Wein, Bibel und Brot in der Kirche
Pixabay/Congerdesign
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Religion und Drogen

Wenn der Glaube „berauscht“

Von mild aufputschend über stark berauschend bis regelrecht psychedelisch: Drogen – im weitesten Sinn des Wortes – haben in der Welt der Religionen nicht den besten Ruf. Der Begriff „puritanisch“ ist nicht umsonst kirchlichen Ursprungs, und das Alkoholverbot im Islam gilt im Grunde für alle Rauschmittel. Doch Drogen können auch Teil religiöser Praxis sein.

Im Grunde beginnt es bereits bei feierlicher Orgelmusik oder dem Rhythmus des Rosenkranzgebetes: Im religiösen Ritual soll ein veränderter Bewusstseinszustand hergestellt werden – unter Umständen bis hin zur Trance. Und dafür werden da und dort auch Drogen eingesetzt, sagt der Religionswissenschaftler Hans Gerald Hödl.

Bei den berühmten Rastafari aus Jamaika sind es zum Beispiel Marihuanaprodukte („Ganja“). Die Celestial Church of Christ, eine autochthone christliche Gruppe aus Westafrika, verwendet im Gottesdienst große Mengen Weihrauch und Parfum. „Nach vier bis fünf Stunden Gottesdienst ist man dann ganz schön benebelt“, so Hödl. Und für die Native American Church ist der mescalinhaltige, also halluzinogene, Peyote-Kaktus die heilige Pflanze. Das sei, sagt Hödl, ausjudiziert: „Die dürfen das, weil es eine Religion ist.“

Eine Frau trinkt Yage in La Calera, Colombia.  Ein Getränk aus Ayahuasca
APA/AFP Photo/Eitan Abramovich
Bei Ayahuasca-Ritualen wird ein aus Pflanzen gewonnenes Getränk eingenommen – mit bewusstseinsverändernder Wirkung

Schamanische Rituale mit psychedelischen Pflanzen

Der Genuss bewusstseinsverändernder Substanzen ist auch integraler Bestandteil von schamanischen Ayahuasca-Ritualen. Ayahuasca gehört zur traditionellen Medizin Südamerikas: „In Peru, am Amazonas und in der gesamten Region wird es schon seit Jahrhunderten zubereitet, konsumiert und zur Heilung eingesetzt“, sagt die gelernte Drogistin Walpurga Zellinger.

Sendungshinweis

Tao „Berauscht oder begeistert?“ Samstag, 17.7.2021, 19.05 Uhr, Ö1

Nach dem Studium der katholischen Theologie fand sie über ihren Ehemann Wolfgang Mike Zellinger zum Schamanismus. Als Schamanin „Fajalla“, was „Für Alle“ bedeutet, bietet sie seit vielen Jahren gemeinsam mit ihrem Mann (Schamane „Black Eagle“) Ayahuasca-Rituale an. Doch die Schamanin warnt: „Das gehört in fachkundige Hände – mit erfahrenen Leuten“, von „Selbstversuchen“ mit psychedelischen Pflanzen rät sie daher ab.

Brechreiz und „Visuals“

Ayahuasca wird als Getränk, eine Art Tee, eingenommen – hergestellt aus einer Liane und aus Blättern eines Strauches. Die Wirkung ist in erster Linie, so Zellinger, „reinigend“ und oft mit heftigem Erbrechen verbunden. Daher soll vor dem Ritual mehrere Tage gefastet werden: kein Zucker, kein Salz, kein Öl. Ayahuasca wird im Ritual am Abend eingenommen.

Die Wirkung setzt oft erst nach ein oder zwei Stunden ein und kann dann bis in die frühen Morgenstunden anhalten. „Ayahuasca führt den Menschen in einem veränderten Bewusstseinszustand", sagt Zellinger. Typisch sind lichtvolle Wahrnehmungen,"Fraktale“, aber auch echte „Visuals“, quasi „Filme“ surrealer Art.

Ein Ritual in La Calera, Colombia.  Yage – ein Getränk aus Ayahuasca
APA/AFP Photo/Eitan Abramovich
Ayahuasca, eine Art Tee

Ganze Nacht „mit Gott gesprochen“

Manche Menschen würden dadurch wirklich an einen heiligen Ort kommen, von dem sie sagen: „Dort wohnt Gott“, so Zellinger. Eine gar nicht besonders religiöse Frau habe nach einem Ritual einmal gesagt: „Ich habe die ganze Nacht mit Gott gesprochen. Das muss Gott gewesen sein. Was wäre das sonst gewesen?“, erzählt die Schamanin.

Den Begriff „Droge“ lehnt das Ehepaar Zellinger für Ayahuasca aber ab: Das Konsumieren von Drogen wie Heroin und Kokain sei ganz klar zu unterscheiden „von der Arbeit mit psychedelischen Pflanzen, also mit alter Pflanzenheilkunde, die den Menschen hinter den Vorhang führen kann, wo ganz große Erfahrungen möglich sind“. Das erfordere aber eine intensive Vorbereitung, eine gute Begleitung während des Rituals sowie eine kompetente Aufbereitung des Erlebten und Erfahrenen nach dem Ritual: „Dann kann dich Ayahuasca tatsächlich wieder auf diesen göttlichen Pfad führen, der für jeden Menschen vorgesehen ist.“

Islam: „Gefühle nicht künstlich“ erzeugen

„Kommt nicht berauscht zum Gebet“, heißt es hingegen im Koran. Und weil fünfmal am Tag gebetet wird, hat sich daraus ein allgemeines Alkoholverbot für Musliminnen und Muslime entwickelt. Aber der Fokus liege nicht unbedingt auf Alkohol, sagt Zeynep Elibol, Direktorin der Islamischen Fachschule für Soziale Bildung in Wien. „Was hier betont wird, ist das Berauschende.“ Das Verbot gelte daher sinngemäß für alle Rauschmittel.

