Katholiken

Benedikt XVI. kritisiert Kirche in Deutschland

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. geht mit Amtsträgern der katholischen Kirche in Deutschland ins Gericht. Viele würden „den inneren Auftrag der Kirche nicht mittragen“. In der „Herder Korrespondenz“ konkretisiert er auch die Wortwahl seiner „Freiburger Rede“, in der er 2011 eine „Entweltlichung“ der katholischen Kirche gefordert hatte.

„Solange bei kirchenamtlichen Texten nur das Amt, aber nicht das Herz und der Geist sprechen, so lange wird der Auszug aus der Welt des Glaubens anhalten“, schreibt er in Antworten auf Fragen der „Herder Korrespondenz“, die die Zeitschrift in ihrer neuen Ausgabe (August) veröffentlichen will. Er erwarte „ein wirkliches persönliches Glaubenszeugnis von den Sprechern der Kirche“.

Benedikt kritisierte: „In den kirchlichen Einrichtungen – Krankenhäusern, Schulen, Caritas – wirken viele Personen an entscheidenden Stellen mit, die den inneren Auftrag der Kirche nicht mittragen und damit das Zeugnis dieser Einrichtung vielfach verdunkeln.“

Benedikt XVI.
APA/dpa-Pool/Sven Hoppe
Der zurückgetretene Papst Benedikt XVI.

Amtliche Texte der Kirche in Deutschland würden weitgehend von Leuten geschrieben, „für die der Glaube nur amtlich ist“, schreibt der frühere Kardinal Joseph Ratzinger. „In diesem Sinn muss ich zugeben, dass für einen Großteil kirchenamtlicher Texte in Deutschland in der Tat das Wort Amtskirche zutrifft.“

Konkretisierung zu „Freiburger Rede“

Der emeritierte Papst geht in dem Text auch auf seine beim Deutschlandbesuch 2011 gehaltene „Freiburger Rede“ ein, die ein breites, auch kritisches Echo ausgelöst hatte. Damals hatte er betont, Kirche müsse auf Distanz zur Umwelt gehen und sich „ent-weltlichen“.

Benedikt XVI. betont nun, vielleicht habe er den Begriff der Entweltlichung nicht klug gewählt. „Das Wort Entweltlichung deutet den negativen Teil der Bewegung an, um die es mir geht, nämlich das Heraustreten aus der Rede und Sachzwängen einer Zeit ins Freie des Glaubens.“ Das Positive dieses Ansatzes sei damit aber nicht genügend ausgedrückt.

In dem Text bezeichnet der frühere Papst zugleich eine „Flucht in die reine Lehre“ als unrealistisch. Die Lehre müsse sich vielmehr „in und aus dem Glauben entwickeln, nicht neben ihm stehen“. Denn eine „Lehre, die wie ein Naturschutzpark abgetrennt von den täglichen Welt des Glaubens und seiner Nöte bestehen würde, wäre zugleich ein Verzicht auf den Glauben selbst“.

„Gläubige und Ungläubige voneinander scheiden“

In der Rede zum Abschluss seines Deutschland-Besuchs 2011 hatte Benedikt die „zunehmende Distanzierung beträchtlicher Teile der Getauften vom kirchlichen Leben“ festgestellt. Die Kirche müsse darum "immer wieder auf Distanz zu ihrer Umwelt gehen, sie hat sich gewissermaßen zu „ent-weltlichen"“. Und: „Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von der Weltlichkeit der Welt zu lösen“, sagte er damals.

Im „Herder“-Interview betonte Ratzinger, „dass zur Kirche nun einmal Weizen und Spreu, gute und schlechte Fische gehören. Es konnte also nicht darum gehen, Gutes und Schlechtes voneinander zu trennen, wohl aber darum, Gläubige und Ungläubige voneinander zu scheiden“. Kritiker bewerten Aussagen des 2013 zurückgetretenen Papstes zur Kirchenpolitik immer wieder missbilligend, weil sie befürchten, er wirke gegen Papst Franziskus.

Reformbewegung ortet Einmischung

Diese Befürchtung äußert am Montag auch „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner: "Bei allem Respekt vor seiner Lebensleistung finden es viele Gläubige verstörend, dass Joseph Ratzinger zum wiederholten Male sein Wort bricht, „verborgen vor der Welt zu leben", das er bei seinem Rücktritt gegeben hatte“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur in München.

„Die Kontroversen um den Kurs seines Nachfolgers Papst Franziskus zeigen, welche irritierenden Wirkungen die immer wieder erfolgten Einmischungen des ehemaligen Papstes zu aktuellen Debatten, wie beispielsweise in der Zölibatsfrage hatten.“

"Wenn er konkret „die Amtskirche" kritisiert, meint er wohl in erster Linie die Kollegen Bischöfe in Deutschland“, sagt Weisner. Aus seiner Sicht ist die „Gefahr groß, dass konservative Kräfte in der katholischen Kirche dies auch als Festhalten am Priesterbild der damaligen Zeit lange vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil deuten“.

Zeitpunkt „mag Zufall sein“

Auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung findet er bemerkenswert: „Es mag Zufall sein“, sagte er, dass das Gespräch veröffentlicht wird kurz nachdem Benedikts Nachfolger Franziskus seine Entscheidung veröffentlicht hat, die lateinische Messe nur unter Auflagen zu erlauben und damit eine Entscheidung seines Vorgängers kassierte.

Die Ausführungen sind Folge einer Anfrage der Monatszeitschrift „Herder Korrespondenz“. Autor Tobias Winstel hatte sich schriftlich an Joseph Ratzinger gewandt. Anlass war, dass Ratzinger vor 70 Jahren Kaplan in einer Münchener Pfarre wurde. Der Großteil der Ausführungen bezieht sich auf Erinnerungen aus dieser Zeit.

Theologe nennt Aussagen „bestenfalls naiv“

Der deutsche Theologe Daniel Bogner nennt die Einschätzung des emeritierten Papstes über kirchliche Amtsträger in Deutschland „bestenfalls naiv“. Seine Aussage „ignoriert vollständig, dass man als Geweihter in der Katholischen Kirche mit ihrer monarchischen Kirchenverfassung eben nicht einfach nur Geistlicher sein kann, sondern mit diesem Amt immer auch eine ständegesellschaftliche und geschlechterdiskriminierende Grundordnung bestätigt wird, ob der einzelne Amtsträger das nun persönlich beabsichtigt oder nicht“, sagte der Professor für theologische Ethik an der Universität Freiburg in der Schweiz der Deutschen Presse-Agentur.

„Die institutionelle Architektur übt ein Gewicht aus, das nicht so unschuldig vom persönlichen Handeln der Amtsträger getrennt werden kann, wie Ratzinger es tut“, sagte er. „Wenn der ehemals höchste Amtsträger der katholischen Kirche mit einer solchen Schlagseite vom Weiheamt redet, ist das bestenfalls naiv“, so Bogner.