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Ausstellung in Halbturn

Das Foodbloggen begann mit den Mönchen

Der Hang, jede aufgetischte Speise abzufotografieren, hat Vorbilder. Im Mittelalter beginnt die Obsession der detaillierten Speisenbeschreibung, wie eine Ausstellung in Halbturn deutlich macht. Es waren die Mönche, die den Vergleich mit den Tischsitten anderer Klöster fast schon bis zum Exzess betrieben. Foodporn statt Fastenküchen war auch bei ihnen das Motto.

Genuss lässt sich bekanntlich schwer definieren, ist in jedem Fall aber mit Erwartungshaltungen verbunden. Spätestens ab dem Moment, wo eine Speise auf dem Tisch steht, soll ja die Vorfreude zum Erlebnis umschlagen. Doch es wäre nicht das digitale Zeitalter, wollte man die Kultur des Verlangens nicht noch über den Moment des Vollzugs hinauszögern. Wenn Mütter ihre gierigen Söhne früher ermahnten, dass man „auch mit den Augen“ esse, das ordentlich angerichtete Essen auch mit der nötigen Beachtung und Hingabe verzehrt werden sollte, so kommt es heute zum Akt des Gaumenkontakts erst nach einem ausführlichen digitalen Hochamt.

Speisen an besonderen Orten, vor allem wenn sie wie ein ganz nahes Versprechen vor uns liegen, müssen fotografiert, geteilt, archiviert, nachkommentiert werden. Hieß es früher, das Essen nicht vor der ersten Probe zu salzen oder zu pfeffern, so kommt man heute vor dem ersten Bissen gar nicht ohne ein #yammi, #lifeisgood, #lovemylifelovemyfish aus, bevor man noch den ersten Biss getätigt hat.

Schloss Halbthurn im Burgenland
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Schloss Halbturn positioniert sich in diesem Herbst als Zentrum der Gaumenfreuden und des historischen Blicks darauf

Wer das für eine Unart der Gegenwart hält, wird im burgenländischen Schloss Halbturn eines Besseren belehrt. Schon die Mönche des Hochmittelalters beäugten, beschrieben, kommentierten – und „sharten“ auch auf ihre Art all das, was da im Klosterrefektorium auf den Tisch kam. Im Menschen schlummere wohl ein anthropologisches Bedürfnis, über die eigene Nahrung zu reflektieren, sagt Ausstellungsmacher Hannes Etzlstorfer.

Ausstellungshinweis

Die Ausstellung „Bei Genießern zu Gast“ ist noch bis 14. November im lukullisch bestens ausgestatteten Schloss Halbturn im Burgenland zu sehen.

Verfügungen über Mahlzeiten

Verfügungen über Mahlzeiten finden sich ja bereits in den Ordensregeln, etwa jenen des heiligen Benedikt von Nursia. Der Gründungsvater des christlichen Mönchtums im Westen hat in seiner bis heute gültigen „Regula Benedicti“ ein Konzept von Zucht und Maß entwickelt, dem auch die Ernährung untergeordnet werden sollte.

Verzicht auf Fleisch vierfüßiger Tiere, maximal zwei gekochte Speisen am Tag und beschränkten Weinkonsum wollte Benedikt den Mönchen verordnen, musste aber als Realpolitiker in seinem Bereich rasch erkennen, dass Vorschriften ohne Kompromisse wenig Durchsetzungskraft haben: „Zwar lesen wir, Wein passe überhaupt nicht für Mönche. Aber weil sich die Mönche heutzutage davon nicht überzeugen lassen, sollten wir uns wenigstens darauf einigen, nicht bis zum Übermaß zu trinken, sondern weniger.“

Fotostrecke mit 4 Bildern

ITEM, 2021, Öl auf Leinwand, 150x160cm
Klaus Ludwig Kerstinger
Kerstinger-Bild „Item“: Die Mönche als erste Detailchronisten beim Essen
Klaus Ludwig Kerstinger: Liebe Mama (2020, Acryl und Kugelschreiber auf Papier)
Klaus Ludwig Kerstinger
Pandemie und Rezept: Die Weitergabe des Wissens an die nächste Generation beim Thema Essen
Klaus Ludwig Kerstinger: Mac Trump (2020, Öl auf Leinwand)
Klaus Ludwig Kerstinger
„Mac Trump“: Essverhalten und Politik sind untrennbar verwoben, gerade auch im öffentlichen Verhalten von Politikern
Klaus Ludwig Kerstinger: Eingefroren (2017, Mixed Media auf Leinwand)
Klaus Ludwig Kerstinger
Kerstingers Bild „Eingefroren“

Das benediktinische Motto „Ora et labora (et lege)“, „bete und arbeite – und lies“, hat im Lauf der Zeit zusätzliche Aufweichungen erfahren, sodass der Gründer der Zisterzienser, der heilige Bernhard von Clairvaux (um 1090–1153), die „Ausschweifungen“ im Bereich von „Speis und Trank“ unter den Mönchen hinterfragen wollte. In der vergleichenden Auflistung der Überschreitungen beim Essen der Mönche hat man das, was eigentlich der Vorläufer des Foodblogs, wenn auch in anderer Verbreitungs- und Medienform, ist. „Wirkliche Beschreibungen von Gerichten finden sich deshalb bei einem Klostervater wie Bernhard von Clairvaux, weil dieser seine liebe Not hat mit den Feinschmecker-Mönchen aus den eigenen Reihen“, erklärt Etzlstorfer im Gespräch mit ORF.at Diese Mönchsgeneration habe sich ja noch nicht aus Bauernsöhnen zusammengesetzt, sondern aus Sprösslingen adeliger Häuser, die die Erwartung gehabt hätten, verwöhnt zu werden.