Die Gefahr liege in der Verwechselbarkeit: „In so einer Situation kann der Mensch vielleicht glauben: Jetzt habe ich Gott gefunden – und dabei ist er ganz weit weg, weil das nichts mit Spiritualität zu tun hat. Um das sauber unterscheiden zu können, dürfen Gefühle eben nicht künstlich durch Drogen verursacht werden.“

Am Tabak scheiden sich aber die Geister im Islam: Viele Gelehrte sprechen von einem Verbot, so Elibol, andere eher nicht, weil Tabak im Koran nicht explizit genannt wird – und: „Er berauscht nicht.“ Das Gegenargument liegt in der Schädlichkeit des Rauchens: „Der Mensch hat nicht das Recht, seinem Körper zu schaden, weil der Körper nicht im Besitz des Menschen ist, der Körper ist ihm nur anvertraut.“

Ambivalente Symbolik im Christentum

Im Christentum wiederum ist, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, ein alkoholisches Getränk fixer Bestandteil des Gottesdienstes – der Wein. Weil er „das Symbol des Festes ist“, sagt die katholische Theologin und Liturgiewissenschaftlerin Ingrid Fischer. „Wein erfreut das Herz, wie es im Psalm 104 heißt.“ Gleichzeitig steht der Wein als „Blut Christi“ aber auch für den Tod des Jesus aus Nazareth am Kreuz.

Ein rauchendes Weihrauchgefäß
Reuters/Kevin Lamarque
Weihrauch wird seit dem Altertum als Heilmittel verwendet

„Religion ist auch ein Grenzgang. Und Drogen haben die Eigenschaft, dass sie Grenzen überschreiten helfen. Und ich denke durchaus, dass es auch ein Konnotat des Weingenusses ist, dass man sich dadurch auf dieses ‚Größere‘ hin öffnen kann, das nicht verfügbar ist, aber sich doch erschließen kann, weil es geschenkt ist“, sagt Fischer.

Trinken als „religiöse Pflicht“

Im Judentum ist es sogar eine religiöse Pflicht, Wein zu trinken – am Sabbat und zu Pessach. Wein soll beflügeln, so Fischer, aber nicht völlig enthemmen: Beim Kirchenvater Ambrosius findet sich in diesem Zusammenhang der Begriff „des Geistes klare Trunkenheit“: „Also hier wird auch die Dimension des Rausches angesprochen – die Trunkenheit, die aber klar bleibt, die einen nicht vernebelt, die keinen Kater produziert.“

Beim Thema „Drogen und Religion“ denkt man natürlich sofort auch an die psychedelische Bewegung in den sechziger und siebziger Jahren, sagt Religionswissenschaftler Hödl. Halluzinogene Drogen, vor allem LSD, seien damals nicht nur aus „Jux und Tollerei“ konsumiert worden. „Manche haben davor gefastet, und das wirklich als religiöse Übung verstanden.“

„Unterschicht-Verhalten“

Zum Sehnsuchtsort vieler Menschen wurde damals Indien. Die Indologin Karin Preisendanz erzählt, in ihrer Studienzeit sei es praktisch unverzichtbar gewesen, nach Indien zu reisen. „Und dort ist man mit den dort zugänglichen Drogen in Kontakt gekommen.“

Vorbilder dafür gab es viele – zum Beispiel die „Beatles“. Drogen wie LSD wurden mit den religiösen Traditionen Indiens in Zusammenhang gebracht, paradoxerweise, wie Preisendanz betont. Denn Drogen – und das beginnt bei alkoholischen Getränken – tragen in Indien ein klares soziales Stigma: Ihr Konsum gilt als „Unterschicht-Verhalten“.

Ein Hindu raucht Marihuana
Reuters/Navesh Chitraka
Cannabisrauchen kann auch Teil einer religiösen Praxis sein

Nagas ziehen nackt umher

Die Ursache dafür liegt in der Ablehnung der Berauschung, die den Menschen „von der klaren Sicht“ abbringe. Das führe zu einer Art „generellen Prohibition“, sagt Preisendanz. „Im religiösen Kontext sind Drogen natürlich völlig verpönt.“

Das heißt aber auf keinen Fall, dass in Indien kein Alkohol getrunken würde. Schon die alten Sanskrit-Epen zeichnen da ein ganz anderes Bild. Die Menschen sind also immer schon – der allgemeinen Norm zum Trotz – einen eigenen Weg gegangen. Und selbst in der religiösen Sphäre spielen Drogen bis in einigen Bereichen auch in Indien durchaus eine Rolle.

Die Welt als Illusion

Die Indologin nennt in erster Linie die Gruppe der Nagas, besonders radikale Asketen: Sie ziehen völlig nackt durch die Welt, leben im Gegensatz zu anderen „Sadhus“ (Mönchen) aber nicht sexuell enthaltsam – und sie konsumieren Drogen, in kleinen Pfeifen, in der Regel auf Cannabis basierend.

Ihr Ziel dabei ist durchaus eine „höhere Erkenntnis“, sagt Preisendanz – nämlich, „dass die ganze Welt nur eine von Gott Shiva verursachte Illusion ist, deren Erkenntnis als Illusion uns dann zur Erlösung bringt, zur Vereinigung mit Gott Shiva, zur Befreiung aus der Verstrickung in dieser Welt.“