Silhouette Erwachsene und Kind
Pixabay/Gerd Altmann
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Staatlicher Bericht

Missbrauch in Polen: Viele Beschuldigte Kleriker

Polens neue staatliche Aufarbeitungskommission für sexuellen Kindesmissbrauch hat einen ersten Bericht vorgelegt. In rund 29 Prozent der Fälle, die der Kommission bisher gemeldet oder von ihr selbst aufgenommen wurden, ist der Beschuldigte ein Geistlicher.

In 100 von 349 Fällen sind die Beschuldigten demnach Geistliche. Bei 68 Beschuldigten handele es sich um einen Elternteil, bei 36 um einen anderen Verwandten. Der Bericht lasse freilich nicht den Schluss zu, dass 29 Prozent aller pädophilen Missbrauchstäter Geistliche sind, präzisierte der Leiter der Kommission, Blazej Kmieciak im Interview der polnischen Nachrichtenagentur KAI. Nach in dem Report zitierten Untersuchungen seien Geistliche aber in etwa ein Prozent pädophiler Verbrechen verwickelt.

Die vom Parlament beschlossene Aufarbeitungskommission erfasst seit November Fälle von Missbrauch von Kindern unter 15 Jahren. Die Analyse aller bis Ende Juni registrierten Fälle ist ein Schwerpunkt des mehr als 250 Seiten langen Berichts. Außerdem macht die Kommission Vorschläge, um den rechtlichen und strafrechtlichen Schutz von Kindern zu verbessern. So empfehlen die Expertinnen und Experten unter anderem, dass die Justiz Strafverfahren zu Kindesmissbrauch mit Priorität durchführt und ein Kinderanwalt eingeführt wird.

Kirche mit „Selbstdiagnose“

Auch eine Verschärfung des Strafmaßes sei wichtig, müsse aber mit einer Abkehr von den liberalen Strafen einhergehen, die beispielsweise für Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs im Internet verhängt werden, schilderte Kmieciak im KAI-Interview. Auch sei die Aussetzung von Strafen oder eine Diversion in solchen Fällen „ein Missverständnis mit schrecklichen Folgen“.

Kmieciak plädierte auch für eine genaue Untersuchung und Analyse der Reaktionen auf Missbrauchsverbrechen in all jenen Berufsgruppenbereichen, die sich mit der Betreuung, Behandlung und Unterstützung von Kindern befassen. „Die katholische Kirche hat zwei Recherchen durchgeführt. Es lohnt sich natürlich, diese einer externen Sekundäranalyse zu unterziehen, aber es ist das einzige Umfeld, das bisher eine Art Selbstdiagnose der Situation gestellt hat“, hielt der Leiter der staatlichen Aufarbeitungskommission fest.

Verdacht von Fehlverhalten in Kirche

Zu den vom aktuellen Report erfassten Fällen aus dem kirchlichen Bereich, hieß es, dass 55 der gemeldeten Missbrauchsfälle, die Geistliche begangen haben sollen, von der staatlichen Kommission an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden seien.

In 36 von ihnen bestehe der Verdacht, dass die Glaubensgemeinschaft trotz Kenntnis eines glaubhaften Vorwurfs nicht unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden informiert habe. Darauf stehen in Polen bis zu drei Jahre Gefängnis. Das jüngste mutmaßliche Missbrauchsopfer war dem Bericht zufolge ein Jahr alt. 188 der gemeldeten Betroffenen waren Mädchen, 173 Buben. In den übrigen Fällen fehlten Angaben zum Geschlecht.

Kommission fordert Daten von Vatikan

Die Kommission forderte laut ihrem Bericht bei der vatikanischen Glaubenskongregation Ende Juni zahlreiche Daten an. Sie will demnach etwa wissen, wie viele Strafverfahren wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder es seit 2002 gegen polnische Geistliche gab und wie viele Priester aus dem Klerikerstand entlassen wurden. Eine Antwort steht noch aus.

Informationen erbat die Kommission auch von anderen Kirchen und den Zeugen Jehovas. Die orthodoxe Kirche, mit nach eigenen Angaben 600.000 Mitgliedern Polens zweitgrößte Konfession, erklärte, ihr seien keine Fälle von Kindesmissbrauch durch Geistliche bekannt. Die meisten anderen Glaubensgemeinschaften machten bislang keine Angaben.