Welttag der Gebärdensprache

Mit der „Poesie der Hände“: Gottesdienst für Gehörlose

Für gehörlose Menschen gibt es in Kirchen und Religionsgemeinschaften Gottesdienste und Seelsorge in Gebärdensprache. Dabei wird gesungen, gebetet, gefeiert und geplaudert – mit Gesten. Das Singen mit den Händen wird auch als „Poesie der Hände“ bezeichnet.

Auf der Website der evangelischen Gehörlosenseelsorge Wien wird beispielsweise extra auf das gemeinsame Singen im Gottesdienst hingewiesen. Wie das funktioniert? „Es ist wie Synchronschwimmen“, sagt der evangelische Gehörlosen-Seelsorger und Pfarrer Wolfgang König. Denn die Herausforderung bestehe in den gleichzeitigen Gebärden. Pfarrer König und seine Frau Martina König betreuen seit 2019 die evangelische Gehörlosencommunity in Wien-Liesing.

Den biblischen Aufruf „Wer Ohren hat, der höre“ übersetzen die Königs „nach dem Motto ‚wer’s mitbekommt, der soll’s verstehen‘“ mit der Gebärde für „sehen“. Martina König ist Ergotherapeutin, spricht Gebärdensprache und engagiert sich seit Langem in der kleinen Gemeinschaft. Ihr Mann hält einmal monatlich Gehörlosengottesdienste, sie übersetzt.

Schätzungsweise 10.000 Menschen in Österreich sind gehörlos, Tausende weitere so schwerhörig, dass sie Gebärdensprache sprechen. Die Wiener evangelische Gehörlosengemeinde ist relativ klein, zehn regelmäßige Gottesdienstbesucherinnen und -Besucher zählt Pfarrer König.

Gehörlosen-Gottesdienste im Internet

Dazu kommen aber seit der Coronavirus-Pandemie 15 bis 20 Zugriffe auf die Übertragungen im Internet. Die Pandemie habe den technischen Fortschritt beschleunigt, sagt Martina König. Was aber dabei schon auf der Strecke bleibe, seien die persönlichen Begegnungen. Nach den Präsenzgottesdiensten wird bei Kaffee und Kuchen geplaudert.

2017 haben die Vereinten Nationen in ihrer Generalversammlung den 23. September zum Internationalen Tag der Gebärdensprachen erklärt. Dieser Tag ist eingebunden in die schon seit 1958 stattfindende „International Week of the Deaf“, die vom Weltverband der Gehörlosen (World Federation of the Deaf, WFD) ins Leben gerufen wurde. Der WFD ist ein Zusammenschluss von 135 nationalen Gehörlosenverbänden, die sich für die Menschenrechte von rund 70 Millionen gehörlosen Menschen weltweit einsetzen.

Teilnehmerinnen und -Teilnehmer  bei einem Gehörlosengottesdienst
Reuters/Morris MacMatzen
Das gemeinsame Singen und Beten in Gebärdensprache sei „wie Synchronschwimmen“, sagt Pfarrer Wolfgang König

Auch in Klagenfurt, Graz und Hallstatt wird einmal pro Monat in evangelischen Gemeinden Gottesdienst in Gebärdensprache gefeiert, Seelsorge ist nach Absprache jederzeit möglich. Die Grazer Gehörlosengemeinde wird von der Klagenfurter Pfarrerin Lydia Burchhardt mitbetreut. Sie hält die Gottesdienste in Gebärdensprache – ohne Dolmetsch. Die evangelische Gehörlosen-Seelsorge und -Gottesdienste in Wien gibt es seit 1986. Seelsorge in Gebärdensprache bieten auch andere Religionsgemeinschaften an.

Gehörlose nicht stumm

Die österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist seit 2005 als Minderheitensprache verankert und als eigene Sprache und Erstsprache (Muttersprache) gehörloser Menschen anerkannt. Die Schriftsprache ist eine Fremdsprache für Gebärdensprachen-Sprecherinnen und -Sprecher, ihr grammatikalischer Aufbau ist ganz anders als der der Gebärdensprache.

Mund-Nasen-Maske mit Sichtfenster für gehörlose Menschen
Reuters/Hannah Mckay
Für gehörlose Menschen gibt es Masken mit Sichtfenster

Der Ausdruck „taubstumm“ wird übrigens als diskriminierend empfunden, denn Gehörlose sind nicht stumm, sie sprechen nur nicht mit der Stimme, sondern eben mit den Händen. Wobei ebenso die Mimik und Mundbewegungen wichtig sind, was durch das Maskentragen in der Pandemie Schwierigkeiten bereitet. Eigene Masken mit Sichtfenster schaffen Abhilfe.

Mehr als 130 Gebärdensprachen plus Dialekte

Es gibt nicht eine einzige globale Gebärdensprache, sondern zu den etwa 135 offiziellen kommt eine Reihe an regionalen Dialekten. Die rund 250 Bibel-Videos in deutscher Gebärdensprache (DGS), die im März dieses Jahres online gingen, können von österreichischen Gebärdensprachensprecherinnen und -Sprechern möglicherweise nicht gänzlich verstanden werden. Das komme auf die Sprachkompetenz der Menschen an, hieß es damals vom Österreichischen Gebärdensprachverband.