Polizist aufgenommen am Donnerstag, 10. Oktober 2019, vor Synagoge in Wien
APA/Helmut Fohringer
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Bilanz

Antisemitismus: Vorfälle mehr als verdoppelt

Die Zahl der gemeldeten antisemitischen Übergriffe in Österreich hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr beinahe verdoppelt. Das zeigt die Bilanz der in der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien eingerichteten Meldestelle des ersten Halbjahres.

Demnach wurden von Jänner bis Juni 562 Vorfälle jeglicher Art registriert, im Vergleichszeitraum 2020 waren es 257. Die Hintergründe waren zu einem großen Teil die Coronavirus-Pandemie und der Nahostkonflikt.

Mehr als die Hälfte der gemeldeten antisemitischen Vorfälle, konkret 331, bezogen sich auf „verletzendes Verhalten“, also etwa Beleidigungen. 154 Mal wurden sogenannte Massenzuschriften registriert, worunter etwa Postings im Internet mit antisemitischen Inhalten zu rechnen sind.

Angriffe, Drohungen, Schmierereien

Von der Meldestelle aufgenommen wurden auch 58 Fälle von Sachbeschädigung, wie etwa antisemitische Schmierereien und Graffitis. Dazu kommen elf Bedrohungen und acht tatsächliche physische Angriffe.

Grafik antisemitische Vorfälle 2020/2921
APA

Die größte Anzahl der Vorfälle (244) kam im ersten Halbjahr von politisch rechts motivierten Tätern, dem gegenüber stehen 71 Vorfälle, die von muslimischer Seite ausgingen. Dennoch zeigt sich, dass von der zweiten Gruppe die intensiveren Übergriffe ausgingen. Bei 100 Fällen wird davon ausgegangen, dass diese politisch links motiviert waren. 147 Übergriffe waren nicht eindeutig zuordenbar.

Pandemie spielt große Rolle

Weiter eine große Rolle bei antisemitischen Übergriffen spielte im ersten Halbjahr 2021 die Coronavirus-Pandemie, mit der bekanntlich antisemitische Verschwörungstheorien einhergehen. Insgesamt 126 Fälle hatten Bezug zur Krise. Aber auch die Entwicklung im Nahen Osten führte speziell im Mai zu einem deutlichen Anstieg der Meldungen zu israelbezogenem Antisemitismus bzw. Shoah-Leugnungen.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch
APA/Georg Hochmuth
IKG-Präsident Deutsch: Aus Worten können schnell Taten werden

„Auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick katastrophal wirken, sie spiegeln die Realität wider“, kommentierte IKG-Präsident Oskar Deutsch die jüngsten Daten gegenüber der APA. Israelbezogener Antisemitismus und Verschwörungsmythen sowie Shoah-Verharmlosung im Zuge der Coronavirus-Pandemie müssten gesamtgesellschaftlich bekämpft werden.

„Verharmlosung begünstigt Antisemitismus“

„Wenn wir Antisemitismus nicht dort bekämpfen, wo er in Worten daherkommt – in der Straßenbahn, in der Schule, im Stadion oder auf Facebook – dann können schnell aus Worten Taten werden. Deshalb begünstigt eine Verharmlosung von Antisemitismus ebendiesen“, so Deutsch.

Antisemitismus richte sich nicht nur gegen Juden, wie auch einige der jüngsten Fälle zeigen, merkte Deutsch außerdem an. Besonders wichtig sei festzuhalten, dass der Schutz jüdischer Einrichtungen wie Synagogen und Schulen durch Polizei, Bundesheer und die IKG-Sicherheitsabteilung auf sehr hohem Niveau gewährleistet sei. „Diese Sicherheitszusammenarbeit funktioniert nicht überall in Europa so vorbildlich.“