Entwicklung

Expertin: Kein Weg aus Klimakrise ohne Verzicht

Es gibt keinen Weg aus der Klimakrise ohne Verzicht. Das betont Anja Appel, Leiterin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung (KOO).

Im Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur Kathpress widerspricht sie damit auch dem Ansatz von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), technische Innovationen wären ausreichend, und daher sei ein solcher Weg auch ohne Verzicht möglich.

Einerseits muss sich laut Appel der Lebensstil der Menschen drastisch ändern, um eine Klimakatastrophe abzuwenden. Andererseits müsse man lernen, die in der voranschreitenden Klimaveränderung noch zur Verfügung stehenden Ressourcen zu teilen. Verzicht zu lernen sei deshalb essenziell, damit eine mögliche Klimakatastrophe keine zwischenmenschliche Katastrophe wird. Denn „richtig schlimm wird es ja dann, wenn die Menschlichkeit verloren geht“, so die Politologin und Expertin für Entwicklungszusammenarbeit.

Migrationsbewegungen zu erwarten

Hoffnung als christliches Prinzip ist für Appel deshalb auch nach dem düsteren Weltklimabericht der Vereinten Nationen in Bezug auf den menschlichen Umgang mit der Klimakrise angebracht. Es werden laut Appel selbstverständlich in Zukunft viele Menschen aus betroffenen Regionen auswandern, auch nach Europa, da ihre Lebensgrundlage in den Heimatländern zerstört sein wird, sagt sie.

Ein wegen Trockenheit aperes Feld
APA/AP/Nathan Howard
Trockenheit macht Anbau in manchen Regionen mittlerweile unmöglich

„Das ist das Natürlichste und Logischste der Welt, dass Menschen dann wegziehen, dazu ist der Selbsterhaltungstrieb zu stark“, so Appel. Je schlimmer die Klimasituation wird, desto mehr müssten Menschen lernen, auf Materielles zu verzichten, so die Expertin: „Dafür gewinnt man aber auch sehr vieles – wie Freiheit, Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit“.

Klima betrifft alle

Schon das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) habe sehr klar formuliert, dass man nicht als Liebesgabe anbieten dürfe, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet sei, erinnert Appel. Die Katholische Kirche habe durch die vielfältigen Perspektiven der Weltkirche längst die Einsicht gewonnen, dass die Klimakrise alle betrifft. Die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen seien der größte Schatz der Weltkirche, so Appel. Man müsse sich aber noch stärker als „ein Leib“ wahrnehmen, erklärt sie.

Man müsse einsehen und sich tatsächlich eingestehen, dass Menschen an bestimmten Orten an den Folgen der Klimakrise sterben, da Menschen in westlichen Ländern in einem System leben, das dieses Sterben provoziert. „Aber die Frage ist, ob wir uns das zutrauen, denn das ist schmerzvoll. Da muss man sich eingestehen, was man für eine Verantwortung hat, und das überfordert wahrscheinlich viele.“

„Kritische Masse“ nötig

Auch wenn es Menschen in der Kirche gebe, denen das Thema Klimagerechtigkeit auf die Nerven geht, seien es doch sehr viele, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, macht Appel aufmerksam. Deshalb sei auch die Hoffnung berechtigt, etwas ändern zu können: „Man braucht nicht die Mehrheit, sondern eine kritische Masse.“

Auch wenn die Kirche an gesellschaftlichen Einfluss verloren habe, sei ihre Gestaltungsmacht in der globalen Klimapolitik nicht zu unterschätzen, und zwar auch als Kapitalfaktor, so Appel. Sie verweist darauf, dass die Österreichische Bischofskonferenz beschlossen hat, sich von allen Unternehmen zu trennen, die fossile Brennstoffe (Kohle, Öl und Erdgas) fördern oder produzieren.

Kirche soll „Finger in Wunden legen“

Der entsprechende Beschluss aus dem März 2019 umfasste alle Finanzinvestitionen der Bischofskonferenz aber etwa auch aller heimischen Diözesen. Und das habe durchaus eine große Wirkung, so die KOO-Leiterin.

Außerdem habe die Kirche vielerorts wie etwa in der Amazonasregion die Möglichkeit, den Finger auf die Wunden zu legen, ihre Stimme zu erheben, wo Unrecht passiert, Politik und Bürgerinnen und Bürger zusammenzubringen und Räume der Diskussion darüber zu eröffnen, wie man gemeinsam ein gutes Leben für die Zukunft gestalten kann.

Gemeinwohl ins Zentrum stellen

Es sei bedeutend, diese Auseinandersetzung jetzt zu verstärken, um möglichst friedlich anstehende Herausforderungen zu meistern. Ein wichtiger Beitrag der Kirche sei dabei, das Gemeinwohl ins Zentrum zu stellen und immer wieder auch die weltweiten Zusammenhänge aufzuzeigen.

Freilich könnten die Kirchen vor Ort alleine nicht allzu viel bewirken, wenn nicht die globalen Verantwortlichkeiten beachtet würden. Dafür brauche es auch das Hinschauen und politische Agieren der westlichen Gesellschaften. Deren Verantwortung reiche vom Konsumverhalten jedes einzelnen bis zu den großen wirtschaftlichen Systemen.

Alle seien gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Denn schlussendlich kann Entwicklungszusammenarbeit laut Appel „nur ein kleines Pflaster für die großen Wunden sein, die etwa durch die Agrar-, Wirtschafts- und Handelspolitik entstehen“.