Judentum

Bilanz: Ein Jahr neuer Oberrabbiner in Wien

Seit einem Jahr ist Jaron Engelmayer Oberrabbiner in Wien. Der 44-Jährige zieht eine durchaus positive Bilanz – auch wenn durch die Coronavirus-Pandemie alles viel langsamer gehe. Für die Zukunft wünscht er sich, dass „jüdische Leute sich wohlfühlen in der pluralistischen Gesellschaft, die hier existiert“.

Wien bezeichnet er als „wunderschöne, lebensfrohe“ Stadt. Seine Funktion trat er im August 2020 an, mitten in der Coronavirus-Pandemie. Das sei nicht einfach gewesen, habe aber auch Vorteile gehabt. Das Knüpfen von Kontakten sei schwierig gewesen, Veranstaltungen gab es kaum, die Synagogen waren geschlossen.

Auf der anderen Seite habe das ermöglicht, langsam den Einstieg zu finden, „ohne dass gleich alles auf uns zugekommen ist“, sagt Engelmayer, der mit seiner Frau und seinen fünf Kindern im Alter zwischen vier und 16 Jahren 2020 nach Wien zog. Geboren wurde er in der Schweiz, studierte in den USA und Israel, ging dann nach Deutschland und wieder nach Israel, wo seine letzte Station vor Wien war.

„Leben und leben lassen“

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien beschreibt er als stark, sozial und pro-aktiv, die sich sehr um das Angebot für ihre Mitglieder kümmere. Sie ist dafür bekannt, sehr bunt und vielfältig zu sein – von ultraorthodox bis liberal und zählt etwa 7.000 Mitglieder. Pluralismus mache ihm keine Angst, so Engelmayer, im Gegenteil: „Es ist auch immer ein Leben und Lebenlassen.“ Unterschiede und Eigenheiten müsse man anerkennen und den verschiedenen Gruppen eine gewisse Autonomie gewähren in den eigenen Gebieten und Bereichen. Auf der anderen Seite gelte es auch, Kontakte zu pflegen und Dinge auszudiskutieren.

Jaron Engelmayer, Oberrabbiner von Wien
APA/Georg Hochmuth
Oberrabbiner Jaron Engelmayer ist seit August 2020 Oberrabbiner von Wien

„Wien ist vor allem sehr attraktiv für uns gewesen, weil hier jüdisches Leben sichtbar ist, Juden sich zeigen können. Das war für uns ein ganz wichtiger Faktor, dieses Weltoffene, das Internationale und auch, dass man sich als jüdische Person wohlfühlen kann, hier jüdische Symbole zu tragen, zu zeigen und sich keine Gedanken machen muss“, so Engelmayer.

Vielfalt in jüdischer Gemeinde

Ein großes Anliegen ist dem Oberrabbiner, Stabilität zu bieten, vor allem in unsicheren Zeiten. „Es ist mir ganz wichtig, dass die Leute sich wohlfühlen in die Gemeinde zu kommen.“ Sie sollten sich zugehörig und eingeladen fühlen – unabhängig ihrer jüdischen Ausrichtung.

Sendungshinweis

Interview mit Jaron Engelmayer im „Studio 2“, 3.8.2021 ab 17.30 in ORF 2.

Dem wachsenden Antisemitismus möchte er mehr Aufmerksamkeit für das jüdische Leben in all seiner Vielfalt entgegenstellen. Der Anstieg des Antisemitismus sei bedenklich und kein Wiener oder ein österreichisches Problem, sondern ein europäisches. Die Sicherheitslage in Österreich sieht er dennoch als gut an und blickt seinem zweiten Jahr als Oberrabbiner mit Zuversicht entgegen.

Angst- und sorgenfreie Begegnung

„Für die Zukunft wünsche ich mir sehr, dass wir uns angst- und sorgenfrei begegnen können, auch in gesundheitlicher Hinsicht. Auch dass wir uns frei bewegen können. Dass jüdische Leute sich wohl fühlen, jüdische Zeichen zu zeigen; sich wohlfühlen in der allgemeinen Gesellschaft, in der pluralistischen Gesellschaft, die hier existiert.“

Konkrete Pläne, die er begleitend umsetzen möchte, sind Programme für Mädchen und Buben im Alter von zwölf, dreizehn Jahren für deren Bat bzw. Bar Mitzwa (das Ritual zum Erreichen der Religionsmündigkeit, ähnlich der christlichen Firmung bzw. Konfirmation). Außerdem seien Freizeitangebote für Familien geplant.