Mahl-Bilder

Die Ausstellung in Halbturn wird von Arbeiten des Malers Klaus-Ludwig Kerstinger begleitet, der nicht nur die Illustration für ORF.at zu den Mönchen, sondern zahlreiche Auseinandersetzungen zum Thema Essen in der Pandemie geschaffen hat.

Man isst mit Aug und Ohr

„Wie sich beim Essen der Schlund mit Speise sättigt, so die Ohren mit eitlen Gesprächen, und während du ihnen deine ganze Aufmerksamkeit widmest, kennst du kein Maß im Essen. Inzwischen aber wird ein Gericht nach dem anderen aufgetragen“, schildert Bernhard in seinen Aufzeichnungen. Die Sättigung, so erinnert er sich, habe immer noch nicht den Appetit gemindert, weil alles mit großer Kunst und „Akkuratesse“ zubereitet worden sei.

„Wenn auch der Magen schon durch wiederholtes Rülpsen anzeigt, daß er voll ist, bleibt doch noch immer die Neugierde ungestillt“, so die Conclusio des heiligen Bernhard.

In den „Benedictiones ad mensas“, einer gereimten Übersicht über fast alle auf die Tafel kommenden Speisen aus dem Kloster St. Gallen um das Jahr 1000, wird die immense Vielfalt der Klosterküche deutlich. Da wird etwa vom Bärenfleisch als köstlicher Delikatesse geschwärmt. Und Murmeltiere würden das Wildbret der Festtafel abrunden.

Codex Manesse: Steinmar isst mit seinen Trinkkumpanen
akg-images / picturedesk.com
Darstellung des Themas Essen und Trinken im „Codex Manesse“ aus dem 14. Jahrhundert: „Steinmar isst mit seinen Trinkkumpanen.“

Die Reisebeschreibungen des Paolo Santonino

Wesentlich für die Wahrnehmung all dessen, was im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit auf dem Tisch stand – und das zeigt die Schau in Halbturn auch -, waren Reisebeschreibungen. Durch das Reisetagebuch des Bischofssekretärs Paolo Santonino, der zwischen 1485 und 1487 an der Seite des Bischofs von Caorle neben Osttirol und der Untersteiermark auch Kärnten durchstreifte, verfügt man in unseren Breiten über ein kulinarisches Dokument des spätmittelalterlichen Kärntens.

Santonino zeigt sich geradezu überrascht vom Phäakentum und dem schier unstillbaren Appetit der Kärntner, wenn er bei seine Beschreibung des Gailtals Festmähler und Trinkgelage porträtiert, die sich über Nächte und Tage hinweg gezogen hätten.

Im seenreichen Kärnten schwärmt er für Fischgerichte: „Wir zogen dann zurück zur Burg Finkenstein, um das Fasten des Vortages vor S. Matthias zu beenden, wie wir hofften, mit guten Speisen, und in der Tat, unsere gute Meinung hat uns nicht getrogen. Wir nahmen zu mehreren Platz, da wurde als erster Gang schon aufgetragen Mandelmilch und Suppe, in der aufgeweichtes frisches Weißbrot in kleinen Brocken schwamm, als zweiter Gang frische Fische gesotten, als dritter Gemüse mit Forellen; als vierter Suppe von ausgelösten Krebsen in Wein mit Gewürznelken besetzt (Eintrag vom 20. September 1486).“ Beim Mahl im Haus des Villacher Bürgers Kaspar Merendech kommt er derart ins Schwärmen, dass er sich an Speisen aus der „Innenstadt von Florenz“ erinnert sieht.

Christliche Feste, aber auch Fastengebote, so zeigt man in Halbturn, haben über Jahrhunderte das Speisenangebot Europas geprägt. Und, so erinnert man im Rahmen der Ausstellung auch, nicht zuletzt die Aufstellung eines Dorfes hat in Europa sehr viel mit den Sakramenten und Feiern der Kirche zu tun. Es sei kein Zufall, sagt Etzlstorfer, dass in jedem Dort die Pfarrkirche nicht allein vom Friedhof, sondern einer Reihe von „Einkehrwirtshäusern“ umgeben sei. Und die Pandemie habe gezeigt, dass auch das Einkehren nach entsprechenden freudigen oder traurigen Ereignissen keine Selbstverständlichkeit mehr sei.