdiözese. In den vergangenen Wochen habe er oft gehört, er solle moralische Verantwortung übernehmen, sagte er am Sonntag dem Kölner Online-Portal domradio.de laut Kathpress. „Und die übernehme ich, indem ich versuche, vergangenes Unrecht wieder gut zu machen.“

In der Moralphilosophie werde Verantwortung „in zwei Richtungen“ beschrieben, so der Erzbischof. Man trage Verantwortung für vergangene Taten, auf die man Einfluss hatte und die einem zugerechnet werden können. Verantwortung habe man aber auch für zukünftige Handlungen.

„Wir sind Kirche“ zweifelt an Aufklärungswillen

Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ äußerte im Missbrauchsskandal Zweifel am Aufklärungswillen der katholischen Kirche. „Da die Kirchen als Organisationen viel zu lange und systematisch vertuscht haben, haben wir große Zweifel, ob die Täterorganisation wirkliche Aufarbeitung leisten kann“, sagte der Sprecher der Bewegung, Christian Weisner, der Deutschen Presse-Agentur in München.

Der Missbrauchsskandal werde noch lange Thema sein. „Das Thema wird und muss uns noch lange beschäftigen“, sagte er. "Auch die „Grenzverletzungen" sind in ihren Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Denn Machtausübung – ob sexualisiert, geistlich oder mit körperlicher Gewalt –, ist eine große oft lebenslange Belastung für jeden Betroffenen und führt letztlich zu mehr Gewalt innerhalb der Gesellschaft.“